Alle Jahre wieder, kommt das Christuskind. Weihnachten, wieder einmal. Die historische Genese des Weihnachtsensembles, vom Stall bis zu den drei Königen, sei einmal dahingestellt. Theologisch geht es bei Weihnachten um die Ankunft des Heils im Menschen, um die Erlösung des Menschen durch die Inkarnation (!) des Göttlichen im Menschen. Darüber lohnt es sich auch jenseits jeder kirchlichen Dogmatik nachzudenken. Wer hier länger mitliest, wird vielleicht bemerken: Bei dem Thema laufen meine Gedanken etwas im Kreis, alle Jahre wieder.

Schelling wird die Formulierung zugeschrieben, dass die Natur im Menschen ihre Augen aufschlägt und bemerkt, dass sie da ist. Auch hier ist vom Geistigen im Menschen die Rede. Wie das konkret zu verstehen ist, darüber lässt sich streiten. Alle Jahre wieder, auch da. Ich halte viel von der Position Thomas Nagels in seinem Buch „Geist und Kosmos“, dass uns vermutlich noch die richtigen Begriffe fehlen, um dieses Verhältnis zu verstehen. Harte Naturalisten tun sich schwer mit Thomas Nagels Sicht der Dinge, sie stoßen sich an seinen panpsychischen Spekulationen. Aber dass die Naturwissenschaft mit dem, was sie heute weiß, nicht am Ende ist, ist auch ihnen klar. Bekanntlich forschen die naturwissenschaftlichen Institute fleißig und mit großem Publikationsoutput vor sich hin. Die Frage ist nur, ob das nur ein additives Weiterhäkeln auf grundsätzlich vertrautem Terrain ist oder ob es eines Tages ein Augenaufschlagen im Lichte neuer Begriffe, eines neuen Verstehens gibt. Hier sollte man nicht vorschnell den Kopf schütteln. Angesichts einer Physik, die versucht, so exotische Dinge wie einen Urknall zu verstehen, schwarze Löcher, Paralleluniversen oder ein Blockuniversum, kann man vor Überraschungen nie sicher sein.

Dass noch mehr kommt, als sich unsere Schulweisheit heute träumen lässt, heißt allerdings nicht, dass alles möglich ist und wir genauso gut an Geister und Globuli glauben können wie an die Gravitation und die Quantenmechanik. Auch das Denken in Möglichkeiten muss ein kritisches Denken sein, wenn es sich nicht in Fantasy oder Esoterik auflösen soll.

Im Menschen schlägt die Natur die Augen auf. Vielleicht auch schon in der Weihnachtsgans und demnächst vielleicht auch im Laptop, darauf kommt es nicht an. Es geht darum, dass mit dem Augenaufschlagen eine reflexive Fähigkeit, eine Fähigkeit, in Gründen zu denken, in die Welt kommt, oder besser, in Erscheinung tritt. Und zwar in dieser Welt. Woher diese Fähigkeit rührt, da scheiden sich dann die Geister, aber man sollte die Fortschrittlichkeit der Weihnachtsgeschichte gegenüber alten Parallelweltvorstellungen nicht unterschätzen. Die Vernunft ist etwas in unserer Welt.

Schaut man sich in der Welt um, ist unübersehbar, dass sie gleichwohl nicht von Vernunft beherrscht wird. Man kann die Ereignisse in Syrien historisch erklären, aber kaum jemand wird behaupten, dass das Potential vernünftigen Handelns dort ausgeschöpft sei. Wir haben die Fähigkeit zur Vernunft, aber diese Fähigkeit ist ein zartes Pflänzchen in einem Garten, in dem sie leicht von anderen Triebkräften des Handelns überwuchert wird. Sie muss gepflegt werden. Sonst kann sie sich nicht entwickeln.

Im Garten der Vernunft sind wir selbst die Gärtner. Gemeinsam, und jeder für sich. Im Schnitt 80 Jahre hat jeder von uns, um die Vernunft zu hegen und zu pflegen, gegen Neid, Missgunst, Gier, Angst oder einfach nur Faulheit zum Denken, dem Unkraut, das im Garten der Vernunft so schnell alles zuwächst. Die Welt wird nicht von allein, durch historische Dialektik, zu einem besseren Ort. Wir müssen selbst dafür sorgen. Im Menschen schlägt die Natur ihre Augen auf, wenn wir die Augen aufmachen und nicht nur, wie Nietzsches letzte Menschen, das Korn der kleinen Vernunft im Auge, blinzeln: „Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen. Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern? – so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht.“ Oder, um an Weihnachten noch einmal die Bibel zu bemühen (Psalmen 90; 9, 10): „Wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon“.

Kommentare (39)

  1. #1 Alisier
    25. Dezember 2017

    Eine kleine Verbeugung für diesen Text.
    Diskutiert wird aber erst ab morgen wieder.

  2. #2 lindita
    25. Dezember 2017

    “Sei doch vernünftig” – sagen Konservative
    “Sei doch vernünftig” – sagen die Rechten
    “Sei doch vernünftig” – sagen die Linken
    “Sei doch vernünftig” – sagen die Grünen
    “Sei doch vernünftig” – sagen die Liberalen
    “Sei doch vernünftig” – sagen Gläubige
    “Sei doch vernünftig” – sagen Atheisten
    “Sei doch vernünftig” – sagen Wissenschaftler
    “Sei doch vernünftig” – sagen Impfgegner
    “Sei doch vernünftig” – sagen Frauen
    “Sei doch vernünftig” – sagen Männer
    “Sei doch vernünftig” – sagen Eltern
    “Sei doch vernünftig” – sagen Freunde
    “Sei doch vernünftig” – sagen Lobbyisten
    “Sei doch vernünftig” – sagen Philosophen
    ….

