Eigentlich wollte ich nach dem vergeblichen Diskussionsversuch mit dem neuen Homöopathie-Krieger Christian J. Becker noch etwas länger Blogpause zum Thema Homöopathie machen. Herr Becker stellt doch ernsthaft meinen Glauben an die Fähigkeit zur Vernunft infrage. Anders als Leute wie Stefan Lanka oder Hans Tolzin, die offenkundig einfach völlig verbohrt sind, so dass man nicht weiter über sie nachdenkt, legt Becker eine Kommunikationsform an den Tag, die eher an Trump als an LankaTolzin erinnert. Er verteidigt die Homöopathie nicht mit kruden Argumenten auf der Sachebene, sondern agiert bevorzugt auf der persönlichen Ebene, mit dem unbedingten Willen zur Denunzierung und Verunglimpfung seiner selbsterfühlten Gegner, dazu erfindet er ständig neue „Tatsachen“ und verdreht alles, wie es ihm taktisch gerade passt – eine seltsam positionslose Form der flexiblen Hinterhältigkeit. Das muss ich erst mal sackenlassen.
Nun gut, warum trotzdem schon wieder die Homöopathie auf der Agenda steht, liegt an der Beilage „wohl – Das Gesundheitsmagazin“ des SPIEGELs. Dieses Magazin dient zwar offenkundig der Werbung, ist aber so aufgebaut, dass der Unterschied zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen verwischt. Im Impressum wird geschickt der Eindruck der Seriosität generiert, indem dort die „Experten“ aufgelistet werden, die im Heft zitiert werden. Mancher wird das mit einem Beirat verwechseln. Einer der Experten der aktuellen Ausgabe 4/2018 ist z.B. Prof. Lothar Wieler, RKI-Präsident, der in einem der Beiträge für die Grippeimpfung wirbt. Mehr Seriosität geht fast nicht. Als Chefredakteurin firmiert Dr. med. Suzann Kirschner-Brouns, was zunächst ebenfalls eine fachlich qualifizierte Berichterstattung erwarten lässt. Wenn man weiß, dass sie u.a. Mitautorin von „Homöopathie – Das große Handbuch“ ist, wird diese Erwartung sicher etwas gedämpfter ausfallen. Verlag der Beilage ist die SPIEGELnet GmbH, ein Unternehmen der SPIEGEL-Gruppe.
In der aktuellen Ausgabe ist ein Beitrag „Sanfte Fördermittel“ über die Homöopathie. Es ist ein reiner Werbetext, getarnt als redaktioneller Beitrag. Man findet nicht ein einziges Wort (!) über die wissenschaftliche Kritik an der Homöopathie, nicht einmal die üblicherweise verwendeten Vernebelungsfloskeln, dass die Homöopathie „umstritten“ sei oder sich daran „die Geister scheiden“ (wobei ich da immer daran denken muss, ob damit vielleicht mit hintergründigem Humor eine IQ-Grenze gemeint ist). Stattdessen werden zwei „Experten“ mit extra hervorgehobenen Bezügen vorgestellt: Dr. Martin Frei-Erb als „Dozent für Homöopathie am Institut für Komplementärmedizin IKOM, Universität Bern“ und Dr. Annette Schönauer, „Abteilung für Integrative Medizin, Kinderkrankenhaus St. Marien, Landshut, Akademisches Lehrkrankenhaus der LMU“. Die LMU ist in Sachen Homöopathie und Wissenschaft einschlägig bekannt. Von jeder Illusion, es ginge dort vielleicht doch wenigstens am Rande auch um Wissenschaft, bin ich durch persönliche Erfahrung geheilt – einer der wenigen unstrittigen kausalen Heilerfolge durch homöopathische Erfahrungsmedizin.
In dem Beilagen-Artikel wird gegen jeden ernstzunehmenden wissenschaftlichen Konsens unter Berufung auf Robert Mathie behauptet, die Wirksamkeit der Homöopathie sei mittels Studien mit „dem höchsten medizinischen Standard (randomisiert, kontrolliert)“ nachwiesen. Im Anschluss daran kommen auch die „Experten“ zu Wort, z.B. Herr Frei-Erb: „In der Kinderheilkunde und bei der Behandlung der oberen Luftwege sowie der Harnblase ist Homöopathie nicht mehr wegzudenken.“ Der Artikel stellt die Homöopathie so als eine wissenschaftlich einwandfrei legitimierte Methode dar, die im Behandlungsalltag längst ganz normal sei. Nebenbei und ungewollt werden ganze medizinische Fächer unter Quacksalberverdacht gestellt, aber dazu mögen sich die Betroffenen selbst verhalten.
Für diese dreiste Form der getarnten Werbung sollte sich der SPIEGEL schämen. Ein Autor bzw. eine Autorin wird nicht genannt. Der Beitrag ist auch nicht als Anzeige ausgewiesen. Dafür steht eine Anzeige für das homöopathische Mittel „Tonsillopas®“ daneben. Es wird als „Multikomplex aus 6 natürlichen Wirkstoffen“ mit einer Indikationsangabe beworben: „Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Entzündungen des Rachenraums.“ Inwieweit das in Ordnung geht, wäre auch zu diskutieren, aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn der Beitrag „Sanfte Fördermittel“ ein redaktioneller Beitrag war, sollte sich der SPIEGEL bzw. sein Gesundheitsmagazin dafür schämen. Das ist eine Form der Volksverdummung. Und falls es dafür „sanfte Fördermittel“ durch die Zucker-Lobby gab, wäre es für die Aufklärung der Patienten unabdingbar, das offenzulegen.
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