Das Bundeskabinett hat heute den überarbeiteten Entwurf des Masernschutzgesetzes beschlossen. Die im Referentenentwurf unter Abschnitt A ursprünglich enthaltenen falschen Aussagen über eine zunehmende Impfmüdigkeit sind entfallen, in Abschnitt C wird auch nicht mehr pauschal Alternativlosigkeit behauptet. Der unüberlegte Anfang der Dinge ist also nicht mehr so sichtbar.
Der Impfpflicht unterliegen, wie schon im Referentenentwurf vorgesehen, Kinder und Betreuungspersonal. Allerdings ist der Personenkreis genauer definiert und die Kontrollen sind gegenüber dem Referentenentwurf etwas modifiziert. Ehrenamtliche sind der Gesetzesbegründung zufolge eingeschlossen.
Etwas unsicher bin ich, was die Impfverpflichtung für die Gesundheitsberufe angeht, eigentlich ein wichtiger Punkt. Wie glaubwürdig ist ein Arzt, der impfen soll, aber selbst nicht geimpft ist? Der Gesetzentwurf nennt nun aber explizit Einrichtungen gem. § 23 IfSG, Satz 3, Nr. 1 – 4. Demnach wären die niedergelassenen Ärzte und Praxen der sonstigen Gesundheitsberufe (z.B. Heilpraktiker), anders als im Referentenentwurf, nicht mehr betroffen, ebenso nicht Tageskliniken oder ambulante Pflegedienste. Aber das muss ich mir noch einmal in Ruhe durchlesen. Vielleicht habe ich da etwas übersehen. Falls nicht, war die Lobbyarbeit der “Ärzte für individuelle Impfentscheidung“ zumindest in eigener Sache erfolgreich?* siehe Edit unten.
Neu hinzugekommen sind eine ganze Reihe weiterer Bestimmungen. Es gibt eine neue Meldepflicht für Erkrankungen und Sterbefälle durch SSPE (und für weitere Erreger, z.B. Bornaviren, aber das wird bei der IfSG-Novellierung nur mitgeregelt, hat mit der Masernimpfpflicht nichts zu tun); eine Bundesstatistik über den öffentlichen Gesundheitsdienst soll aufgebaut werden (ob das wirklich mit den Ländern abgestimmt wurde?), ebenso die schon länger geplante Mortalitätssurveillance (eine schnelle Meldung aller Sterbefälle durch die Standesämter ans RKI); die bisher auf freiwilliger Kooperation beruhende KV-Surveillance zur Erfassung der Impfquoten bei gesetzlich versicherten Kindern wird verpflichtend; Gesundheits- und Betreuungseinrichtungen müssen in einem erweiterten Umfang Informationen an die Gesundheitsämter übermitteln.
Das Verhältnis zwischen der freien Berufswahl des Betreuungspersonals und der Impfpflicht ist in der Gesetzesbegründung jetzt ausführlich geregelt, ebenso das zwischen dem sozialrechtlichen Anspruch auf einen Kita-Platz und der Impfpflicht.
Das eine oder andere könnte noch zu Diskussionen mit den Ländern führen, z.B. die Bundesstatistik über den öffentlichen Gesundheitsdienst oder die Aufgabenmehrung für die Gesundheitsämter. Die nun verpflichtende Kooperation zwischen den kassenärztlichen Vereinigungen und dem RKI könnte Phantasien anregen, ob hier den Kassenärztlichen Vereinigungen Perspektiven in der Versorgungsforschung vorgezeichnet werden, also Aufgaben jenseits des Sicherstellungsauftrags und des Honorarverteilungsgeschäfts, aber damit überinterpretiere ich vermutlich.
Eines wird mit der Kabinettsvorlage allerdings ganz deutlich: Die Gesundheitsämter sollten jetzt ernsthaft darüber nachdenken, was das 2018 von der Gesundheitsministerkonferenz beschlossene neue ÖGD-Leitbild für ihr Selbstverständnis bedeutet. Das Masernschutzgesetz kann man als Impuls zurück zur Seuchenpolizei sehen, während das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz ein Impuls zur Entwicklung in Richtung einer regionalen Public Health-Agentur war. Die Gesundheitsämter müssen beides leisten, Überwachung und Koordination. Aber was bedeutet das und wo liegt in der Austarierung dieser „doppelten Kompetenz“ die Zukunft des ÖGD?
Das Gesetz ist noch in statu nascendi. Nach dem Kabinett muss jetzt der Bundestag zustimmen. Die Zustimmung des Bundesrats ist aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums nicht erforderlich. Ob da schon das letzte Wort gesprochen ist, weiß ich nicht, aber dass zum Gesetzentwurf insgesamt das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, dessen bin ich mir doch recht sicher.
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* Edit 18.7.2019: Da hatte ich mich in der Tat verlesen. Die Eingrenzung auf die Punkte 1-4 bezieht sich auf § 33 IfSG, nicht auf § 23. Etwas irritierend ist, dass es in § 33 (bisher) keine Punkte 1-4 gibt.
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