    Es gibt für mich nichts so nichtssagendes wie die “Vernunft”.

    Frohe Weihnachten (an alle, die feiern…)! Ich gucke alle Jahre wieder an diesem Tag Horror und Thriller des Jahres und bin auch ganz froh. Freiheit kann manchmal ganz schön unvernünftig sein.

    • #3 Joseph Kuhn
      25. Dezember 2017

      @ lindita:

      Wenn es alle sagen, dann könnte doch was dran sein. Und wenn Sie nicht wissen, was mit “Vernunft” gemeint ist und wessen Aufruf Sie folgen sollten, könnten Sie einmal darüber nachdenken. Nachdenken und Vernunft hängen angeblich zusammen.

      Oder lesen Sie das Buch “Was ist Vernunft?” von Ulrich Steinvorth, einem Philosophen. Wenn Sie dann immer noch nicht verstehen, was Ihre diversen Aufrufe unterscheidet, liegt’s vermutlich an Ihnen.

  3. #4 lindita
    25. Dezember 2017

    @ Joseph Kuhn
    “Nachdenken und Vernunft hängen angeblich zusammen.”

    Hat Nachdenken etwas mit Verstand zu tun? Denn nach Ulrich Steinvorth ( nein, habe das Buch nicht gelesen, aber auf die Schnelle ein Paar Rezensionen) kleiner Verstand (was nicht zu wenigen Teilen genetisch bedingt sein soll) ist keine Entschuldigung zur Unvernunft.

    “Wenn es alle sagen, dann könnte doch was dran sein. ”

    Natürlich, nach meiner Beobachtung hängt die Vorstellung davon, was vernünftig sein soll oft mit Ängsten zusammen. Und da jeder seine Ängste hat (auch Angst davor unmoralisch bewertet zu werden, oder Angst vor Kontrollverlust [siehe Kant]), wird die Vernunft plötzlich universell.

    Der Psychopath kann einem emphatisch und sozial erscheinen. Er ist ein guter Lügner und Manipulator. Kennt den Menschen und moralische Erwartungen, welche diese Menschen an ihn habem. Doch es wird ihn nie berühren. Er wird alles eiskalt planen; Vernunft hin oder her. Soziopathen kommen aus schwierigen Verhältnissen, Psychopathen haben genetischen Einfluss.

    Vernunft ist auch eine Möglichkeit die Zukunft unter Kontrolle haben zu wollen. Die Konsequenzen eigener Handlungen zu vorhersagen. Ist wie Religösität: gebe und dir wird gegeben. Sei ein guter Mensch und alles wird gut. Bist ein schlechter Mensch, kommst in die Hölle, oder bist für die Welt verantwortlich, die ein Joseph Kuhn aus seinem Fenster sieht.

    Und die Welt ist heute so gut, so gut ist die nie gewesen. Ich glaube nicht, dass es durch die Vernunft gekommen ist. Es ist durch Leid und Blut gekommen, nicht durch Philosophen und Denker (Nationalsozialismus trotz… Oder Kommunismus wegen …)

    Und guckt mal die Experimente mit Affenn und Menschenkindern. Die Affen tun, was von aussen gesehen “vernünftig” ist, die Menschenkinder machen dem Onkel nach, auch wenn es Blödsinn ist. Und bei Erwachsenen genauso, sie folgen der Gruppe, auch wenn die Antwort offensichtlich falsch ist. Da blickt höchstens ein Psychopath durch. Also, welche universelle Vernunft soll es dort geben? Die anerzogene?

    Für mich gelten auch in der gesellschaftlichen Entwicklung evolutionäre Prinzipien. Es gibt kein Plan. Alles ist gut für den Moment, alles ändert sich, wenn es nötig wird.

    (Hauptsache man lässt mir die Freiheit nach meinen eigenen und nicht nach jemandes Ängsten zu handeln.)

    Ok, habe jetzt alles vewirrend dargestellt. Nur eine Idee, was bei mir nach dem Nachdenken so rauskommt.

    • #5 Joseph Kuhn
      25. Dezember 2017

      @ lindita:

      “Hat Nachdenken etwas mit Verstand zu tun?”

      Ja, Steinvorth S. 28 ff. – den Verstand brauchen wir als eine Art Reizverarbeitungskompetenz.

      “kleiner Verstand (…) ist keine Entschuldigung zur Unvernunft”

      So ist es. Aber wer sich nicht um vernünftiges Argumentieren bemüht, obwohl es ihm verstandesmäßig leicht fallen sollte, dem darf man das ruhig auch mal vorwerfen.

      “Alles ist gut für den Moment, alles ändert sich, wenn es nötig wird.”

      So ein Käse. Da ist die Theologie mit ihrem Theodizee-Problem weiter.

      “was bei mir nach dem Nachdenken so rauskommt”

      Vielleicht war das Nachdenken noch nicht zuende? Manchmal dauert das lebenslang.

  4. #6 lindita
    25. Dezember 2017

    “Vielleicht war das Nachdenken noch nicht zuende? Manchmal dauert das lebenslang.”

    Bin sogar einverstanden. Nachdenken ist ein schöner Zeitvertreib, während sich die Welt weiterdreht, und nicht drauf wartend, bis Philosophen aller Zeiten etwas zuende denken, begnügt sie sich mit Psychopathen (die wegen irgendwelcher “Fehler” im Gehirn nicht mal durch Angst konditioniert werden können) an gesellschaftlich relevanten Spitzenpositionen.

    “Da ist die Theologie mit ihrem Theodizee-Problem weiter.”

    Wo weiter? Sehe ich nicht.

