Die Impfung gegen humane Papillomviren (HPV) wurde in Deutschland vor gut 10 Jahren zunächst für Mädchen eingeführt, mit Blick auf die Verhütung des Gebärmutterhalskrebses. Daran erkranken jährlich etwa 4.600 Frauen und 1.500 sterben daran. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat die Impfung in diesem Jahr auch für Jungen empfohlen, da die Viren auch einige Tumorarten bei Männern verursachen können. Daten des Robert Koch-Instituts zufolge waren Ende 2015 in Deutschland 31,3 % der 15-jährigen Mädchen und 44,6 % der 17-jährigen Mädchen geimpft.
Vor kurzem habe ich hier über den Rauswurf des dänischen Epidemiologen Peter Gøtzsche aus der Cochrane Collaboration berichtet. Anlass war ein Streit über Nebenwirkungen der HPV-Impfung. Gestern hat nun Report Mainz der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vorgeworfen, sie würde schwere Nebenwirkungen der HPV-Impfung verheimlichen. Verheimlichen. Rhetorisch wird sogar gefragt, ob Nebenwirkungen „systematisch“ verschwiegen würden. Das ist ein schwerer Vorwurf. Wie der SWR den Ablauf seiner Recherche dazu beschreibt, klingt dann allerdings merkwürdig widersprüchlich:
„Sowohl die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, als auch das Bundesgesundheitsministerium haben auf die Frage, warum die Bürger nicht über schwere Nebenwirkungen informiert werden, nicht geantwortet. Die Redaktion wurde an das Paul-Ehrlich-Institut verwiesen. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die Behörde in klinischen Studien zur HPV-Impfungen seien unerwünschte Ereignisse aufgetreten. Diese könnten auch ein schweres Ausmaß annehmen.“
Man hat nicht geantwortet, aber an die Fachbehörde PEI verwiesen? Dort wurde auf Studienbefunde zu schweren Nebenwirkungen verwiesen? Unter „Verheimlichen“ stelle ich mir etwas anderes vor. Hier geht es wohl eher um eine unkorrekte Darstellung der BZgA zur Schwere der Nebenwirkungen. Das muss man korrigieren, keine Frage.
Allerdings sagt auch das IQWIG auf seiner Seite gesundheitsinformationen.de: „In den bisherigen Studien haben sich keine ernsthaften Nebenwirkungen gezeigt.“ Ein „Verheimlichungskartell“? Pharmanähe wird man dem IQWIG aber kaum unterstellen wollen. Was ist also „schwer“, was ist „ernsthaft“, wie häufig kommen „schwere“ oder „ernsthafte“ Nebenwirkungen vor, gehen sie mit bleibenden Schäden einher oder sind sie vorübergehender Natur und nicht zuletzt, wie fällt die Risiko-Nutzenabwägung aus? Letzteres hat die STIKO übrigens eindeutig beantwortet: Der Nutzen überwiegt bei Weitem.
Fraglich ist also, ob der Beitrag von Report Mainz zu einer besser informierten Entscheidung der Jugendlichen und ihrer Eltern oder eher zu deren Verunsicherung beigetragen hat. Dass schwere Nebenwirkungen der HPV-Impfung sehr selten sind, kam nur am Rande zur Sprache, die klare Risiko-Nutzenabwägung gar nicht. War der vermeintliche Skandal wichtiger? Im Report-Beitrag wurde, wie ein weiterer Vorwurf an die deutschen Behörden, darauf hingewiesen, dass in Japan die Empfehlung für die HPV-Impfung schon 2013 eingeschränkt worden sei. Aber dass dort wohl auch zweifelhafte Daten eine Rolle gespielt haben und es in der Folge zu einem fatalen Einbruch der Impfraten kam, wurde nicht erwähnt. Ich will jetzt nicht fragen, ob der SWR das „verheimlichen“ wollte – vielleicht war auch das nur ein Fehler, wie bei der BZgA. Dieser Fehler könnte aber angesichts der oben erwähnten Zahl HPV-induzierter Krebsfälle fatalere Folgen haben als der Fehler der BZgA. Wie sensibel Eltern auf verunsichernde Berichte beim Impfen reagieren und wie gerne Impfgegner das ausnutzen, sollte sich auch beim SWR herumgesprochen haben. Daraus folgt nicht, zu problematischen Darstellungen bei der BZgA zu schweigen, aber unerwünschte „Nebenwirkungen“ sollte ein guter Medizinjournalismus so gut es geht vermeiden, ganz besonders, wenn er – zu Recht – unausgewogene Informationen anderer kritisiert.
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Zum Weiterlesen:
• Lancet 385; 2015: HPV vaccination crisis in Japan
• Lancet 391; 2018: Rapid response to HPV vaccination crisis in Ireland
• Lancet Public Health 2018: The projected timeframe until cervical cancer elimination in Australia: a modelling study
• BfArM/PEI: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 3/2018, S. 17 ff: Sicherheit der Impfung gegen humane Papillomviren (HPV)
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