Ein Buzzword in aller Munde
In Thüringen strebt die AfD ein „bürgerliches“ Bündnis gegen Rotrotgrün an. Das Schillernde des Wortes „bürgerlich“ hatte ich schon in den beiden Blogs zur Rolle der FDP in Thüringen und zum Hütchenspiel der AfD in Thüringen kurz angesprochen. Die dort formulierten Aspekte will hier noch einmal mit Blick auf ihre bündnispolitische Funktion zusammenführen. Das Wort wird wie ein Mantra von manchen Politikern vorgetragen, und kaum noch jemand denkt darüber nach, was damit ausgesagt werden soll. Die ZEIT hat die Frage gerade ebenfalls aufgegriffen: “Denn wofür steht das nun eigentlich? Eine Altbauwohnung in der Stadt? Ein Haus mit Doppelgarage auf dem Land? Reclam-Regal oder Weber-Grill?” Auch der Kommentar von Maximilian Steinbeis auf “Verfassungsblog”, der den Vorgängen in Thüringen dezisionistisches Abenteurertum von Cowboystiefel-Trägern attestiert, stellt die „Bürgerlichkeit“ des Geschehens dort infrage. Bedächtiges Abwägen in staatsbürgerlicher Verantwortung war das ja nicht.
Begriffsgeschichte
Der Begriff des „Bürgerlichen“ war früher Teil der klassentheoretischen Gegenüberstellung von Bürgertum und Proletariat, ein Begriff, der herrschende Klassen von ihrer Rolle in den Produktionsverhältnissen her etikettieren sollte. Ganz knapp: Das Bürgertum hat dem Adel in bürgerlichen Revolutionen Macht abgerungen. Hintergrund waren Veränderungen der Produktionsverhältnisse, an die Stelle der an den Besitz von Grund und Boden sowie lange auch Leibeigenen gebundenen Subsistenzwirtschaft trat die kapitalistische Produktionsweise. Damit einher ging die „bürgerliche“ Ideologie, dass gesellschaftliche Stellungen nicht von „Gottesgnadentum“ und nicht davon abhängig sein sollen, in welchen Stand man hineingeboren wurde, sondern von dem Besitz, den man sich erarbeitet, wobei jeder seines eigenen Glücks Schmied sei. Die Arbeiterklasse als besitzlose, aber den Mehrwert in der Produktion schaffende Klasse war folglich von Einfluss und Mitsprache ausgegrenzt, die „bürgerlichen“ Kräfte standen, einmal an der Macht, konservativ gegen das Proletariat.
Überholte Geschichte
Bei dieser etwas vulgärmarxistisch verkürzten Begriffsgeschichte will ich es an dieser Stelle einmal belassen. Heute hat sich in der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) der Klassenantagonismus als strukturierendes Prinzip politischer Auseinandersetzungen aufgelöst. Nicht, dass es kein Oben und kein Unten mehr gäbe, keine Besitzenden und Besitzlosen, keine im anstrengungslosen Wohlstand Schwelgenden und keine am Existenzminimum Nagenden, aber die parteipolitischen Fronten lassen sich danach schon lange nicht mehr bestimmen. Auch in der SPD gibt es seit langem ein konservatives Bürgertum, man halte sich nur Leute wie Klaus von Dohnanyi vor Augen, geradezu ein Inbegriff des Bürgertums, oder von mir aus auch die vom SPD-Kanzler Schröder beförderte neoliberale Politik. Die „Arbeiter“ wählen inzwischen mehrheitlich Union oder gar AfD. Nur nebenbei: Bekanntlich sind auch Mitglieder der SPD, sogar solche der Linken, dem Grundgesetz nach „Staatsbürger“, und auch das „Bürgerliche Gesetzbuch“ gilt für alle, nicht nur für Mitglieder „bürgerlicher“ Parteien.
„Bürgerlich“ als Kampfbegriff
Wenn heute von „bürgerlichen“ Parteien die Rede ist, kann man nicht mehr so richtig sagen, was damit gemeint ist und warum eine Partei „bürgerlich“ und eine andere es nicht sein soll. Der Begriff ist zu einem Habitus-Begriff geworden, der eine Zugehörigkeit und einen bestimmten Lebensstil assoziiert: Einer Arbeit nachgehen, ordentlich wohnen, ins Theater gehen, siehe die Charakterisierung im oben verlinkten ZEIT-Beitrag. Ob Steuern zahlen auch dazu gehört, wird nicht von allen „Bürgerlichen“ gleich gesehen. Damit aber wird er erstens politisch inhaltsleer und zweitens unscharf. Es sei denn, er bezeichnet die Parteien, die sich mit einem neuen Prekariat abgefunden haben, das schließt dann aber weite Teile der SPD und der Grünen mit ein, und trifft nicht auf alle in der Union zu. Vom Lebensstil her könnte wiederum das “linksgrünversiffte” Latte-Macchiato-Milieu des Prenzlauer Bergs, die “FDP mit Dosenpfand”, nicht “bürgerlicher” sein. Andere Spielarten des „bürgerlichen“ Milieus kann man z.B. auf dem Hochzeitsfoto von Frau v. Storch oder den Bildern von Trumps Wohnsitz Mar-a-Lago in Florida bestaunen. Und hatte sich das „Bürgertum“ früher einmal revolutionär gegen die ererbten Reichtümer des Adels gewandt, treten heute nicht wenige selbsterklärt „Bürgerliche“, u.a. Frau v. Storch, für die Entschädigung der Hohenzollern durch den deutschen Steuerzahler ein.
Das Etikett „bürgerliche“ Partei ist heute Teil einer Politik des Gefühls, eine Markierung des eigenen Stallgeruchs. Es definiert sich durch die Feindschaft gegenüber allem, was auch nur entfernt “linksgrünversifft” riecht oder so denunziert werden soll. Mit dieser Füllung im Kopf macht das Verhalten der CDU in Thüringen Sinn, so stehen CDU, FDP und AfD auf einer Seite – gegen die „Sozen“ und die „Ökofaschisten“. Carl Schmitts verhängnisvoll konfrontative Definition des Politischen als Unterscheidung von Freund und Feind kehrt in der Redeweise von den „bürgerlichen“ Parteien als spießbürgerliche Farce wieder.
Unentschiedene Dezisionisten
Für die AfD ist dieser Sprachgebrauch übrigens hochgradig widersprüchlich. Sie ist ja als Anti-Establishment-Partei gegen die sog. „Altparteien“ angetreten, wollte sie „jagen“, wie Gauland es einmal ganz revolutionär und unbürgerlich formuliert hat. Und gerade Höckes AfD in Thüringen will nun „bürgerliche“ Bündnisse schließen? Wenn der Begriff weder einen analytischen Gehalt hat, noch die notwendige Abgrenzung gegenüber Reaktionären und Rechtsextremen leistet, in dieser Richtung also nicht einmal im Sinne Carl Schmitts funktioniert, sollte man ihn endlich aufgeben.
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