Vor einigen Tagen hat der Wissenschaftsjournalist Christian Honey auf MedWatch seine Rechercheergebnisse zur Strategie der Anthroposophen, ein „Geistparadigma“ an den Hochschulen zu verankern, veröffentlicht. Eine herausgehobene Rolle spielt dabei die Misteltherapie. Honey dazu:
„Nach Steiner stammt die Mistel von einem Himmelskörper einer früheren Stufe ab, der aus Erde und Mond bestand. Dieser ‚Mondleib‘ sei ‚wie ein Torfmoor, weich und lebendig‘ gewesen. Pflanzen, die hier wuchsen, hatten laut Steiner körperliche Gefühle und waren deshalb Tierpflanzen. Die heutige Mistel sei eine von ihnen.“
Um solche Ansichten gesellschaftsfähig zu machen und vor allem, um die Vermarktung der Mistelpräparate wissenschaftlich zu adeln, sollen, so Honey, einem „Masterplan“ folgend, universitäre Lehrstühle eingerichtet werden. Pharmanahe Stiftungen sind dabei sehr aktiv, auch was die Finanzierung von Forschung angeht, deren Gemeinsamkeit schwache Studiendesigns zu sein scheinen. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, wer sich ganzheitlich erschrecken will, lese die Reportage bei Medwatch.
Mir geht bei solchen Berichten immer wieder durch den Kopf, dass wir es in Deutschland bis heute nicht geschafft haben, auch nur einen ÖGD-Lehrstuhl einzurichten, also einen Lehrstuhl, der gezielt zum öffentlichen Gesundheitsdienst forscht, und der auch in diesem Bereich eine gute Aus- und Weiterbildung auf universitärem Niveau sicherstellt.
Stattdessen leisten wir uns einen öffentlichen Gesundheitsdienst, der bei einer enormen Aufgabenfülle ressourcenmäßig so ausgezehrt ist, dass regelmäßig Hiobsbotschaften über fehlendes ÖGD-Personal und dadurch nicht mehr zu erfüllende Aufgaben durch die Medien gehen. Was die wissenschaftliche Flankierung seiner Arbeit angeht, hoffen wir darauf, dass das in dringenden Fällen von gutwilligen Wissenschaftler/innen benachbarter Disziplinen übernommen wird, und dass ansonsten die von den Ländern getragenen Akademien hinreichend Qualifizierungsangebote machen. Mit anderen Worten: Für den ÖGD gibt es derzeit nur eine akademische Notfallversorgung.
Dabei gibt es auch hier eine Art „Masterplan“, ein 2018 von der Gesundheitsministerkonferenz verabschiedetes modernes „ÖGD-Leitbild“, das dem ÖGD eine zeitgemäße Position und Funktion im Public Health-Gesamtzusammenhang zuweist und dabei auch eine stärkere wissenschaftliche Unterstützung fordert. Dass dieses Leitbild stellenweise die gleichen Herausforderungen zur Weiterentwicklung des ÖGD formuliert, wie sie bereits in der Bundestags-Drucksache 10/3374 vom 22.5.1985 beschrieben sind, mag die Überfälligkeit eines echten „Masterplans ÖGD“ unterstreichen. ÖGD-Lehrstühlen käme dabei eine zentrale Scharnierfunktion zwischen Theorie und Praxis zu. Auf ein naturwissenschaftlich unhaltbares „Geistparadigma“ müsste man nicht zurückgreifen, der gesunde Menschenverstand sollte reichen.
Kommentare (16)