Auf Achgut, der Internetplattform für politisch abweichende Ansichten (mit zuweilen unklarer psychischer Genese) ist gerade ein Artikel im Psychotherapeutenjournal angeprangert worden. Dort diskutiert ein Psychotherapeut, Fabian Chmielewski, psychische Dispositionen der Verharmlosung des Klimawandels und was das für Psychotherapeuten bedeuten könnte. Der junge Achgut-Autor, ein Gymnasiast, malt das Menetekel an die Wand:
„Bevor sich unser Staat überhaupt anschicken kann, totalitär zu werden, haben fleißige Helferlein aus den Geistes- und Sozialwissenschaften schon mal den Weg bereitet. Das sind keine lustigen Gedankenexperimente, über die man mal diskutieren kann, das ist totalitäre Ideologie in Reinkultur. In der DDR wurden Andersdenkende mit Scheinbegründungen in die geschlossene Psych(i)atrie gebracht.“
Das lese ich aus dem Artikel im Psychotherapeutenjournal zwar nicht heraus, aber bitte, manche Zeitgenossen mit abweichenden politischen Ansichten, auch Kommentatoren hier im Blog, wähnen sich ja ohnehin schon in der DDR 2.0. Übrigens, falls Ihnen beim Lesen dieser Zeilen „der junge Autor, ein Gymnasiast“, nicht aufgestoßen sein sollte: Man kann Argumenten nicht nur mit psychiatrischen Etikettierungen die sachliche Substanz absprechen, sondern z.B. auch mit einem Altershinweis. Christian Lindner hatte das vor einiger Zeit öffentlich vorgeführt mit seinem Spruch, die jungen Leute von Fridays for Future könnten die komplizierten Zusammenhänge ja noch gar nicht überschauen und sollten die Sache daher lieber den Profis überlassen, also Leuten wie ihm. Ob seine Selbstüberschätzung noch normal oder schon pathologisch ist?
Denialismus
Bei Klimaleugnern und anderen Wissenschafts-Denialisten, von Homöopathieanhängern bis zu den Flacherdlern, kann man immer wieder typische Argumentationsmuster beobachten. Manchmal werden sie bewusst eingesetzt, z.B. wenn die Tabaklobby die gesundheitlichen Folgen des Passivrauchens verharmlosen will, manchmal sind es spontane psychische Mechanismen, um eine kognitive Dissonanz aufzulösen. Der confirmation bias ist beispielsweise eine Urteilsheuristik, die sich unbewusst durchsetzt. Wir schützen damit unsere grundlegenden Weltanschauungen vor kritischen Einwänden und müssen dem im Bedarfsfall bewusst entgegenarbeiten. Der confirmation bias ist vermutlich evolutionär in unseren Gehirnen angelegt. Wenn er dysfunktional wird, ist das dann schon ein Krankheitssymptom? In der Regel wohl nicht. In manchen Fällen aber schon. Der Paranoide mag wirklich verfolgt werden, aber paranoid ist er trotzdem.
Politische Therapie?
Ebenfalls vor ein paar Tagen gab es in der taz einen Artikel über die Erfahrungen eines Psychotherapeuten mit einer rechtslastigen Patientin. Sie trat in der Therapie demonstrativ mit rechten Symbolen und rechten Sprüchen auf – und darauf angesprochen, beklagte sie, dass man selbst in der Therapie nicht mehr sagen dürfe, was man denke. Auch eine schwierige Situation. Soll der Therapeut das rechte Auftreten übersehen? Oder ansprechen, weil es die Therapie stört, oder ist es gar Teil der psychischen Problematik, die zur Therapie geführt hat?
Und noch ein Aspekt: Bei Sekten ist nicht selten ein Deprogrammieren notwendig, damit Aussteiger wieder „normal“ werden. Auch für Aussteiger aus rechten Gruppen gibt es therapieähnliche Hilfen. Gibt es also doch Schnittmengen zwischen politischem Extremismus und psychischen Störungen? Und was folgt aus all dem? Unter welchen Umständen sollen Psychotherapeuten die politischen Einstellungen ihrer Patienten als Teil von deren Symptomatik betrachten? Unter welchen Bedingungen als Herausforderungen an ihre eigene politische Position? Und sollen sie diese in der Therapie äußern dürfen, oder nur außerhalb? Wo verläuft die Grenze zwischen politischem Engagement von Psychotherapeuten und der Therapie pathologischen Verhaltens mit politischen Ausdrucksformen?
Es handelt sich, wie es so schön heißt, um ein weites Feld. Wer will, kann es in den Kommentaren ja ein wenig beackern. Es wird darum gebeten, „normal“ zu argumentieren. Wer grob abweichendes Verhalten zeigt, „verschwindet“, um es mit Oskar Panizza zu formulieren.
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Zum Weiterlesen:
• Andreas Heinz: Der Begriff der psychischen Krankheit. Frankfurt 2014.
• Allen Frances: Normal. Köln 2013.
• Amus Finzen: Normalität. Köln 2018.
• Frank Wehrheim: Inside Steuerfahnung. München 2011.
• Uwe Ritzer, Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath. München 2013.
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