„Ich stehe 10-12 Stunden an meinem Arbeitsplatz bei mehreren hundert mikrogramm Stickoxyden in der Luft, dann fahre ich über die Hauptstrasse nach Hause bei Spitzenwerten von 45-55 mikrogramm Stickoxyden bis ich in meiner Wohnung ankomme wo es überhaupt keine klaren Grenzwerte gibt. In Todesgefahr schwebe ich aber offensichtlich nur an der Hauptstrasse. Es erschliesst sich mir einfach nicht, wie man diese 40 mikrogramm der WHO nicht als totalen Humbug sehen kann.“
Der Kommentar zieht aus dem Argument mit dem Arbeitsplatzgrenzwert eine logisch falsche Schlussfolgerung. Das Mortalitätsrisiko steigt natürlich nicht nur auf der Straße, sondern auch an den belasteten Arbeitsplätzen.
„Allein die Zahl von angeblich 70 000 Studien sagt einem doch schon, dass die Zusammenhänge nicht eindeutig sind. Aus den Statistiken bekomme ich nur Korrelationen und keine Kausalzusammenhänge heraus. Ob jetzt die Anwohner einer Straße häufiger erkranken, weil sie schlechter Luft einatmen oder weil die Wohlhabenderen, die sich eine bessere Gesundheitsfürsorge leisten können, von vornherein nicht dort wohnen, verrät einem keine Statistik. (…) Wenn bei zahllosen Alltagsfällen der NOx-Grenzwert um ein Vielfaches überschritten wird (Kerze: 100 µg/m3; Gasherd: bis 4000 µg/m3), dann kann ein Überschreiten von 40µg/m3 wohl keine echten Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann.“
Während die einen monieren, es gäbe keine Studien, wird hier stattdessen die große Zahl der Studien als Argument genutzt. Beides geht offensichtlich. Aber viele Studien mit Ergebnissen in der gleichen Richtung unterstreichen nach den Kriterien von Bradford Hill, dass nicht nur Korrelation, sondern Kausalität vorliegt. Dass Confounder wie der Sozialstatus zu berücksichtigen sind, gehört zum kleinen Einmaleins der Epidemiologie und muss, wenn keine numerische Berücksichtigung möglich ist, zumindest in der Diskussion mitbedacht werden.
Des Weiteren kommt hier das von Dieter Köhler und Mitstreitern stark gemachte Argument mit den Kerzen und Gasherden. Dabei geht es aber um kurzzeitige Spitzenbelastungen, nicht um eine langfristige Durchschnittsbelastung. Wer auf der Autobahn einmal 240 fährt, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach auch überleben, wer es oft macht, hat weniger gute Aussichten. Und dass es in anderen Fällen noch schlimmer ist, wäre ohnehin kein gutes Argument.
„Die unwesentlichen Rechenfehler vom Lungenarzt Köhler heben die Hauptargumentation ja nicht auf. Es geht ja hier um die NOx Grenzwert und nicht um das Zigerettenrauchen. 50 als Grenzwert wurde nicht gewählt, weil dann ja keine Fahrverbote zu folgern wären, da kommt 40 den Ideologen schon gelegener. Wieviel Rechenfehler stecken wohl in der Berechnung der angeblichen Tausenden von Stickoxid Toten, die es ja in keiner Statistik gibt.“
Dieser Kommentar verteilt die Anforderungen an die erforderliche Exaktheit ungleich. Nachdem Köhler sowieso keine Studiendaten vorgelegt hat, sondern nur Milchmädchenrechnungen (oder die oben anders verwendete „Pi mal Daumen-Methode“?), gesteht man ihm auch noch zu, dass er Fehler machen darf, ohne dass das seine Argumentation beeinträchtigt, während die – unstrittige – Möglichkeit von Fehlern in den Studien die Evidenz gänzlich unterminiert? Auch das ist eine Form von „motivated reasoning“.
Laien und Wissenschaftler
Rekapituliert man den Verlauf solcher Kommentarschlachten im Internet, so fällt auf, dass es kaum einen Fortschritt in der Herausarbeitung von tragfähigen Argumenten gibt. Zwar beziehen sich viele Kommentaren aufeinander, aber das sind meist nur kurze Schlagabtausche und kurz danach im gleichen Thread oder in einem anderen kommen die gleichen Argumente wieder. Die Dinge drehen sich im Kreis. Es geht mehr um Revierkämpfe als darum, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Dinge vernünftig zu lösen sind. Das ist bei Themen wie Impfen, Homöopathie, Glyphosat oder Nichtraucherschutz nicht viel anders.
Und die Wissenschaft? Sie kann in manchen Fällen auch im Sumpf der Interessenkonflikte versinken. Lobbyisten haben das regelrecht als Strategie entwickelt. Das berühmteste Beispiel ist wohl die Tabakindustrie, die das in einem Strategiepapier explizit formuliert hatte:
„Doubt is our product since it is the best means of competing with the ‚body of fact‘ that exists in the mind of the general public. It is also the means of establishing a controversy.“
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