Wir leben umweltpolitisch in seltsamen Zeiten. Der Klimawandel dringt getriggert durch Wetterextreme immer mehr ins öffentliche Bewusstsein. Der Ausstieg aus der Verstromung fossiler Energieträger, vor allem der Kohle, vollzieht sich gegenüber dem Ausstieg aus der Kernenergie trotzdem nur im Schneckentempo. Und in der Verkehrspolitik gibt es bestenfalls homöopathische Dosen eines Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs. Zugleich ist der der einst als CO2-freundlich angepriesene Dieselmotor als Dreckschleuder in Verruf geraten, es gibt erste Fahrverbote in deutschen Städten infolge der Grenzwertüberschreitungen bei Stickoxiden und in zeitlicher Koinzidenz einen absurden Streit darüber, bei wem die Kosten für die Abgasmanipulationen der Autohersteller abgeladen werden. Eine Situation, die wie geschaffen dafür ist, „wissenschaftlich“ die eine oder andere Seite des Streits zu munitionieren.
Der Lungenarzt Dieter Köhler hat sich festgelegt: Die Grenzwerte bei den Stickoxiden sind Unfug. Ganz grober Unfug sei es, die Stickoxidbelastung auch noch für vorzeitige Sterbefälle verantwortlich zu machen. Der Mann war einmal Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, also ein von Fachärzten gewählter Kompetenzträger, könnte man meinen. Vor allem die Studie des Umweltbundesamtes mit einer Abschätzung von 6.000 vorzeitigen Sterbefällen durch Stickoxide ist für ihn ein rotes Tuch. Da scheut er auch nicht davor zurück, auf der „Achse des Guten“ als Anti-UBA-Trompete aufzutreten und natürlich hat er seine Meinung auch im Deutschen Ärzteblatt kundgetan – und eine harsche Antwort von Joachim Heinrich vom Helmholtz-Zentrum München provoziert, der anders als Köhler selbst zum Thema forscht. Gelernt hat er daraus nichts.
Zugegeben: Mit den statistischen Toten ist das immer so eine Sache. Je nach den Ausgangsdaten und den Rechenmodellen können sich die Ergebnisse dafür, wie viele vorzeitige Sterbefälle einem Risikofaktor zuzurechnen sind, stark unterscheiden. Und weil man das Zusammenspiel der verschiedenen Risikofaktoren und der diversen Confounder, also nicht kausaler, nur statistischer Begleitfaktoren, in epidemiologischen Studien meist nicht ganz sauber in den Griff kriegt, addieren sich die Sterbefälle für die verschiedenen Risikofaktoren gerne mal auf eine Summe, die größer ist als die reale Zahl der Sterbefälle. Mit dem Problem kommunizierender Röhren könnte man sich auch noch beschäftigen: reduziert man einen Risikofaktor, haben andere bessere Chancen, ihre unheilbringende Wirkung zu entfalten. Das ist genauso wie beim Kampf gegen Krebs: je erfolgreicher man hier ist, desto mehr Leute werden zwangsläufig an Herzinfarkten oder anderem sterben. Trotzdem ist das natürlich kein Argument gegen präventive Interventionen: Immer, wenn nach dem Modell kommunizierender Röhren durch die Reduktion eines Risikofaktors andere mehr zur Geltung kommen, wurde ja ein früher oder stärker wirkender Risikofaktor zurückgedrängt, also das Sterben zeitlich nach hinten geschoben. Wir sind alle froh, dass wir nicht mehr im ersten Lebensjahr an Durchfallerkrankungen sterben, auch wenn das dazu führt, dass viele von uns jetzt mit 80 an Krebs oder einem Herzinfarkt dahinscheiden.
Noch ein Cave vorab, um Missverständnisse zu vermeiden: Ich weiß nicht, ob Fahrverbote für Dieselautos ein sinnvolles Instrument zur Luftreinhaltung sind, das ist eine ganz andere Frage als die nach den gesundheitlichen Folgen von Stickoxiden, eine Frage, bei der es um Handlungsfolgen geht und auch darum, welche Alternativen es gibt.
Aber zurück zu Dieter Köhler und seinem ganz persönlichen Kampf gegen die Dieselrisiken. Der Kommentator „luftikus“ hat nebenan gerade auf ein SWR-Interview Köhlers aufmerksam gemacht. Darin erklärt er zu den Stickoxid-Belastungen aus Dieselautos, nachdem er dem Umweltbundesamt fälschlicherweise Dummheit in Form einfacher Stadt-Land-Vergleiche unterstellt:
Dagegen wirkt der Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft in der Außenluft in der Tat albern, auch der von 950 Mikrogramm an arbeitsmedizinisch überwachten Produktionsarbeitsplätzen. Köhler bewegt sich mit seinen Zahlen im Bereich tödlicher Konzentrationen. Vielleicht hat er auch nur Punkt und Komma verwechselt, nach drei Tagen könnte das dann auch mal beim SWR auffallen.
Allein um Punkt und Komma geht es aber nicht. Nicht nur, dass Köhlers Vergleiche nahelegen, als könne man bedenkenlos stundenlang an Adventskranzdämpfen schnüffeln, er bezweifelt auch noch, dass Stickoxide überhaupt die Gesundheit gefährden: „Es gibt auch keine experimentelle Datenlage, die darauf hinweist, dass das überhaupt gefährlich sein kann.“ Was meint er wohl, auf welcher Art Studien der Arbeitsplatzgrenzwert beruht?
Was auch immer Dieter Köhlers Motiv sein mag, ob er meint, übertriebenen Ängsten vor Umweltgefahren entgegen treten zu müssen, ob er befreundeten Automanagern helfen will oder ob er eine andere Agenda hat, er hinterlässt mit seinen Artikeln professoral geadelte, aber medizinisch unsinnige Referenzstellen für alle, die gegen umweltpolitische Regulation ankämpfen, Wissenschaft wird so zum Selbstbedienungsladen.
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