Ganz schnell musste es jetzt gehen. Der ursprünglich von der CDU eingebrachte Beschlussantrag, nur noch gegen Masern geimpfte Kinder in Betreuungseinrichtungen aufzunehmen, ist von der SPD und der Linken als fraktionsübergreifender Antrag umgehend mitgetragen – und gestern gleich beschlossen worden. Wozu lange diskutieren, wenn das Thema eh so kompliziert ist. Sollen sich andere darüber den Kopf zerbrechen.

Die Landesregierung in Brandenburg muss das jetzt irgendwie umsetzen. Im Gesundheitsministerium dort wird das Nachdenken darüber auf vollen Touren laufen, für welche Betreuungseinrichtungen der Impfvorbehalt gelten soll, wann die Regelung kommen soll und ob es Übergangsfristen geben soll, wie genau die Altersregelungen aussehen sollen, was z.B. mit ganz kleinen Kindern geschehen soll, die noch nicht geimpft werden können, wie mit medizinisch begründeten Ausnahmen umzugehen ist, ob es auch andere Ausnahmen geben soll, oder, für Juristen vermutlich eine Kopfnuss, wie man damit umgehen soll, dass in Deutschland ein Einzelimpfstoff gegen Masern gar nicht ohne Weiteres verfügbar ist. Geimpft wird meist gegen Masern, Mumps und Röteln zusammen, manchmal auch noch zugleich gegen Windpocken. Wird die Rechtsvorschrift daher auch die Impfung gegen Mumps und Röteln verpflichtend machen, oder explizit nur von den Masern sprechen und für Mumps und Röteln gibt es quasi eine unausgesprochene technische Impfpflicht? Wird der Erfolg des Ganzen systematisch evaluiert, nicht nur mit Blick auf die Impfquoten, sondern z.B. auch mit Blick auf die Betreuungsquoten in einzelnen Bevölkerungsgruppen?

Und das werden sicher nicht die einzigen Fragen sein, die die Fachleute im Brandenburgischen Gesundheitsministerium nun umtreiben. Ich hoffe, bevor die Brandenburger das dann als Bundesratsinitiative einbringen, was ebenfalls Teil des Landtagsbeschlusses ist, sind die wichtigsten offenen Fragen geklärt. Ich bin gespannt.

Kommentare (7)

  1. #1 Stephan
    13. April 2019

    In einer auf Freiheit gegründeten Gesellschaft wären das alles keine Fragen.
    Ein Teil der gestellten Fragen sind sogar in der unsrigen keine Fragen.

  2. #2 Joseph Kuhn
    13. April 2019

    Nachtrag, Rechtslage 2015 und 2019:

    2015, als auch in Brandenburg schon einmal über eine Impfpflicht diskutiert wurde, hat ein Gutachten im Auftrag der CDU-Landtagsfraktion eine landesrechtliche Regelung “Impfen vor Kita” aufgrund einer Kollision mit bundesrechtlichen Vorgaben zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgeschlossen.

    Die MAZ zitierte damals Raik Nowka, den gesundheitspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, mit den Worten: „Das ist bedauerlich, aber nun haben wir Klarheit über die rechtlichen Möglichkeiten“.

    Jetzt ist man zu einer anderen Bewertung der rechtlichen Möglichkeiten gekommen und gewichtet offensichtlich den bundesrechtlich geregelten Anspruch auf einen Betreuungsplatz geringer. Die Hintergründe dazu wären interessant.

  3. #3 rolak
    13. April 2019

    interessant

    Allerdings, Joseph, es muß mir ja nu wirklich nicht jedes formale Zucken der Legislativen und der angeschlossenen Bürokratien oktroyierenderweis kommuniziert werden – doch die für diesen Übergang nötigen Anderungen scheinen mir recht grundlegend zu sein. Das ärgerte schon, wenn sich sowas vorbeigeschlichen haben sollte.
    Mal sehen, wie verdaulich der ‘veraltete’ Text ist, schon mit dem recht anfänglichen “nur dann (..), soweit”-Konstrukt stehe ich auf Kriegsfuß. lingua jurisprudentia?

    Impfen vor Kita

    Meine Güte, das geht doch auch drinnen…

  4. #4 Joseph Kuhn
    13. April 2019

    Lob des Spritzenstandrechts in der FAZ:

    Die FAZ kommentiert die Impfpflicht in Brandenburg mit einem Stöhnen der Erleicherung: “Endlich!”.

    Dann kann man lesen: ” Seit Jahren nimmt die Zahl der Maserninfektionen in Deutschland zu.” Das ist einfach falsch, ein Beispiel für dummen Journalismus.

    Schuld seien, neben der verlorenen Angst vor den Infektionskrankheiten, ideologische Einstellungen und Egoismus. Ich glaube nicht, dass ideologische Einstellungen und Egoismus bei den Eltern in Brandenburg eine relevante Rolle spielen. Im Einschulungsalter sind über 95 % der Kinder zweimal gegen Masern geimpft.

    Weiter: “Außer Frage steht: Ein staatlicher Eingriff in die Freiheit jedes Einzelnen muss einer der letzten möglichen Schritte bleiben und einer, der sorgfältig bedacht wird.”

