… heißt ein Buch der britischen Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney über die Spanische Grippe 1918. Der Untertitel: „Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte“. Das kann man im Moment auch über Sars-CoV-2 sagen.
Vor zwei Wochen, als ich nach Japan flog, begann die Dynamik der Epidemie in Deutschland langsam sichtbar zu werden, inzwischen dominiert sie wie in vielen Ländern die Tagespolitik. Nach den Monitoring-Daten der Johns Hopkins University sind es – Stand diese Stunde – weltweit ca. 126.000 bestätigte Infektionsfälle, darunter ca. 68.000 genesene Fälle und ca. 4.600 Sterbefälle. In Deutschland sind es fast 2.000 Infektionsfälle und 3 Tote. Die Zahlen werden auch bei uns weiter steigen, die Frage ist, wie schnell und mit welchen Folgen. Die Behörden versuchen nun, Zeit zu schinden, damit die schweren Fälle nicht zu geballt auf die Krankenhäuser zukommen.
In Japan, ich hatte es berichtet, sind viele Sehenswürdigkeiten geschlossen, viele Veranstaltungen abgesagt, das Virus in der Öffentlichkeit in Form von Hinweisen allerorts, Desinfektionsangeboten, Atemmasken sogar für Roboter und anderem sehr präsent.
Trotzdem sind die japanischen Zahlen unglaubwürdig niedrig und so wenig dynamisch, dass dahinter ein unerkanntes Infektionsgeschehen zu vermuten ist. Das könnte sich schnell ändern, wenn es mehr schwere Verläufe und Tote in Japan gibt. Die Olympischen Spiele wird es dann vielleicht auch noch treffen.
Was den Effekt auf die Gesellschaft angeht, hat Sars-CoV-2 Auswirkungen wie keine Epidemie seit der Spanischen Grippe. Es hat mit den drakonischen Maßnahmen in China und der Abschottung der Region Hubei und mehrerer Städte mit 60 Mio. Einwohnern begonnen – und in Italien ist das öffentliche Leben jetzt ebenfalls disruptiv abgebremst worden, mit erheblichen Einschränkungen der freien Beweglichkeit, der Wirtschaft und der Kultur. In den USA könnte Sars-CoV-2 die Wiederwahl Trumps gefährden. Er hat in seiner gewohnt dummen und überheblichen Art die Situation völlig falsch eingeschätzt und zunächst sogar die Epidemie für die USA als bewältigt erklärt. Jetzt klettern auch in den USA die Infektions- und Sterbezahlen. Soviel zur Einstufung der USA als angeblich weltweit bestvorbereitetes Land im Gesundheits-Sicherheits-Index, die kürzlich kritiklos vom SPIEGEL zitiert wurde. Ob das je berechtigt war, wage ich zu bezweifeln, angesichts der sozial höchst unterschiedlichen Gesundheitsversorgung dort, aber mit dem „Schwarzen Schwan“ Trump hatten die Macher dieses Index sicher auch nicht gerechnet.
Der Vergleich von Sars-CoV-2 mit der Spanischen Grippe hinkt natürlich in mehrfacher Hinsicht. Man wusste damals nicht, womit man es zu tun hatte. Viren waren noch gar nicht entdeckt. Zudem stand die Welt damals im Bann des ersten Weltkriegs, die Bevölkerung war geschwächt und die Dritte Welt, die besonders schwer unter der Epidemie litt, hatte man gar nicht im Blick. Heute haben wir eine andere Erkenntnislage, in den Industrieländern eine vergleichsweise gesunde Bevölkerung und in der Intensivmedizin ganz andere Handlungsmöglichkeiten als damals. Und man hat bei der WHO (die es damals auch noch nicht gab) und in vielen Ländern im Krisenmanagement einiges aus früheren Epidemien gelernt. Hierzulande managt Spahn die Situation bisher recht professionell, auch wenn die Hindsight-Bias-Fachleute natürlich wieder alles viel besser wissen und ihm je nach individueller Neigung wahlweise Verharmlosung oder Hysterie vorwerfen. Ich muss gestehen, ich hätte ihm nach seinem Populismus beim Masernschutzgesetz oder der Kassenfinanzierung der Homöopathie dieses situationsangemessene, auf die Expertise der Fachleute gestützte Vorgehen nicht zugetraut. Mein Bias.
Noch einmal zurück zur Spanischen Grippe. Laura Spinney verweist am Ende ihres Buches auf die wichtige Rolle der Medien und des Vertrauens in Informationen sowie in die Handlungsfähigkeit des Staates. Das gilt vermutlich für Krisen aller Art, die immer Nährböden für Gerüchte und Verschwörungstheorien aller Art sind. Das ist bei Sars-CoV-2 nicht anders. Misstrauen in der Bevölkerung unterminiert die Seuchenbekämpfung, das gilt für Impfprogramme genauso wie für das Krisenmanagement. Mehr Sorgen macht mir allerdings eine andere Parallele zur Spanischen Grippe: Die Fixierung des Blicks auf die Industrieländer. Was wird in Afrika und im Nahen Osten geschehen, wenn das Virus dort richtig Fuß fasst? In failed states, Bürgerkriegsregionen, Hungergebieten? Ländern ohne gutes Gesundheitssystem und einer krankheitsanfälligen Bevölkerung? Vielleicht werden wir die wahre Sars-CoV-2-Katastrophe dort erleben, mit vielen Toten und sekundären Folgen auch für uns: Auch unter Public Health-Gesichtspunkten ist die „Festung Europa“ kein zukunftsfähiges Konzept.
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