Heribert Prantl, bis Anfang des Jahres Leiter des Meinungsressorts der Süddeutschen Zeitung, stilisiert sich seit einigen Jahren zum Gutmenschen. Wir brauchen Gutmenschen. Oft sind Prantls streitbare Wortmeldungen nur allzu berechtigt, auch wenn der pastorale Unterton mitunter etwas nervt. In der Wochenendausgabe der Süddeutschen hat Prantl nun seine Meinung zur Krankenhausdebatte von sich gegeben, die kürzlich von der Bertelsmann-Stiftung auf der Basis einer Regionalstudie in Nordrhein-Westfalen neu entfacht wurde.
Prantl kritisiert zunächst – zu Recht – das zunehmende Renditedenken im Gesundheitswesen. Damit wendet er sich dann gegen die Forderungen, die Zahl der Krankenhäuser zu reduzieren: Das sei „ganz im Interesse von Giganten wie der Rhön-Klinikum AG, in deren Aufsichtsrat Liz Mohn sitzt, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung.“ Moral gegen Geld, lautet die Prantlsche Inszenierung. Wer weniger und größere Krankenhäuser will, argumentiert aus dem moralischen Abseits der Großkonzerne. Ob Prantl glaubt, dass den Krankenhäusern Mindestmengen vorgegeben werden, um Stückkosten zu senken? Wahrscheinlich nicht, von Mindestmengen hat er vermutlich so wenig gehört wie von den diversen internationalen Vergleichsstudien zur Qualität der stationären Versorgung – und dass Deutschland dabei nicht gut abschneidet.
Es geht weiter damit, dass Prantl meint, es gäbe nicht zu viele Krankenhäuser, sondern das Gesundheitswesen „krankt vor allem daran, dass das System der Fallpauschalen, nach dem die Abrechnung stationärer Krankenhausleistungen erfolgt, die Gesundheitsversorgung monetarisiert hat“. Wieder das böse Geld, als ob die früheren Tagessätze keine „Monetarisierung“ gewesen wären. Ohne „Monetarisierung“ geht es auch im Gesundheitswesen nicht. Ärzte und Pflegekräfte wollen schließlich auch Geld verdienen und nicht für Gotteslohn arbeiten, wie es Prantl in romantischer Phantasie vielleicht als Ideal vorschwebt. Es geht auch nicht ohne ökonomische Effizienz, Geldverschwendung im Gesundheitswesen ist keine Tugend. Und die Kritik daran, dass in den Krankenhäusern zu oft „die Niere in Zimmer 12“ oder „die Leber in Zimmer 13“ statt Herr Müller und Frau Meier behandelt werden, ist älter als das DRG-System. Dass die Medizin zu kalt, zu technisch und zu ökonomisch geworden ist, kann man schon in Ivan Illichs „Die Nemesis der Medizin“ aus dem Jahr 1976 nachlesen. Da ist viel dran, an Prantls Krankenhaus-Romantik nicht.
Prantl wird an dem Punkt regelrecht pathetisch: Er spricht vom „heimatlichen Wunsch der Menschen, ein Krankenhaus möglichst nahe zu wissen“. Das Krankenhaus in der Nähe „als ein Stück Heimat ist ein in dieser Debatte immer wieder bemühter Topos. Im ländlichen Raum ist die Schließung des örtlichen Krankenhauses in der Tat ein weiterer Mosaikstein des Verschwindens von Infrastruktur und hier müsste man sich etwas überlegen, um dem entgegenzuwirken. Darüber gibt es gar keinen Dissens, niemand will mit dem Rasenmäher Krankenhäuser schließen. Aber ein großer Teil der kleinen Krankenhäuser befindet sich gar nicht auf dem Land, sondern in städtischen Verdichtungsräumen und ich kann mir nicht vorstellen, dass für jemanden in München das nächstgelegene Krankenhaus wirklich ein „Stück Heimat“ ist. Da hatte die alte Werbung der Metzger, Fleisch sei ein Stück Lebenskraft, mehr für sich.
Nicht, dass das DRG-System keine unerwünschten Nebeneffekte in der stationären Versorgung hätte. Dadurch ist z.B. im Zusammenspiel mit den öffentlichen Sparhaushalten der Druck zur Privatisierung der Trägerlandschaft gestiegen. Gerade wer Krankenhäuser zur Grundversorgung auf dem Land erhalten will, sollte sich überlegen, wie die kommunale Trägerschaft von Krankenhäusern wieder gestärkt werden kann. Dann, wie Fehlsteuerungen des DRG-Systems abzustellen wären, wie Bedarfs- und Qualitätsaspekte stärker in der Vergütung berücksichtigt werden könnten und last but not least, wie man die Länder dazu bewegt, ihre Verpflichtung zur Refinanzierung der Investitionskosten der Krankenhäuser einzuhalten.
Prantls Artikel endet damit: „Kaiser Joseph II., ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia, hat im Foyer der im Jahr 1784 in Wien neu errichteten Frauenklinik eine Tafel mit folgender Inschrift anbringen lassen: ‚In diesem Haus sollen die Patienten geheilt und getröstet werden.‘ Solche Tafeln braucht es auch 235 Jahre später. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Nirgendwo aber wird man so viel angetastet und abgetastet wie im Krankenhaus und beim Arzt. Wir brauchen daher den Geist und das Denken, das in diesen Worten steckt: ‚In diesem Haus sollen die Patienten geheilt und getröstet werden.‘“
Einmal davon abgesehen, dass das Abtasten gerade nicht zu den gewinnbringenden hochtechnisierten Verfahren gehört, auch nicht zu den Verfahren, die unbedingt in großen Zentren zu erfolgen hätten, muss irgendeiner Prantl einmal erklären, dass Medizin heute nicht mehr auf dem Stand von 1784 heilt. Zumindest ich wäre im Falle eines Herzinfarktes doch gerne in einem Krankenhaus mit Herzkathetereinheit – und zwar mit sprechender Medizin, guter Pflege, einem guten Entlassmanagement und einer gut organisierten Nachsorge. Wenn das gewährleistet ist, kann man von mir auch noch die Tafel von Kaiser Joseph II. aufhängen.
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