    So sorgfältig, dass man sich nicht einmal den tatsächlichen Trend der Maserninfektionen und der Impfraten anschaut? Wie viele Maserninfektionen gab es übrigens 2019 in Brandenburg? Ach, egal. Und haben nicht gerade Blätter wie die FAZ immer für Staatsabbau getrommelt, also auch für den ausgemerkelten ÖGD, den wir heute haben? Wer soll in die Kitas und Schulen gehen, vor allem auch in die Berufsschulen und Universitäten, zu den jungen Erwachsenen mit den Impflücken?

    Frau Schmidt von der FAZ weiter: “Jahrelange Diskussionen, zahlreiche Aufklärungskampagnen, gutgemeinte Appelle und wissenschaftlich fundierte Erklärungen konnten allesamt nicht zur nötigen Wissensaneignung und Vernunft in dem sich verweigernden Teil der Gesellschaft beitragen.”

    Mehr als die Alternative zwischen befolgtem Appell und Zwang kann sich der neoliberale Frankfurter Zeitgeist eben nicht vorstellen. Ein guter ÖGD wäre ja mehr Staat, den will man dann doch nicht bezahlen. Zwang scheint billiger, bis man merkt, dass der auch von irgendwem umgesetzt und durchgesetzt werden muss, im Falle einer Impfpflicht in Frankfurt übrigens auch im eigenen gutsituierten und alternativmedizinisch angehauchten Milieu. Viel Spaß.

    Ich wäre ja inzwischen für einen Denkzwang für Journalisten: die Pflicht, erst zu denken, dann zu schreiben. Jahrelange Erklärungen konnten allesamt nicht zur nötigen Wissensaneignung in den Redaktionen beitragen, nicht einmal die akuten Erfahrungen mit den Lungenärzten, all das hat gegen die ideologischen Einstellungen nichts genützt. Jetzt muss der Staat handeln! Wir brauchen ein Denkzwanggesetz für Journalisten!

  5. #5 Joseph Kuhn
    13. April 2019

    Ein Stein im Rollen, die ZEIT zitiert ein paar Stimmen aus anderen Ländern:

    1. In Nordrhein-Westfalen sagt der Kinder- und Familienminister Joachim Stamp (FDP): “Ich bin für eine generelle Impfpflicht – das gilt auch für Kindergärten”. Was meint er mit “generellen Impfpflicht”? Eine, die auch Erwachsene einschließt? Oder alle Impfungen? Hoffentlich klärt das noch jemand, bevor es gemacht wird.

    2. In Hamburg wird neben einer Impfpflicht vor Kita auch eine Impfpflicht für Betreuungspersonal gefordert. Die Regelung könnte wenigstens die Maxime “wenn schon, denn schon” für sich in Anspruch nehmen.

    3. Und auch Sachsen will eine Impfpflicht. Aber: Die sächsische Gesundheitsministerin “Klepsch verwies dabei auf den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der nicht an Bedingungen geknüpft sei.”

    4. Die Umsetzung des Landtagsbeschlusses in Brandenburg soll der ZEIT zufolge in Form einer “Impfverordnung” erfolgen.

    Rechtsverordnungen sind untergesetzliche Regelungen, sie bedürfen einer gesetzlichen Ermächtung des Verordnungsgebers. Ich bin gespannt, worauf man sich dabei in Brandenburg stützt.

    Nachtrag 14.4.: Möglicherweise will man den Verordnungsweg gehen, weil die Zeit für ein Gesetz bis zur Landtagswahl am 1.9. nicht mehr reicht. Danach verfällt alles, was der alte Landtag beschlossen hat, der sog. “Diskontinuität”. Das ist aber nur eine Spekulation von mir.

  6. #6 nota.bene
    14. April 2019

    Masern sind keine banale Erkrankung, aber nicht vergleichbar mit Pocken, Ebola oder Kinderlähmung. Trotzdem werden sie seit einiger Zeit wie ein epidemiologischer Notfall behandelt, der von Behörden umfangreiche Aktivitäten einfordert, die inzwischen weit über das Ziel hinaus schießen: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/klagenfurt-busfahrer-an-masern-erkrankt-busbetrieb-eingestellt-a-1262239.html
    Das alles nur wegen einer Minderheit von Leuten, die aus Faulheit, Nachlässigkeit oder Dummheit gar nicht oder nicht ausreichend geimpft sind. Die Amtsärzte müssen sich sogar die Wochenenden um die Ohren schlagen, um diejenigen vor einer Ansteckung zu schützen, die sich nicht durch eine Impfung vor einer Ansteckung schützen lassen wollen. Dieser behördliche Schutz ist sogat einklagbar. Mit einer ausreichend hohen Durchimpfungsrate dagegen wären Masern keiner Erwähnung mehr wert, und auch Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, wären geschützt. Von mir aus könnte es eine generelle Impflicht geben.

  7. #7 Joseph Kuhn
    14. April 2019

    @ nota.bene:

    “Von mir aus könnte es eine generelle Impflicht geben.”

    Eine Impfpflicht soll einen Zweck erfüllen. Als Selbstzweck oder Symbolpolitik ist sie nicht gut begründet, auch nicht als Machtdemonstration gegenüber Impfgegnern oder gedankenlosen Impfversäumern.

    Nicht eine Impfpflicht schützt, sondern Impfen. Mich würde daher z.B. interessieren, wie viele von den Kindern, die in Brandenburg zur Kita angemeldet werden, nicht gegen Masern geimpft sind und warum nicht. Weiß das überhaupt jemand? Die gleiche Frage stellt sich in den anderen Bundesländern.