Die Diskussion um alternativmedizinische Behandlungen wird in den ungewöhnlich unterrichteten Kreisen oft als Kampf zwischen Gut und Böse inszeniert. Hier Big Pharma, das Reich des Bösen, beherrscht vom Mammon, dort die sanfte Alternative aus einer besseren Welt. Ich habe zwar nie verstanden, warum z.B. Firmen im Imperium von Quandt-Erben allein dadurch gut werden, dass sie Globuli herstellen, aber ist halt so. Und Big Pharma ist ja wirklich ein Biotop dunkler Machenschaften. Das Andere dessen muss also gut sein, zwingend, das verlangt die Logik.
Zu diesem Anderen gehört bekanntlich auch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Die NZZ schätzt den Umsatz dieses Zweigs der besseren Welt auf 100 Mrd. Euro. Aber in der anderen Welt spielt Geld keine Rolle. Schon gar keine böse. Außerdem ist das verglichen mit Big Pharma Kleingeld. Wobei, wie man aus der homöopathischen Parallelwelt weiß, auch kleinste Summen große Wirkungen haben können. Angeblich.
Ich schweife ab. Letzte Woche hat der SPIEGEL gemeldet (36/2019, S. 86), dass in Asien das Tokeh-Gecko selten wird. Wer hat davon je gehört? Der TCM sei Dank: Jetzt weiß man, dass es dieses Tier gibt, dass es früher häufig war und jetzt selten. Und zwar deswegen selten, weil es so oft getrocknet und pulverisiert in der chinesischen Apotheke landet. Es soll, so der SPIEGEL, gegen Impotenz, Asthma, Diabetes oder Hautleiden helfen. Genauso wie z.B. Nashorn-Hörner oder Tigerknochen. Gegen Asthma würde in China vermutlich saubere Luft besser helfen, gegen Diabetes eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung. Aber wozu, wenn es sanftere Alternativen gibt. Noch. Auch Tiger und Nashörner werden selten. In Bayern wurden schon lange keine mehr gesehen. Ob die Chinesen schuld sind?
Unbekannt dürfte den meisten Leuten auch das Pangolin sein, das „Tannenzapfentier“, dessen Schuppen gegen Kopfschmerzen helfen sollen. Zu Oktoberfestzeiten in Bayern ein Notfallmedikament mit Potential. Vermutlich hilft es auch gegen Impotenz, Asthma, Diabetes oder Hautleiden. Dass die Chinesen wissen, was Tokeh von Pangolin unterscheidet, oder das gar anhand klinischer Phase I-III-Studien untersucht haben, ist schließlich nicht anzunehmen. Das Pangolin ist, wie man liest, in Asien auch schon selten geworden.
Und schon mal das Wort Plumploris gehört? Nein? Chinesische Apotheker möglicherweise schon. Es ist inzwischen selten, alle Arten gelten als gefährdet oder stark gefährdet, muss also so was wie das Tokeh oder das Pangolin sein und wird auch gegen irgendwas helfen. Gegen Artenschwund eher nicht. Seepferdchen kennt dagegen jeder. Sie fördern – wie das Gecko oder Tigerknochen – die Potenz, also die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Bei uns reicht dazu ein Porsche oder ein tiefergelegter Opel. Oder, alles hängt mit allem zusammen, ein BMW, das ist dann Quandtenmedizin. Selber fortpflanzen können sich die pharmazeutisch verarbeiteten Seepferdchen allerdings nicht mehr so gut, sie gehören, man ahnt es, auch durch die alternativmedizinische Nachfrage zu den bedrohten Arten.
Und so weiter und so weiter. Am Aussterben der Dinosaurier war die Traditionelle Chinesische Medizin übrigens nicht beteiligt. Sie sind potenztherapeutisch gesehen umsonst gestorben. Was für eine Verschwendung! Diese Kraft! Einfach weg. Apropos Aussterben: Ist eine Welt ohne Dinosaurier nicht sogar eine bessere Welt? Und warum soll eine ohne Tokeh oder Pangolin schlechter sein? Was hat der Juchtenkäfer für ein Glück gehabt, dass er nicht auf der Zutatenliste chinesischer Apotheker steht, die Frontlinien bei Stuttgart 21 wären ganz anders verlaufen.
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