Friedrich Nietzsche sah bekanntlich das Beharren auf Wahrheit als verkappten Willen zur Macht der Schwachen, mit der Wahrheit wollen die Schwachen die Starken in die Defensive bringen. Das Leben, so Nietzsche, wird aber von anderen Motiven dominiert, die lebensdienlicher sind, alles am Laufen halten. Nietzsche dazu in „Jenseits von Gut und Böse“: „Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehen: das heißt freilich auf eine gefährliche Weise den gewohnten Wertgefühlen Widerstand leisten; und eine Philosophie, die das wagt, stellt sich damit allein schon jenseits von Gut und Böse.“
Man muss Nietzsche zugutehalten, dass seine Erkenntnistheorie ohnehin perspektivistisch war, die eine und wahre Wahrheit war ihm fremd. Donald Trump hat Nietzsches Sicht in einer schlichten Weise auf sich bezogen: „Wahr ist, was mir nützt.“
Im Moment macht der grausame Mord an Jamal Khashoggi Schlagzeilen. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, der Krieg im Jemen, die Hinnahme der Schlächtereien Assads oder das Achselzucken gegenüber den verhungernden Kindern in manchen Ländern Afrikas müsste viel mehr Aufmerksamkeit erregen als der Mord an einem Journalisten, der früher zum engeren Umfeld des saudischen Königshauses gehört hat. Ich weiß auch nicht, welches Spiel da politisch gespielt wird und warum ausgerechnet der sonst wenig zimperliche türkische Präsident Erdogan beständig mit neuen Details über den Mord in die Öffentlichkeit geht. Immerhin: dass da ein Mord in besonders perfider Weise beauftragt wurde, scheint unstrittig.
Das Wallstreet Journal meldet nun, die CIA sei sich inzwischen praktisch sicher, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman dahinter steckt. In den Stunden des Mords habe dieser 11 Nachrichten an den Anführer der Operation geschickt. Die FAZ zitiert die CIA: „Wir bewerten es als sehr unwahrscheinlich, dass dieses Team (…) die Operation ohne die Autorisierung von Mohammed bin Salman durchgeführt hat“.
Trump hat sehr frühzeitig klar gemacht, dass er angesichts von mehreren hundert Milliarden Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien und seiner Politik gegenüber dem Iran andere Prioritäten hat als die Rolle des Kronprinzen bei einem Mord: „Vielleicht wusste er es, vielleicht wusste er es nicht“, so sein lapidarer Kommentar, er hätte noch dazu sagen können, „mir doch egal“. Darin ist er sich mit dem lupenreinen Demokraten in Moskau übrigens ganz einig. Die Bilder, die vom Handschlag Putins mit Mohamed bin Salman beim G20-Treffen in Buenos Aires um die Welt gingen, sind schlicht unappetitlich. Trumps Außenminister Pompeo hat Trumps Position nun noch einmal bestätigt. Es geht bei Saudi-Arabien um mehr als ein Menschenleben: „Es bleibt eine wichtige Beziehung und wir streben an, diese Beziehung mit dem Königreich Saudi-Arabien beizubehalten.
Wenn man also die zarten Befindlichkeitsstörungen fernsehender Gutmenschen einmal beiseitelässt: Hat Nietzsche nicht recht? Gibt es nicht Wichtigeres, wenn schon nicht die totgebombten Kinder im Jemen, dann doch die Rüstungsexporte? Ist Moral nicht etwas für Weicheier, die den harten Realitäten des Lebens nicht ins Auge sehen wollen? Derart abgebrüht, d.h. „realpolitisch“, kann man mit der Sache umgehen. Ich muss allerdings gestehen, ich bin so ein moralisches Weichei, und ja, auch deswegen, weil ich nicht zu den Mächtigen dieser Welt gehöre. Ich bin darauf angewiesen, dass der Staat die Grundregeln eines zivilisierten, friedlichen Miteinanders beachtet und seine Bürger unter dieser Maxime nach Möglichkeit auch vor denen schützt, die das anders sehen. Darin liegt für mich das Fundament des Gesellschaftsvertrags und des staatlichen Gewaltmonopols. Wenn jeder anfängt, das Recht über das Leben anderer in die eigene Hand zu nehmen, ist man in der Barbarei angekommen. Das hat dann auch erhebliche „realpolitische“ Folgen.
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