Peter Gøtzsche ist, was die Evidenz medizinischer Verfahren angeht, gewiss kein friedfertiger Charakter, der auch mal Fünfe gerade sein lässt. Er, der zur Gründungsgeneration der Cochrane-Collaboration gehört und lange das dänische Cochrane-Zentrum geleitet hat, ist wegen seiner kompromisslosen Streitbarkeit vor einem Jahr aus der Cochrane-Collaboration ausgeschlossen worden.
Etwa zur gleichen Zeit ist sein bisher letztes Buch „Gute Medizin, schlechte Medizin“ auf Deutsch erschienen. Wie seine beiden früheren Anklageschriften gegen die Missstände in der Medizin wurde es wieder vom riva-Verlag veröffentlicht, einem Verlag, der eigentlich kein Wissenschaftsverlag ist, sondern eher Ratgeberliteratur macht. Ob das die Berührungsängste des medizinischen Establishments gegenüber Peter Gøtzsche widerspiegelt?
Wie dem auch sei, in dem Fall ist das Buch bei riva gut aufgehoben, weil es wirklich ein Ratgeber ist: Peter Gøtzsche will normale Menschen, die auf der Suche nach Orientierung im Dschungel der widersprüchlichen und oft irreführenden Gesundheitsinformationen sind, dabei unterstützen, sich zurechtzufinden. Er geht zunächst darauf ein, warum es im Gesundheitswesen so schwierig ist mit „sauberer Information“, etwa mit Blick auf Interessenskonflikte von Studienautor/innen, kommentiert dann wichtige Informationsquellen von Wikipedia bis Pubmed und – das ist der Hauptteil des Buches – einzelne Bereiche der Medizin, bei denen die veröffentlichte Informationslage für Laien wie für Ärzte gleichermaßen problematisch ist. Impfstoffe kommen dabei ebenso zur Sprache wie Vorsorgeuntersuchungen oder einzelne Krankheitsbilder von Krebs bis Rückenleiden. Auch ein sehr kritisches Kapitel über die Alternativmedizin fehlt nicht. Ähnlich wie Ben Goldacre lässt auch Gøtzsche keinen Zweifel aufkommen, dass die Alternativmedizin nicht die Lösung für die Missstände in der Medizin ist. Dass er die Homöopathie in einer Reihe mit Fürbittgebeten abhandelt, mag dazu an dieser Stelle genügen.
Das Buch endet mit einem Plädoyer, die Cochrane-Collaboration zu unterstützen. Als Gøtzsche das Manuskript abgeschlossen hat, war der Konflikt um seine Person in der Cochrane-Collaboration noch nicht bis zum bitteren Ende eskaliert. Das Buch ist, wie es sich für einen Ratgeber gehört, in einer gut lesbaren Sprache geschrieben und immer wieder mit persönlichen Erfahrungen Gøtzsches aufgelockert, gleichwohl sind die zentralen Aussagen über Literaturreferenzen abgesichert. Das Buch erklärt viel und es appelliert auch viel an die Leser/innen, selbst Verantwortung für das Wissen über die eigene Gesundheit zu übernehmen, Informationen zu suchen und nicht einfach irgendwelchen Berichten zu vertrauen. In Zeiten, in denen „Health Literacy“ fast schon zu einem Buzzword geworden ist und paradoxerweise mitunter sogar dazu dient, „ungesundes Verhalten“ als individuelles Bildungsdefizit zu definieren, hat Gøtzsches Buch das Potential, wirklich zu mehr Gesundheitskompetenz zu führen.
Dieser Richtschnur folgend muss man natürlich auch nicht alle Wertungen Peter Gøtzsches teilen, aber man sollte seine Kritikpunkte kennen und – falls man anderer Meinung ist – sich die Mühe machen, seine Belege zu prüfen und seine Kritik in der Sache und nicht aufgrund seiner Person zu widerlegen. Dass das Buch öfter in Wartezimmern in Arztpraxen ausliegen wird, wo es eigentlich gut hinpassen würde, ist nicht anzunehmen. Man muss es also selbst kaufen. Für 24,99 Euro bekommt man 352 Seiten harsche Medizinkritik, deren Lektüre sich lohnt.
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Zum Weiterlesen:
Website von Peter Gøtzsche
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