Nur ein Formular?
In den besseren medizinischen Fachzeitschriften ist es inzwischen üblich, dass die Autoren (und Autorinnen) ein Formular zu potentiellen Interessenkonflikten ausfüllen müssen. Als Standard gelten die „Recommendations for the Conduct, Reporting, Editing, and Publication of Scholarly Work in Medical Journals“ des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE).
Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist Teil einer zeitgemäßen Publikationsethik. Dabei geht es nicht darum, zu erfragen, ob die Autoren bei den Studienergebnissen bewusst auf die Interessen von Geldgebern Rücksicht genommen haben – das wäre schlicht Betrug und so etwas würde natürlich niemand freiwillig einräumen. Bei der Erklärung von Interessenkonflikten geht es vielmehr darum, einschätzen zu können, ob es bei den Autoren ein Nebeneinander von primären und sekundären Interessen gibt. Primäre Interessen sind die i.e.S. wissenschaftlichen und patientenorientierten Interessen, sekundäre Interessen z.B. Verpflichtungen gegenüber Unternehmen oder anderen Akteuren mit Interesse an den Studienergebnissen. Wenn ein Autor einer Pharmastudie beispielsweise offenlegt, dass er früher Drittmittel von einer Pharmafirma bekam, die von den Ergebnissen der Studie profitieren könnte, folgt nicht die Ablehnung der Publikation, aber man weiß dann, dass der Autor seine Befunde möglicherweise nicht ganz unbefangen interpretiert und in welcher Beziehung man besonders aufmerksam sein muss. Lediglich Artikel, die in irgendeiner Weise mit der Tabakindustrie verbunden sind, werden von manchen Zeitschriften grundsätzlich nicht mehr veröffentlicht, weil man auch durch eine Offenlegung von Interessenkonflikten nicht glaubt, dem manipulativen Treiben der Tabakindustrie wirksam begegnen zu können.
Beeinflussung trotz gutem Gewissen
Hinter der Forderung, potentielle Interessenkonflikte offenzulegen, steht die Einsicht, dass auch Autor/innen, die sich selbst als völlig neutral wahrnehmen, dann, wenn sie Verbindungen zu Unternehmen oder anderen Interessengruppen haben, davon oft doch beeinflusst sind. David Klemperer, der sich über viele Jahre intensiv mit dem Thema Interessenkonflikte beschäftigt hat, weist auf die tiefsitzenden Reziprozitätsneigungen im menschlichen Verhalten hin: Man fühlt sich eben, gerade als anständiger Mensch, verpflichtet, Vertrauen mit Vertrauen zu erwidern, auf Zuwendungen mit Sympathie zu reagieren, egal ob man früher einmal Drittmittel für die Forschung bekam, einen bezahlten Kongressbesuch oder auch nur eine Einladung zum Essen. „MEZIS -Mein Essen zahl ich selbst“, heißt ein Ärzteverein, der auf dieses Problem aufmerksam machen will.
Wir sind doch die Guten …
Es geht dabei nicht nur um finanzielle Beziehungen. In meinem beruflichen Umfeld werden z.B. immer wieder wissenschaftliche Artikel geschrieben, bei denen unklar ist, ob dabei der Autor unabhängig von der Position der Behörde spricht, die ihn beschäftigt. Das sollte aber klar erkennbar sein. Autorenartikel werden von den Autoren verantwortet und wenn in einer Behörde angestellte Autoren bei einem Thema in Gefahr stehen, in einer der Sache unangemessenen Weise Rücksicht auf die Position ihrer Behörde nehmen zu müssen, sollten sie das als Interessenkonflikt angeben. Manchmal kann es auch angezeigt sein, einen Artikel dann nicht unter der Affiliation der Behörde zu veröffentlichen, sondern als Privatperson. Ich habe das mehrfach so gehandhabt.
Dass das publikationsethische Bewusstsein im behördlichen Umfeld erkennbar noch nicht sehr ausgeprägt ist, hat auch damit zu tun, dass der Staat als neutraler Akteur ohne kommerzielle Interessen gilt. Das ist richtig, aber richtig ist auch, dass man manchmal bei wissenschaftlichen Artikeln behördlicher Autoren „politische“ Rücksichten in Rechnung stellen muss und daher bei Veröffentlichungen zu manchen Themen öfter als bisher ein Interessenkonflikt angegeben werden sollte – auch wenn man sich selbst für gänzlich neutral hält.
… und haben auch nur das Gute im Sinn
Ein anderes Beispiel mit wenig ausgeprägter Publikationsethik sind weltanschaulich geprägte Gesundheitsthemen. In der aktuellen Homöopathie-Debatte verweist der homöopathische Arzt Heinrich Hümmer derzeit wiederholt auf eine von ihm als Erstautor verfasste Fallstudie zur Heilung eines Lymphoms durch Homöopathie. Ein Mitautor ist ebenfalls homöopathischer Arzt, die Letztautorin in einem Labor tätig, das Beziehungen zur Alternativmedizin unterhält. Als Disclosure Statement schreiben sie: „Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.“ Vermutlich glauben sie das wirklich. Aber in dem Fall zeigt das nur, dass sie nicht einmal das Konzept der Erklärung von Interessenkonflikten verstanden haben. Hier liegt kein potentieller Interessenkonflikt vor, sondern ein manifester.
Ich habe nicht nachgesehen, wie in den alternativmedizinischen Fachzeitschriften ansonsten mit dem Thema umgegangen wird. Möglicherweise wird hier von den Verlagen, darunter sind auch renommierte Wissenschaftsverlage wie Thieme, oft gar keine Erklärung zu Interessenkonflikten gefordert. Umso wichtiger wäre es, das Bewusstsein für diese Problematik auch hier zu befördern. Der Glaube, selbst das Gute zu vertreten und daher gar nicht in die Situation kommen zu können, nicht nur im Interesse der Patienten zu handeln, sondern auch sekundären Interessen nachzugeben, ist ein gefährlicher Glaube. Auch dafür gibt es übrigens einen Fachbegriff: Bias blind spot.
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Zum Weiterlesen:
• Klemperer D (2016) Interessenkonflikte. In: Schröder-Bäck P, Kuhn J (Hrsg.) Ethik in den Gesundheitswissenschaften. Weinheim/Basel: 394-405.
• Politik, Industrie, Wissenschaft und wissenschaftliche Integrität
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