    Ich versuche nicht zu werten, deshalb sehe ich alles natürlich : so wie die Luft sich in einem Raum verteilt, so verteilt sich alles und jeder, was existänt ist in seiner Nische. Es gibt etwas, weil es die Möglichkeit zu seiner Entstehung gab. Vielleicht ist es wie die Quantenmechanik (klar, habe ich sie nicht vestanden, dann eben keine Quantenmechanik): alles ist überall und es kommt was kommt. Ohne offene Möglickeiten in alle Richtungen, gäbe es überhaupt nichts. Ich glaube nicht an Gott, also habe ich kein Bedürfnis danach Gott in meine Gedankenstruktur unterbringen zu müssen. Und es stört mich nicht.

    (Ich war die letzten zwei Monate an einem Projekt beteiligt. Tut gut wieder auf Position zu sein, wo sich die Welt auch ohne mich dreht. Vor lauter Konzentration und Zeitdruck wird das Gehirn ganz platt, da hat man echt keine Zeit zum Essen, ganz zu schweigen von der Möglichkeit seine Handlungen auf Vernunft zu prüfen.)

  5. #7 Dr. Webbaer
    26. Dezember 2017

    In etwa so, lieber Herr Dr. Kuhn, klang auch recht weihnachtlich, Ihnen noch einmal schöne Weihnachtsgrüße, zur letzten Gelegenheit sozusagen, und pastoral.
    Die Vernunft ist zentral, sie darf gerne das erkennende Subjekt bewusst annehmen, als Methode, die sozusagen eigene Welten aufmacht.
    Diese Welten sind letztlich (!) nicht von den Mutterwelten unterscheidbar, wenn bedacht wird, dass auch eine Maschine sie aufmachen könnte, Stichwort : Pantheismus.
    Wobei diese Anmerkung dann womöglich nicht pastoral klang, korrekt.
    MFG
    Dr. Weihnachtswebbaer

  6. #8 Withold Ch.
    26. Dezember 2017

    Schöner Text.

    Was in Schellings eindrücklichem, bildhaftem Vergleich des Erwachens des menschlichen Geistes, der Selbst-Bewusstheit, fehlt, ist dann ein Hinweis auf die permanente Bedrohung und zunehmende Gefährdung eben dieser Natur und der daraus folgenden Sehnsucht nach einer Verheissung auf Errettung.

    Natürlich stellt Weihnachten einen Höhepunkt im Denken und Wünschen “frommer Menschen” dar, – ein “Gott” liebt eine Menschenfrau, und sie gebärt seinen Sohn, den späteren Retter der Welt – mehr an Fantasy ist nicht möglich!

    Möglich wäre aber zumindest eine “vernünftigere”, weil komplettierende Variation, – zB liebte dann eine “Göttin” einen Menschenmann und brächte ihm die rettenden Nachkommen … auch Mythen und Märchen schadet ab und zu ein Update nicht …

  7. #9 Dr. Webbaer
    26. Dezember 2017

    @ Kommentatorenkollege ‘Withold Ch.’ :

    Wenn (ein) Gott sozusagen herab taucht, in seiner Trinität, und seine Trinität so zu bestätigen scheint, bedeutet dies erst einmal einen Mythos.
    Mythen sind (idealerweise) nicht falsi- wie verifizierbar, sondern in praxi zivilisations-ändernd oder gerne auch -befördernd.
    Mythen sind ganz böse formuliert Esoterik, sie entziehen sich dem wissenschaftlichen Anspruch, der szientifischen Methode, zuverlässig und stellen bestenfalls, wenn kohärent, in sich stimmig, solide Meta-Physik dar.
    Wobei diese kleine Anmerkung womöglich wenig sinnstiftend und pastoral klang, korrekt.
    Nichtsdestotrotz scheint dieser Mythos einen besonderen Reiz zu haben, der lange Zeit auch kulturell stiftend war und die Aufklärung hat hier nicht sinnhaft ergänzen oder ersetzen können, die Europäische Aufklärung ist gemeint: es ist recht klar, dass Christen- wie Judentum diese nicht evoziert, aber zugelassen haben.
    Insofern ergibt sich so hier, womöglich auch : für viele, eine gewisse Schönheit des Seins.
    MFG
    Dr. Weihnachtswebbaer

  8. […] Natur, der Mensch und der Garten der Vernunft, Gesundheits-Check am 25. Dezember […]

  9. #11 lore ipsum
    27. Dezember 2017

    Dr. Webbaer,
    „Mythen sind ganz böse formuliert Esoterik, sie entziehen sich dem wissenschaftlichen Anspruch, der szientifischen Methode, zuverlässig und stellen bestenfalls, wenn kohärent, in sich stimmig, solide Meta-Physik dar. „
    Demgegenüber die Behauptung in Wikipedia : Mythen erheben einen Anspruch auf Geltung für die von ihnen behauptete Wahrheit.
    Wie kommt man aus diesem Widerspruch heraus? Wer irrt sich da?

    Es ist doch bemerkenswert, dass Mythen viele Jahrtausende überdauern.
    Und das tun sie nur, weil sie nicht als unsinnig abgetan werden, sondern weil in den Mythen die Wahrheit über die menschliche Natur versteckt ist, so wie ein Traum auch eine Wahrheit enthält, die man erst entschlüsseln muss.

    Zu diesem Behufe haben sich ganze Kasten gebildet, die Kaste der Schriftgelehrten, der Astrologen, der Tiefenpsychologen, der Traumdeuter und die zuletzt die Kaste des gemeinen Landmannes. Jeder fühlt sich berufen und auch fähig eine Wahrheit in den Mythen zu finden.

    Nur wer die Mythen allzu wörtlich deutet, der begeht einen Fehler, auf den trifft ihre Kritik zu. Alle anderen ahnen, dass etwas „Göttliches“ verborgen ist, das noch gefunden werden muss, auch und insbesondere mit den Mitteln der Vernunft.

