Vor vier Wochen hatte ich hier kurz auf das Buch „Faschistische Ideologie“ von Zeev Sternhell hingewiesen, und darauf, dass er den Kern des Faschismus in der Ablehnung individueller Freiheit und kosmopolitischer Aufgeschlossenheit zugunsten eines imaginierten, durch einen „Führer“ verkörperten nationalen Volkswillens sieht. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, ist das dazu gehörende Motto. Und wenn schon die volkszugehörigen Individuen nichts sind, wieviel weniger dann die, die nicht dazu gehören. Juden beispielsweise, oder welche angeblich volksfremden Elemente auch immer gerade zur Hand sind, zur Not tun es auch politisch Andersdenkende.
In der aktuellen Ausgabe 9/2019 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ist anlässlich des Todes von Agnes Heller am 19. Juli ein Text von ihr aus dem Jahr 2017 wiederabgedruckt. In Hellers Philosophie hatte die Verteidigung der Freiheit gegen jede Form des Totalitarismus einen zentralen Stellenwert. Nicht zufällig hatte sie den Hannah-Arendt-Lehrstuhl in New York inne. „Verteidigung der Freiheit“ – so ist auch ihr Beitrag in den Blättern überschrieben.
Sie kommentiert darin das Phänomen der „illiberalen Demokratie“. Mit diesem Begriff hatte Viktor Orbán die von ihm favorisierte Staatsform bezeichnet. Nach Agnes Heller steht dabei die Nation im Mittelpunkt, der Liberalismus ist das Feindbild. Die Form der Demokratie wird äußerlich gewahrt, aber möglichst so, dass sie dem Machterhalt des autokratischen Systems dient und ihm den Schein der Legitimität durch das Volk gibt.
In dieser Staatsform sieht Heller, bei allen Unterschieden der Genese und der Charaktere der Führungsfiguren, etwas Gemeinsames in der Entwicklung vieler Länder: „Ob Russland unter Putin, die Türkei unter Erdogan oder Ungarn unter Orbán – es sind alles ‚illiberale Demokratien‘“. Man kann sicher Bolsonaros Brasilien oder die Philippinen unter Duterte auch dazuzählen, und manch anderes Land mit nationalistisch agierenden Volkstribunen. Auch Donald Trump und Boris Johnson üben sich in manchen Machtpraktiken „illiberaler Demokratie“, wenn auch eingehegt durch starke demokratische Gegenkräfte.
Ungarn unter Orbán sah Heller immer weiter nach rechts rücken, bis hin zum Spielen mit dem Anti-Soros-Antisemitismus. Davor, dass „illiberale Demokratien“ eine Dynamik entfalten, die in Richtung Faschismus drängt, hat Agnes Heller nicht unbegründet Angst gehabt. Sie hat den Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur knapp überlebt. Die Nähe zu faschistischen Ideen ist heute für viele rechtspopulistische Strömungen, nicht nur in Italien oder Frankreich, nicht mehr schambesetzt. Und wer weiß, welche Staatsform der AfD vorschwebt, die sich ja „ihr Land zurückholen“ will. Zurückholen vom Liberalismus, zurückholen ins Nationale, und mancher in der AfD und ihren Partnern will sicher auch noch etwas weiter zurück.
Zeiten der „illiberalen Demokratie“ sind Zeiten, in denen Zeev Sternhell, Hannah Arendt und Agnes Heller wieder zeitgemäß geworden sind. Man fragt sich, wie die repräsentative Demokratie, die mit geteilten Gewalten funktioniert, mit dem Miteinander unterschiedlicher Weltanschauungen, mit Rechtsstaatlichkeit, mit einem aufgeklärten, weltoffenen Staatsbürgerbegriff, so in die Defensive geraten konnte.
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