Gestern kam auf ARTE ein Beitrag über Homöopathie. Natürlich kann man sich fragen, ob es bei dem Thema überhaupt noch etwas Neues gibt. Von mir aus könnte man einen guten alten Fernsehbeitrag in Dauerschleife zeigen. Aber dem ARTE-Beitrag würde man damit doch Unrecht tun. Wie der Homöopathie-Kritiker Norbert Aust mit dem Hochhalten zweier Tafeln mit Punkten zum Ergebnis des berüchtigten Wasserlinsen-Experiments Baumgartners die angeblich so starken Effekte der Homöopathie homöopathisiert, verdient das Prädikat „pädagogisch wertvoll“, ebenso das Nebeneinanderstellen der Ergebnisdarstellung der ADHS-Studie von Frei in einer deutschen Homöopathie-Zeitschrift und in einer britischen pädiatrischen Zeitschrift.
Sehr aufschlussreich war auch ein am Ende des Films gezeigtes Fallbeispiel mit einer homöopathischen Schilddrüsenbehandlung. Die Patientin hat zunächst aus Angst die medizinisch angezeigte Behandlung abgelehnt und ging zu einer Heilpraktikerin, mit fatalen Folgen. Hier zeigt der Film allerdings auch eine Schwäche. Er endet nämlich kurz danach mit der Feststellung, die Medizin könne von der Homöopathie doch immerhin Achtsamkeit lernen. Das Fallbeispiel demonstriert aber gerade das Gegenteil. Viele Homöopathen sind nicht achtsam, sie ziehen ihren Stiefel durch, und koste es die Gesundheit ihrer Patienten (und ja, ja, es gibt auch Mediziner von der Sorte). Lernen kann man vielmehr, dass Zeit und Zusprache helfen können, das ist Teil dessen, was etwas irreführend oft unter „Placebowirkung“ abgehakt wird.
Dass Beiträge wie die ARTE-Sendung nicht überflüssig sind, zeigt sich aber noch viel besser in Kommentaren, die die Überflüssigkeit solcher Beiträge behaupten. In der Frankfurter Rundschau leitet Hans-Jürgen Linke seinen Kommentar zur Sendung damit ein, man hätte doch inzwischen oft genug gehört, dass in den homöopathischen Mitteln nichts drin sei. Und dann spult er das ganze Repertoire dessen ab, was man inzwischen oft genug von den Homöopathen gehört hat:
„Gönnerhaft wird die Wirkung einer homoöpathischen Medizin auf den beliebten Placebo-Effekt geschoben, mit anderen Worten: Das alles funktioniere nur, wenn und weil daran geglaubt wird und der Körper unter diesem Einfluss Selbstheilungskräfte in Gang setzt. Wenn das aber alles wäre, bliebe immer noch die Frage offen, warum die herkömmliche Medizin sich diesen Effekt nicht zunutze machen kann oder will?“
Erstens funktionieren Placebos nicht nur, wenn man daran glaubt. Das hätte Linke wissen können, wenn er die ARTE-Sendung im wachen Zustand angesehen hätte. Der Marburger Psychologe Winfried Rief hat nämlich genau dazu über neue Forschungsergebnisse zu offener Placebo-Gabe berichtet. Und zweitens macht sich natürlich auch die „herkömmliche Medizin“ diesen Effekt zunutze, das lässt sich gar nicht vermeiden.
Es folgt ein Klassiker der Homöopathie-Verteidigung gegen den Hinweis auf die Erklärung durch Placebo:
„Dass auch Fälle bekannt sind, in denen homoöpathische Medizin Kindern hilft, denen man Gläubigkeit noch nicht einreden konnte; dass sie Tieren hilft, denen Glaubensfragen eher fremd sind, ist mit dem Placebo-Effekt nur schwer zu erklären.“
So oft das auch behauptet wird, immer wieder, vermutlich weil es gut verfängt, so falsch bleibt es. Natürlich gibt es Placebo-Wirkungen bei Kindern und Tieren, Placebo by proxy genannt, auch der Begriff fiel in der Sendung. Ob Herr Linke die Sendung überhaupt gesehen hat? Über eine homöopathische Dosis hinaus? Herr Linke: Googeln Sie mal nach dem „Klugen Hans“, vielleicht lernen da selbst Sie noch was.