  10. #12 Basilios
    Freezing
    27. Dezember 2017

    @lore ipsum

    Nur wer die Mythen allzu wörtlich deutet, der begeht einen Fehler, auf den trifft ihre Kritik zu. Alle anderen ahnen, dass etwas „Göttliches“ verborgen ist, das noch gefunden werden muss, auch und insbesondere mit den Mitteln der Vernunft.

    Ich darf die Mythen also nicht wörtlich nehmen.
    Okay.
    Und wann ist es dann soweit, daß man das “Göttliche” gefunden hat?

    • #13 Joseph Kuhn
      27. Dezember 2017

      @ Basilios:

      Das Argument von “lore ipsum” ist so stringent wie der berühmte Spruch “wo Rauch ist, muss auch Feuer sein”. Völlig richtig, es sei denn, es ist keins da. So mancher Mythos ist halt nur eine schöne Geschichte. Und manchmal, wie bei der biblischen Jungfrauengeburt, vielleicht nur ein Übersetzungsfehler.

      Interessant auch, dass er meint, der raunende Mythos sei die Tarnkappe des Göttlichen. Warum nicht des Teuflischen? Oder – was es wohl in Wirklichkeit trifft – schlicht des Unverstandenen? Dass die Vernunft zum Göttlichen führen muss, der Glaube, dass die Philosophie die Magd der Theologie sei, hat eine lange Tradition. Leuten wie “lore ipsum” ist vermutlich oft gar nicht bewusst, was da durch ihren Mund spricht.

  11. #14 rolak
    28. Dezember 2017

    vermutlich oft gar nicht bewusst

    moin B+J, wenn wie in diesem Falle selbstgewählter Nick und selbstgetippter Text zusammenpassen wie AaufE, sollte es ernst genommen werden. Vom Blindtext zu blindem Glauben ist es eben kein einziger Schritt. Klar, gewiefte Vernebler kommen an dieser Stelle mit ‘kein Glaube ohne Zweifel’, allerdings ohne zu erklären, daß sie damit keine Eigenschaft des Glaubens, sondern eine des Menschen beschreiben. Es ist eben schwer, eine derartige kognitive Dissonanz langfristig reibungsfrei zu durchschlittern. Und die aus dem Nichts gezogene Prämisse wird als selbst im stärksten Nebel sichtbar postuliert – ohne Sieg des Glaubens über jeden Zweifel kein Glaube.

    Alle anderen ahnen, dass etwas „Göttliches“ verborgen ist

    Der echte Schotte plus ad ignorantiam plus falsche Induktion, da wird aber auch nichts ausgelassen…

    Da feiere ich lieber ausgelassen.
    Kann auch sein, daß gleich zum Frühstück ausgelassener Speck serviert wird.
    Und nach der Heimkehr wird dieser sich so angenehm lesende Artikel vielleicht auch mit einem angemessenen Kommentar bedacht werden (können).

  12. #15 Dr. Webbaer
    28. Dezember 2017

    @ Kommentatorenkollege ‘lore ipsum’ :

    Da ist kein Widerspruch, oder?

    Dass Mythen als wahr oder “wahr” angenommen werden, ist sicherlich manchmal ein wenig problematisch, Mythen funktionieren allerdings manchmal ganz gut, wohl auch deshalb, weil ein Fünkchen Wahrheit sozusagen in ihnen stecken könnte.
    Mythen scheinen zudem gesellschaftlich notwendig zu sein.

    MFG + frohes Neues!
    Dr. Webbaer

  13. #16 lindita
    28. Dezember 2017

    “Jeder fühlt sich berufen und auch fähig eine Wahrheit in den Mythen zu finden.”

    Ich habe mal eine Debatte gehört, und einer der Wissenschaftler sagte (jetzt nicht mehr Wort wörtlich): diese Gelehrte sagen alle, dass sie die Bibel nicht wortwörtlich nehmen, und deuten und unter sich lehren. Nur sobald diese “Wissenden” Sonntags in der Kirche stehen, muss sich das Volk, welches dahin geht, die unaufgeklärte Predigt anhören.

    Meine Mythen sind Filme, ob sich dort auch das Gütliche versteckt? Immerhin hat sich psychologisch der Mensch seit der Antike kaum verändert. Ob sie vom Gott damals mehr wussten als ein Spielberg ?

  14. #17 Dr. Webbaer
    28. Dezember 2017

    Meine Mythen sind Filme, ob sich dort auch das Gütliche versteckt?

    Klar, Filme leben sozusagen von diesen Allegorien, die mythisch sind.
    Bruce Willis hat bekanntlich in ‘Armageddon’ die Welt gerettet, in ‘The Good, the Bad and the Ugly’ wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip (der ‘Ugly’ soll leben bleiben) zu einem cineastischen Mythos gemacht und ‘Superman’ lebt sozusagen in allen der erkennenden Subjekte, vielleicht sogar unter ihnen.
    ‘Captain America’ meint womöglich diesen Mythos :
    -> Amerikanischer Exzeptionalismus
    …und Terry Pratchett hat in seinen Arbeiten, die teilweise auch verfilmt worden sind, viele Mythen untergebracht und, wie es stets seine Art war, subversiv kritisch hinterfragt.
    Oft all dies im pantheistischen Sinne, oft eher im Sinne einer “Zivilreligion”, also das “Göttliche” in doppelten Anführungszeichen bleibt gemeint, im Sinne einer neuen Abstraktionsebene.


