Rationales Handeln und die liebe Gewohnheit
Im aktuellen SPIEGEL 51/2019 ist ein Interview mit Steven Pinker, dem berühmten Harvard-Psychologen, der gerade mit seinem Buch „Aufklärung jetzt“ versucht, Mut und Zuversicht in Sachen Zukunft zu verbreiten. Ein Optimist also. Im SPIEGEL plädiert er dafür, angesichts des Klimawandels auf die Kernenergie zu setzen. Die Ängste der Menschen vor der Kernenergie, insbesondere in Deutschland, seien unbegründet, Resultat einer falsche Risikowahrnehmung.
Der gesellschaftliche Umgang mit dem Klimawandel ist psychologisch in der Tat interessant. Nicht nur, dass viele Menschen meinen, es müsse mehr gegen den Klimawandel getan werden, aber nicht wollen, dass etwas getan wird, schon gar nichts, was ihren Alltag tangiert. Im letzten Jahr wurden so viele SUVs verkauft wie nie zuvor. Greta hin oder her. Mehr noch: Auf solche Widersprüche aufmerksam zu machen, kann böse ausgehen. Erst vor kurzem ist dem Psychotherapeuten Fabian Chmielewski im Internet viel Hass entgegengeschlagen. Er hatte im „Psychotherapeutenjournal“, der Zeitschrift der Psychotherapeutenkammern, darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung des Klimawandels auch psychische Abwehrmechanismen im Spiel sind und dass Psychotherapeuten auch jenseits der Patientenversorgung eine soziale Verantwortung dafür haben, was in der Gesellschaft passiert. Eigentlich trivial. Das gilt schließlich auch für Ingenieure oder Epidemiologen. Libertäre und Rechtspopulisten haben Chmielewski daraufhin unterstellt, er wolle „Klimaskeptiker“ psychiatrisieren und zwangsbehandeln. Ein Versuch, ihm einen Maulkorb zu verpassen, weil man selbst für sich in Anspruch nimmt, dass man wohl doch noch sagen dürfe, dass die Klimawandeldebatte nur eine Hysterie sei.
Nun also Steven Pinker. Ob man ihm auch vorwerfen wird, er wolle Kernenergiekritiker psychiatrisieren? Eher nicht. Die, die sich über Chmielewski so aufgeregt haben, sind schließlich für die Kernenergie.
Kernenergie als Lösung für den Klimawandel?
Mit der Empfehlung, angesichts des Klimawandels wieder Kernkraftwerke zu bauen, ist das so eine Sache. Eine komplizierte Sache. Da geht es um ganz verschiedene Aspekte, vom bekannten Problem der Endlagerung über die Zusammenhänge der „friedlichen Nutzung“ der Kernenergie mit der Bombenherstellung, der Proliferation von Kernwaffen oder dem Terrorismus, der Konzentration der Risiken auf kleine Bevölkerungsgruppen (im Uranbergbau und im Umkreis der Kraftwerke), den ökonomischen Rahmenbedingungen der Kernenergie samt der damit verbundenen Akzeptanz von Risiken, dem realistischen Potential der Kernenergie bei der weltweiten CO2-Vermeidung bis hin zur Frage, wie und ab wann mehr Kernkraftwerke und vor allem welche Kraftwerkstypen sinnvoll in den Gesamtmix der Energiequellen zu integrieren sind.
Ich bin bei diesen Themen kein Fachmann, ich glaube auch nicht, dass Steven Pinker bei alldem Fachmann ist, oder dass überhaupt jemand all das zusammen mit großer Fachkompetenz überblickt. Insofern kein Wunder, dass die Meinungen, welche Rolle die Kernenergie bei der Bewältigung des Klimawandels spielen kann oder soll, auseinander gehen. Auch im „skeptischen Milieu“: Der GWUP-Vorsitzende Amardeo Sarma wirbt beispielsweise für mehr Offenheit gegenüber der Kernenergie, Scienceblogs-Kollege Florian Freistetter ist eher zurückhaltend. So geht es mir auch. Aber ich denke, wenn der Klimawandel tatsächlich so dramatische Folgen für die Welt erwarten lässt, wie es allerorten zu lesen ist, dann sollte man seine althergebrachten Meinungen gegenüber der Kernenergie zumindest auf Schwachstellen hin überprüfen.
Energieerzeugung und Tote
Wie gesagt, viele Bereiche der Diskussion kann ich nicht ansatzweise kompetent kommentieren und ich will mich daher auch nicht festlegen, ob eine Renaissance der Kernenergie unter dem Gesichtspunkt der CO2-Reduktion wünschenswert ist oder nicht. Das überlasse ich gerne den Profis, den richtigen natürlich. Für Deutschland halte ich die Debatte ohnehin für gelaufen. Ich will nur einen Punkt aus dem Interview mit Steven Pinker aufgreifen. Eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung um die Kernenergie haben immer ihre Risiken für die Gesundheit gespielt. Pinker verweist im SPIEGEL darauf, dass die Kernenergie, was das angeht, weitaus besser abschneidet als die Kohle (aus der wir aber ohnehin aussteigen müssen). Studien zeigen in der Tat, dass die Kernenergie deutlich weniger Menschenleben kostet als Strom aus fossiler Energie, sogar weniger als Strom aus Biomasse.
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