Pettenkofer als Wissenschaftler …
Max von Pettenkofer steht an der Wiege der wissenschaftlichen Hygiene und war natürlich kein Pseudowissenschaftler. In einer eben erschienenen kleinen Biografie Pettenkofers aus der Feder des Münchner Medizinhistorikers Wolfgang Locher kann man einmal mehr nachlesen, wie breit Pettenkofers wissenschaftliche Arbeiten angelegt waren, von der Zementherstellung über die Chemie der Gemälderestauration oder „Liebigs Fleischextrakt“ bis hin zu seinen Pionierleistungen in der Hygiene, für die bis heute bekannt ist. Pettenkofer war beispielsweise ein Wegbereiter der Kanalisation in den deutschen Städten, ebenso wie er in der Gewerbehygiene sehr früh auf Grenzwerte für die Schadstoffbelastung der Luft in Fabriken hinwirkte.
… mit Starrsinn
Warum also die komische Frage? Legendär ist der Streit zwischen Max von Pettenkofer und Robert Koch um die Ursachen der Cholera. Cholera-Epidemien traten damals recht häufig auf und haben zu tausenden Sterbefällen geführt. Wenn man sich nun ansieht, wie verbissen Pettenkofer an seiner „Miasmentheorie“ festhielt, an der Idee, dass Cholera irgendwie durch Fäulnis im Boden entsteht oder zumindest erst dort gefährlich infektiös wird, und wie er auch hier durchaus empirisch vorging, aber eben vom Ergebnis her festgelegt, kann man auf die Idee kommen, dass Pettenkofer in manchen Kreisen heute vielleicht tatsächlich als Pseudowissenschaftler etikettiert würde.
Wissenschaftler, die mit Außenseiterideen Recht hatten, gibt es natürlich immer wieder, wenn auch weitaus seltener als Außenseiter, die nur meinen, Recht zu haben. Pettenkofers Miasmentheorie war allerdings keine Außenseiteridee, sondern unter Fachleuten anerkannt. Bis Robert Koch kam. Und Pettenkofer war, wie gesagt, auch kein Spinner, der sich für Einstein hielt, sondern wirklich ein erstklassiger Wissenschaftler. Seine Arbeiten zur Hygiene führten zu Hygienelehrstühlen rund um den Erdball. Auch die Gründung der berühmten Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in den USA geht auf Impulse aus München zurück.
Wenn solche Leute fixe Ideen entwickeln oder seltsamen Vorstellungen anhängen, wird es interessant. Man denke z.B. an Isaac Newtons Leidenschaft für die Alchimie oder Linus Paulings Vitamin-C-Marotte. So etwas kann sowohl in die pseudowissenschaftliche Sackgasse führen als auch auf neue Denkwege. Newtons Bereitschaft, zur Erklärung kosmischer Vorgänge eine Gravitationskraft in Betracht zu ziehen, eine damals kaum vorstellbare geisterhafte Fernwirkung zwischen Körpern, die mechanisch nicht miteinander in Verbindung stehen, wurde vermutlich durch seine alchimistischen Ansichten befördert. Harro Heuser hat darüber vor einigen Jahren ein schönes Buch geschrieben („Der Physiker Gottes“). Und Pettenkofers Choleratheorie verweist, auch wenn kein „Miasma“ im Spiel ist, darauf, dass eine Epidemie oft nicht vom Infektionserreger alleine abhängt, sondern auch von Umweltbedingungen, die die Verbreitung und Inkorporation des Erregers begünstigen.
Weltberühmt ist Pettenkofers Selbstversuch. Um zu zeigen, das Robert Koch mit seiner Erregertheorie falsch liegt, hat er eine Cholera-Kultur getrunken, die ihm das Kaiserliche Gesundheitsamt zur Verfügung gestellt hat. Außer etwas Bauchgrimmen ist ihm nichts passiert. Karl Kißkalt schreibt dazu in seiner Pettenkofer-Biografie 1948, „mir selbst sagte Gaffky [ein Mitarbeiter Kochs, JK]: Wir hatten ihm eine schwache Kultur geschickt, weil wir uns denken konnten, was er vorhatte“. Ob das stimmt – ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall eine schöne Geschichte. Eine andere schöne Geschichte erzählt Wolfgang Locher in seinem Bändchen. Womöglich hat nämlich nicht viel gefehlt und Pettenkofer wäre Schauspieler geworden. Nach einer Apothekerlehre, vor seinem Studium, trat er unter dem Pseudonym „Tenkof“ – Anfang und Ende seines Namens weggelassen – im Nationaltheater Regensburg und im Augsburger Stadtheater auf. Gottseidank hat ihn niemand für eine Karriere im Theater entdeckt. Die Neigung zum Theatralischen hat er sich dennoch erhalten, wie sein Cholera-Selbstversuch zeigt.
Pettenkofers 200. Geburtstag
Am 3. Dezember jährt sich Pettenkofers Geburtstag zum zweihundertsten mal. In München gibt es dazu, im Juli beginnend, eine ganze Reihe von Jubiliäumsveranstaltungen. In dieser Woche gibt es beispielsweise Führungen durch die Münchner Kanalisation, nächste Woche einen Festakt an der LMU München und im Dezember dann ein mehrtägiges Geburtstags-Symposium. Das Bändchen von Wolfgang Locher kommt also genau zur rechten Zeit. Eine gut lesbare, ebenso informative wie unterhaltsame Lektüre über einen der ganz Großen in der Wissenschaft.
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Wolfgang G. Locher: Max von Pettenkofer. Pionier der wissenschaftlichen Hygiene – Wegbereiter für Public Health. Regensburg 2018. 160 Seiten. 12,95 Euro.
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