    “Der Mensch” hat sich allerdings womöglich schon seit der Antike drastisch verändert, psychologisch sozusagen, was sich bspw. daran ablesen lässt, dass Christen heutzutage regelmäßig bibel-untreu sind und sich ihren eigenen christlichen Gott zu “backen” suchen, eigene, persönliche also, kritische Meinungen hier einfließen lassend, aber der Gesamtveranstaltung dennoch nicht untreu.
    In der Antike : undenkbar.
    Paulus hat derart vorhergesehen und das Konzept des Antichristen entwickelt, dies nur ga-anz am Rande hier notiert, womöglich : einen Mythos.

    MFG
    Dr. Webbaer

  15. #18 lore ipsum
    28. Dezember 2017

    lindita,
    der Mensch hat sich seit der Antike nicht verändert. Die griechischen Tragödien sind noch genau so aktuell, wie vor 2500 Jahren. Genau darum geht es mir.
    Schon damals hat man es nicht gewagt, die ungeschminkte Wirklichkeit beim Namen zu nennen, dass hinter unserem Verstand das Tier lauert, das es im zum Zaume zu halten gilt. Das ist der Sinn von Kultur, eine Maske aufzusetzen, weil sich viele sonst vor sich selbst ekeln würden.

    Joseph Kuhn,
    ich bin Ihnen schon sehr weit entgegengekommen, aber das Wort “göttlich” hat verhindert, dass sie mir vorbehaltlos zustimmen können.
    Ersetzen Sie es einfach durch “Wunder der Natur”, dann merken Sie, dass ich die gleiche Meinung vertrete wie Sie.

    Basilios,
    Sie dürfen Mythen und Religionen nicht wörtlich nehmen. In ihnen ist alles versteckt, was den Menschen ausmacht und was Menschen über Menschen wissen . Daswird aber nicht “beim Namen” genannt, die Menschen waren damals schon missgünstig und niemand wollte sich unbeliebt machen. Deswegen alles so schwer verständlich und doppeldeutig. Nur die Eingeweihten wußten damals, wie die hl. Schriften zu lesen sind. Und die Schriftgelehrten haben das natürlich ausgenützt, indem sie sich unentbehrlich gemacht haben. So ist die Kaste der Schriftgelehrten und Hohen Priester entstanden. aber glauben Sie nicht alles , was da steht. Benützen Sie ihren Verstand. Wenn Sie heute einen Zeitungsbericht lesen, muss man auch manchmal 2x lesen oder sogar zwischen den Zeilen, wenn es um unsere Verbündeten geht.

    Rolak,
    auch dir bescheinige ich eine emotionale Ablehnung des Wortes göttlich. Betrachte Dich doch einfach als Krönung der Natur, allein durch die Tatsache, das du denken kannst. Guten Appetit. Ich esse z.B. gern Baked Beans mit Spiegelei und Speck.

  16. #19 lore ipsum
    28. Dezember 2017

    Dr. Webbaer,
    “regelmäßig bibel-untreu sind und sich ihren eigenen christlichen Gott zu “backen” suchen, ”

    Der eigene christliche Gott ist der richtige Gott, weil sich der Christ diesem verbunden fühlt.
    Mir scheint, Ihnen fehlt da ein wenig Nachhilfe (nicht missverstehen!)
    Nach moderner Auffassung unterscheidet die Kirche zwischen dem transzendenten Schöpfergott , der dem jüdischen Jahwe entspricht, dem Menschen zugewandten Jesus Christus, dem Gott der Christen, und dem Heiligen Geist, den man als sinnstiftenden Logos ansehen kann.
    Wer den Wortlaut der hl. Schriften nicht befolgt, der ist nicht mehr automatisch zur Hölle verdammt, sondern diese Entscheidung trifft nur Gott allein. Das ist ja das Verdienst von Martin Luther, dass er der Kirche das Recht abgesprochen hat über Himmel oder Hölle entscheiden zu können.
    Also wer da ein wenig selbst anfängt zu denken und im Sinne von Allem handelt, der macht nichts falsch.
    Herr Kuhn nennt das Garten der Vernunft und da stimme ich ihm zu.
    Wenn Hollywood Superhelden einsetzt um eine verantwortungsvolle Botschaft zu verbreiten, so ist dagegen nichts einzuwenden.

  17. #20 Withold Ch.
    28. Dezember 2017

    @ rolak # 14

    Kann auch sein, daß gleich zum Frühstück ausgelassener Speck serviert wird.

    … Erinnert mich irgendwie an “moderne Ernährungslügen und -mythen”, wodurch gewisse Unternehmen ganz schön Speck anlegen konnten … 🙂

  18. #21 Dr. Webbaer
    28. Dezember 2017

    @ Kommentatorenkollege ‘lore ipsum’ :

    Der eigene christliche Gott ist der richtige Gott, weil sich der Christ diesem verbunden fühlt. [Hervorhebung : Dr. Webbaer]

    +

    Wer den Wortlaut der hl. Schriften nicht befolgt, der ist nicht mehr automatisch zur Hölle verdammt, sondern diese Entscheidung trifft nur Gott allein.

    Jesus “Christus” meint den Gesalbten, den von Gott Gesalbten, derartige Begriffswahl blieb den Altvorderen überlassen und sie scheint nicht zufällig gewählt.

    Konsequent derart fortgedacht, wäre auch Gott über den bestimmend, der man selbst ist, auch Gott so schöpfend.


    Ansonsten stimmt Ihnen, werter Kommentatorenkollege ‘lore ipsum’, gerne zu, die Relativität ist das, was aus humanistischer Sicht das Sein ausmacht.

    Und, hey!, das da oben streng Theologisch Gemeinte war eher historisierend und seinerzeitige Befugnisse des religiösen Seins meinend, heutzutage wohl nicht mehr so-o “up to date”, “etwas für die anderen” & “sowas von Eighties”.

