Karriereorientierte Politiker geben sich gerne die Aura, nicht viel herumzureden, sondern auch mal mutig zu entscheiden. Gesundheitsminister Jens Spahn gehört dazu. Er will noch was werden. So hat er beispielsweise knallhart ein Masernschutzgesetz auf den Weg gebracht, oder jetzt, Evidenz hin oder her, entschieden, die Kassenfinanzierung der Homöopathie sei „okay“, es ginge ja nur um 20 Millionen Euro.
Bei aller Aufregung darüber, dass 20 Millionen Euro eine Menge Geld sind und nicht dadurch weniger werden, dass man sie mit den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen ins Verhältnis setzt, oder darüber, dass die 20 Millionen nicht die Gesamtausgaben der Kassen für Homöopathie sind und Spahn auch noch einräumt, über die Folgekosten der Homöopathie für die Kassen nichts zu wissen: Seine Entscheidung ist sehr lehrreich. Sie ist ein Indikator für Machtverhältnisse.
Spahn hat inzwischen lange genug politische Erfahrung gesammelt, um zu wissen, dass man als Sprotte im Haifischbecken Gesundheitswesen nur überlebt, wenn man den Haien ausweicht. Das tut Spahn mit viel Geschick. Im Konflikt zwischen Wohnortnähe und Qualität von Krankenhäusern hält er sich beispielsweise auffallend zurück. Genauso hört man von ihm nichts darüber, dass es mit einem Tempolimit deutlich weniger Verkehrstote und Schwerverletzte gäbe – so dass hier also auch der Gesundheitsminister gefragt wäre. Aber er ist ja nicht Verkehrsminister. Sonst stören ihn Ressortgrenzen weniger. Und als Kämpfer gegen die Tabakindustrie ist er bisher auch nicht in Erscheinung getreten, obwohl Tabakkonsum nach wie vor die meisten vorzeitigen Sterbefälle und viele Folgekrankheiten verursacht. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Spahn kennt seine Haifische.
Und der Haifisch, der hat Zähne, auch wenn er sie nicht immer offen zeigt. Die Homöopathie kommt ja bekanntlich als „sanfte Medizin“ daher. Sie tut so, als sei sie im Vergleich zu Big Pharma und zur Ärztelobby ein Häuflein edelmütiger Gutmenschen, denen an Geld nicht viel liegt und die sich allein mit moralischer Aufrichtigkeit gegen die Mächtigen stemmen. An Spahns Reaktion kann man sehen: Die Homöopathielobby gehört zu den Haifischen. Sie hat über die Jahre immer wieder ihren Einfluss gezeigt. Also: Lieber mal in Ruhe lassen. Zumal, wenn man sich dabei trotzdem als entschlussfreudiger Minister präsentieren kann, mit ein bisschen “l’état c’est moi-Willkür” im Kleinen, also im ganz Kleinen, das aber doch so wirksam sein kann.
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