Dann kommt ein Argument, bei dem man ins Zweifeln kommt, ob der Autor nach dem Abitur je noch etwas Wissenschaftliches gelesen hat:
„Die Beweiskraft von Studien heranzuziehen, ist nicht ganz unproblematisch, wenn zuvor die Beweiskraft von anderen Studien in Zweifel gezogen werden muss; am besten sollte man nur den Studien Glauben schenken, die man selbst gefälscht hat.“
Wie bitte, wenn nicht anhand von Studien, soll man denn andere Studien in Zweifel ziehen? Und natürlich soll man nicht den Studien glauben, die man selbst gefälscht hat – wie blöd ist das denn? Man soll auch nicht denen glauben, die andere gefälscht haben und auch nicht denen, die andere schlecht gemacht haben. Herr Linke, Sie werden es nicht glauben, aber Sie sollten nur den Studien Glauben schenken, die sich als die besseren und aussagekräftigeren Studien erwiesen haben. Welche das sind, ist wiederum keine Glaubenssache, dafür gibt es Kriterien.
Der Schlussakkord ist ein Bullshit-Stakkato, das sich bis zur Reinform des esoterischen Fehlschlusses steigert:
„In Wahrheit geht es, wie der Subtext des Filmes zeigt, um Weltbilder: Dass Homöopathie wirken könnte, widerspricht einfach dem Weltbild der so genannten Schulmedizin. Das ist alles. Dass ein Weltbild den Horizont definiert und jenseits dieses Horizonts alles für unmöglich hält, ist aber eine Bornierung mit Verfallsdatum. Isaac Newton, Begründer der klassischen Mechanik, hätte bei der Lektüre von Einsteins Relativitätstheorie nur unwillig den Kopf geschüttelt. Kann es nicht sein, dass einer pharmakologischen Forschung, die sich mit Molekülen befasst, irgend etwas im sub-molekularen Bereich entgeht? Dass es Prozesse gibt, die noch gar nicht im Horizont der Forschung aufgetaucht sind?“
Nein, es geht eben nicht nur Weltbilder, es geht um Wirkungsnachweise. Und nein, Newton hätte angesichts von Einsteins Relativitätstheorie nicht „nur unwillig den Kopf geschüttelt“, er hätte sie verstanden und er hätte danach gefragt, welche empirischen Belege es dafür gibt. Die hätte man ihm natürlich zeigen müssen. So wie die Homöopathen nach gut 200 Jahren auch einmal wirklich belastbare Belege für ihre „geistartigen Kräfte“ hätten vorbringen müssen. Und nein, der pharmakologischen Forschung entgeht da nichts dahergerauntes „im submolekularen Bereich“, weil sie sich für den Wirkmechanismus gar nicht interessiert. Sie interessiert sich nur dafür, ob es eine Wirkung gibt, nicht welcher Art diese Wirkung ist. Dem RCT wäre es egal, wenn „geistartige Kräfte“ am Werke wären, Hauptsache sie zeigen sich.
Herr Linke: Pharmakologische Forschung erbringt keine physikalischen Nachweise. Das macht die Physik und die hat bisher keine „geistartigen Kräfte“ gefunden. Sie müssen Ihr Auto auch künftig in die Werkstatt bringen, drei Globuli im Tank helfen nicht. Dass es „Prozesse gibt, die noch gar nicht im Horizont der Forschung aufgetaucht sind“, wird wohl so sein, deswegen hören die Unis nicht mit dem Forschen auf. Aber bei der Homöopathie reicht der Placeboeffekt (einschließlich der psychologischen Kontextfaktoren).
Der Artikel endet mit einem redaktionellen Hinweis:
„Liebe Leserinnen und Leser, wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.“
Das ist mit Abstand der klügste Teil dieses FR-Beitrags.
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