    MFG + Frohes Neues!
    Dr. Webbaer (der natürlich nur “Kulturchrist” ist, insgesamt stets liberal war und nie einer der gemeinten Kirchen beitrat)

  19. #22 lore ipsum
    28. Dezember 2017

    Dr. webbaer,
    “Konsequent derart fortgedacht, wäre auch Gott über den bestimmend, der man selbst ist, auch Gott so schöpfend.”

    So ist es, wobei man die menschliche Hybris streng im Blick behalten sollte.

    An dieser Stelle muss ich einräumen, dass wir uns schon vielfach über den Weg gelaufen sind. Die Kommentatorenfreunde hier sind fast allesamt stramme Materialisten, “die es zu überzeugen ” gilt.
    Wenn Sie in den Blindtext “Robert” einsetzen, machen Sie nichts falsch.

  20. #23 rolak
    28. Dezember 2017

    auch dir bescheinige ich

    Ferndiagnosen ohne jede Grundlage, ein sicheres Trollzeichen. Und dann auch noch der völlig hirnrissige Vorschlag, sich selbst jeweils als Krönung der Natur zu sehen. Als ob die Natur als Ganzes durch die Existenz eines einzelnen Menschen ausgezeichnet würde. Mehr oder zumindest anders als durch einen Quasar zB.
    Was ist aus Holz und steht dumm rum?

    moderne Ernährungslügen und -mythen

    Da steh ich ein wenig auf dem Schlauch, Withold, wo genau ist das (für mich) missing link zum Speck bzw von ihm zum Mythos?
    Den Ausgelassenen gabs übrigens tatsächlich, in Form von Rührei mit, grüngesprenkelt vor Kräutern, auf (nicht von mir) selbstgebackenem Brot, leckerst. Ohne Grinsen angesichts der eingetroffenen Nichtprophezeiung gings jedoch nicht…

  21. #24 Withold Ch.
    28. Dezember 2017

    @ rolak # 22

    Fettauge, ich seh dich glänzen … CholesterinCholesterol

  22. #25 rolak
    28. Dezember 2017

    Ach so, Withold, dann konnte ich ja nicht drauf kommen. Denn das Auslassen dient ausschließlich der GeschmacksÄnderung², das Fett wird ebenfalls verwendet, zB als WürzÖl oder für irjendwat höösch anzebroode. Hück für un bei die Eier.

    _______________________
    ² eigentlich ja -Verbesserung, doch de gustibus non usw

  23. #26 lore ipsum
    28. Dezember 2017

    rolak,
    auch dir bescheinige ich,,,,
    das ist keine ärztliche Diagnose, sondern etwas provokant und bedeutet, dass du voreilig urteilst.
    In #11 kam der Begriff Glauben nicht vor, aber du schießt sofort aus der Hüfte, und steckst mich sofort wieder in eine Schublade.
    Allerdings kann ich Dir zugute halten, dass du trollmäßig vorgeschädigt bist. (kleiner Spaß)
    Das mit der Krönung der Natur, meine ich ernst, DT könnte mit einem Knopfdruck die bewohnbare Erde unbewohnbar machen.
    Was die Mythen betrifft, da bist du wahrscheinlich noch zu jung für, du liest sicher Auto Motor und Sport .

  24. #27 lindita
    28. Dezember 2017

    @ Dr. Webbaer

    “dass Christen heutzutage regelmäßig bibel-untreu sind und sich ihren eigenen christlichen Gott zu “backen” suchen, ”

    Die Geschichte vom “Goldenen Kalb” erzählt nicht über ähnliche psychologische Zustände? Und deshalb auch nicht das esrste Gebot, weil das in aller Zeit schon typisch “Mensch” ist?

  25. #28 Basilios
    Freezing
    28. Dezember 2017

    @lore ipsum
    Daß ich Mythen und Religionen nicht wörtlich nehmen soll hatte ich als aller erstes schon akzeptiert. Das brauchen Sie mir nicht extra nochmals sagen. Ich hätte lieber eine konkrete Antwort auf meine Frage gehabt:

    Und wann ist es dann soweit, daß man das “Göttliche” gefunden hat?

    Und bei dem hier:

    Die griechischen Tragödien sind noch genau so aktuell, wie vor 2500 Jahren. Genau darum geht es mir. Schon damals hat man es nicht gewagt, die ungeschminkte Wirklichkeit beim Namen zu nennen, …

    … Bin ich vollkommen dabei, was die Aktualität angeht. Aber ich muss auch gestehen, daß die griechischen Tragödien, welche mir bekannt sind, bei mir einen ziemlich anderen Eindruck hinterlassen haben. Ich denke schon, daß dort viele Dinge ungeschminkt beim Namen genannt wurden und man so manche Häßlichkeit der Menschen sehr ungeschönt dargestellt hat (auch wenn die Schauspieler wohl Masken getragen haben sollen). Aber vielleicht habe ich auch nur die falschen Tragödien gelesen. Oder darf ich das dann auch nicht so wörtlich nehmen?
    0_0

  26. #29 lore ipsum
    29. Dezember 2017

    Basilios,
    du hast das Göttliche schon gefunden, dir hat nur noch jemand gefehlt, der es dir sagt.
    Jeder , der strebend sich bemüht und dabei sich selbst hinten anstellt, der läuft einem Ideal nach, der ist ein Suchender. Und dieser Trieb unterscheidet den Menschen vom Tier. Die Suche nach Erkenntnis, nach Wahrheit, die bringt dir materiell wenig Vorteil weil ihr Ziel nicht materieller Natur ist, weil du ein Geistwesen bist. Das bezeichnen die Idealisten als das göttliche in uns Menschen. Auch die Buddhisten, die Hindus suchen , die haben kulturell gesehen aber eine andere Blickrichtung, nämlich innwärts, während die kulturell extrovertierten Kulturen die Wahrheit außerhalb suchen.
    Noch spannender sind die griechischen Götter- und Heldensagen, die verraten auch etwas über menschliche Schwächen, vom Inszest bis zur Sodomie.
    Also , es ist soweit, du gehst in die richtige Richtung.

  27. #30 pelacani
    5. Januar 2018

    Wenn jetzt die Zeit der weihnachtlichen Andacht vorüber ist und der Alltag uns wieder hat, dann will ich hier auch noch eine Bemerkung machen.

    Thomas Nagels Sicht der Dinge

    Ich habe mal darin geblättert. Er scheint so etwas wie einen neutralen Monismus zu suchen:

    However, I do not find theism any more credible than materialism as a comprehensive world view. My interest is in the territory between them. I believe that these two radically opposed conceptions of ultimate intelligibility cannot exhaust the possibilities. [S. 22]

    Das ist eine Auffassung, die auf Spencer zurückgeht. Sie konnte nicht recht reüssieren.

    There is nothing like forgetting the past to spew apparently new philosophies.
    – Mario Bunge, Matter and Mind, Vorwort

    • #31 Joseph Kuhn
      6. Januar 2018

      @ pelacani:

      Von Nagel habe ich einiges gelesen und so weit ich es verstanden und nicht wieder vergessen habe (vor allem das, was er in seinem wichtigen Buch “Der Blick von nirgendwo” schreibt), formuliert er für meinen Verständnishorizont gut begründete Positionen. Dass es kluge Kritik daran gibt, zeigt, dass er klug formuliert hat. Von Bunge habe bisher nichts gelesen. Im Vorwort von “Matter and Mind” schreibt er: “I am a materialist but not a physicalist because, as a physicist, I learned that physics can explain neither life nor mind nor society.”

      Mir fehlt, abgesehen davon, dass ich eben nichts von Bunge gelesen habe, der philosophische Hintergrund, um Bunge und Nagel einander gegenüberzustellen. Mein Anspruch in diesen Fragen ist aber auch recht bescheiden: Man soll keine Hinterwelten erfinden, sondern versuchen zu verstehen, was sich uns in der Welt zeigt. Dabei können sicher Nagel und Bunge helfen, der eine da, der andere dort.

      Schreibt denn Bunge etwas über Nagels Sicht der Dinge?

  28. #32 pelacani
    6. Januar 2018

    Aber interessant wäre auch noch der Deinem Zitat nachfolgende Absatz gewesen:

    Physics cannot even explain phenomena (appearances), because these occur in brains, which are supraphysical things; nor can it fully explain machines, as these embody ideas, such as those of value, goal, and safety, that are nonphysical. Physics can only account for matter at the lowest level of organization, the only one that existed before the emergence of the earliest organisms some 3,500 million years ago. Hence physicalism, the earliest and simplest version of materialism, cannot cope with chemical reactions, metabolism, color, mentality, sociality, or artifact.

    Physik beschäftigt sich also ausschließlich mit Physik, wer hätte das gedacht. Nagels Ausgangspunkt ist die Gleichsetzung von Materialismus und Physikalismus, soweit ich ihn verstehe. Physikalismus ist nicht Wissenschaft. “In short, the denial of emergence is incompatible with science.” (Bunge, Philosophy in Crisis, S. 74). Die Definition von Wissenschaft ist die Untersuchung der Realität – nicht allein der “physikalischen Welt”; d. h. auch Metaphysik ist untersuchbar, solange man ihr einen Einfluss auf die Realität zubilligt. Mit der Abplattung des Materialismus auf einen Physikalismus, eine “Negierung” des Geistes, gelingt es, sämtliche human sciences aus dem Wissenschaftskonzept auszublenden.

    Ich habe erst vor wenigen Wochen begonnen, Bunge zu lesen, und bin daher alles andere als im Bilde über die Details seiner Philosophie. Ich kann nur einen ersten Eindruck schildern: er ist spritzig :-), und mir ist noch keine Stelle begegnet, wo ich gedacht hätte, “na so ein Unsinn”. Er hat übrigens die mit Abstand gehaltvollste Popper-Kritik, die ich bisher kennengelernt habe, dagegen stinken Kuhn, Feyerabend &Co. wirklich ab. Ob er was zu Nagel gesagt hat, weiß ich nicht, aber in welche Richtung es gehen würde, kann ich mir vorstellen. “To paraphrase Saint Paul, there is no (intellectual) salvation outside science.” (Bunge, Crisis).

    • #33 Joseph Kuhn
      6. Januar 2018

      @ Pelacani:

      Wie gesagt, ich kann die beiden einander nicht gegenüberstellen und könnte es vermutlich auch nicht wirklich sachkundig, wenn ich Bunge gelesen hätte. In “Geist und Kosmos”, dem Buch Nagels, auf das ich in meiner Weihnachtspredigt Bezug genommen habe, beginnt Nagel damit, dass er den reduktiven Materialismus in seinen Leistungen würdigt, aber bei der Erklärung von Phänomenen wie dem Bewusstsein als gescheitert ansieht. Damit bewegt er sich, übrigens entgegen seiner eigenen Selbstwahrnehmung, im Mainstream der Philosophie des Geistes, auch Bunge scheint sich Deinen Zitaten zufolge in diesem Mainstream zu bewegen. Und wie Bunge will Nagel keine ontologischen Spekulationen anstellen, die den Erkenntnissen der Wissenschaft widersprechen. Er will ausdrücklich (natürlich gut begründbare) Denkmöglichkeiten jenseits eines reduktiven Materialismus ausloten, das halte ich nicht nur für eine legitime, sondern für eine notwendige und unhintergehbare Aufgabe der Philosophie.

      Interessant wäre, ob sich die beiden bei dem, was sich aus Feststellungen der Art “Geist ist ein emergentes Phänomen” an ontologischen Denkmöglichkeiten ergibt, unterscheiden. “Emergenz” ist ja erst mal nur ein Wort, boshafterweise könnte man sagen, entweder ein Wortzauber, der überdeckt, dass da etwas Unverstandenes ist, oder, noch schlimmer, das Postulat eines magischen qualitativen Sprungs in der Tradition religiöser Schöpfungsmythen. Da bin ich aber wieder bei dem, was ich am Anfang schrieb: nicht mein Fach. Für eine Debatte Bunge versus Nagel müsstest Du Dir also einen anderen Diskussionspartner suchen.

      Mir geht es nur darum, dass wir unsere Gabe zur Vernunft nutzen und dass wir uns bewusst sein müssen, dass der Garten der Vernunft nicht von alleine blüht, sondern der gärtnerischen Anstrengung bedarf (Hegel würde sagen, der “Anstrengung des Begriffs”). Dem werden hoffentlich weder Bunge noch Nagel widersprechen.

  29. #34 pelacani
    6. Januar 2018

    Er will ausdrücklich (natürlich gut begründbare) Denkmöglichkeiten jenseits eines reduktiven Materialismus ausloten

    Meine Frage ist, ob er sich um eine klare Begriffsbestimmung als Ausgangspunkt dafür bemüht. Bewusstsein ist bei näherem Hinsehen alles andere als ein voraussetzungsloser oder homogener Alles-Oder-Nichts-Zustand. Wenn Du dazu etwas gefunden hast, dann wäre ich für die Seitenangabe dankbar. Und was das “Scheitern” angeht, auch da wäre zu überlegen, was man als Erklärung akzeptieren möchte.

    There is no reason to deny the possibility that one day theoretical neurophysiology may come up with definitions like this one:

    Organism b feels pleasure of kind K = df. Subcortical system s of organism b, under stimulation by events occurring in c (another neural system, or sense organ, or even electrode implanted in s) fires according to pattern p.

    Denying this possibility is sheer obscurantism. [Bunge, The Mind-Body Problem 1980, S. 13]

    —-

    “Emergenz” ist ja erst mal nur ein Wort

    Das stimmt natürlich. Man kann darunter das Eingreifen Gottes in die Kreation verstehen, oder man kann den Begriff benutzen, einen rational fassbaren Prozess zu bezeichnen, wie Bunge das versucht.

    Mir geht es nur darum, dass wir unsere Gabe zur Vernunft nutzen

    Dafür bin ich auch – selbst wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, wo die Vernunft herkommt. 😉

  30. #35 Joseph Kuhn
    6. Januar 2018

    @ pelacani:

    “ob er sich um eine klare Begriffsbestimmung als Ausgangspunkt dafür bemüht”

    Er ist ein Philosoph “alter Schule”.

    “wo die Vernunft herkommt

    Das ist so einfach, dass sogar ich es beantworten kann: Aus der Evolution und der Sozialisation. Warum andere ganze Bücher darüber schreiben, verstehe ich nicht. Für die manchmal geäußerte Hoffnung “Herr, wirf Hirn vom Himmel” scheint es jedenfalls wenig evidenzbasierten Anlass zu geben, vielleicht abgesehen von der Hilfe, die früher der bayerischen Staatsregierung zuteil wurde.

  31. #36 pelacani
    6. Januar 2018

    vielleicht abgesehen von der Hilfe, die früher der bayerischen Staatsregierung zuteil wurde.

    Werden sollte, soweit ich sehe. Inzwischen bin ich schon wieder eine Seite weiter mit meinem Bunge (wie der Volksschullehrer, der am Abend vorher lernt, was er seinen Schülern morgen beibringen soll):

    Let us finally deal briefly with neutral monism. This view was upheld by Herbert Spencer, William James, Bertrand Russell, and energetists such as Wilhelm Ostwald. Some neutral monists proposed their doctrine as a compromise between materialism and idealism [vgl. das Nagel-Zitat in #30 – P.], and others as a bridge between science and religion. Obviously, it found no takers. Compromise, so often desirable in technology and politics, is as disastrous in philosophy as in science and mathematics: here it is an indicator of shallowness.

    • #37 Joseph Kuhn
      6. Januar 2018

      … das Zitat enthält Rhetorik, aber kein Argument. Ich hoffe, Du liest Bunge nicht mit der Absicht, einen Zitatenschatz aufzubauen. Das würde ihm vermutlich nicht gefallen. In der Philosophie zeigt sich Anerkennung durch Kritik.

      Cetero Censeo: Ich habe nicht … ich kann nicht …

  32. #38 pelacani
    7. Januar 2018

    das Zitat enthält Rhetorik, aber kein Argument

    Doch, aber ein falsches, wie sich herausstellt: “[this view] found no takers”. Und wie mans macht, isses verkehrt, ob mit Zitat oder ohne.

    In der Philosophie zeigt sich Anerkennung durch Kritik.

    Ich finde schon, dass ich Thomas Nagel heftig anerkannt habe. Aber ich will mal lieber nicht weiter am Weihnachtsbaum rütteln. Auf Wiedersehen, Joseph.

    • #39 Joseph Kuhn
      7. Januar 2018

      @ pelacani:

      So gerne ich sonst mit Dir streite, wie gesagt, in dem Fall bin ich nicht der richtige Gesprächspartner. Aber wenn Du Zeit hast, schau mal heute nachmittag vorbei, da gibt es was über Whataboutism, das eignet sich viel besser 😉