Nutzen und Risiken
Der nächste Punkt Wagners ist der Hinweis, die Homöopathie folge dem alten Grundsatz „primum non nocere“, in erster Linie nicht schaden. Man könnte sagen, klar, wo keine Wirkung, da keine Nebenwirkung. Aber das gilt ja auch nur für die pharmazeutische Betrachtung der Hochpotenzen. Niedrigpotenzen können Nebenwirkungen haben und das Setting insgesamt kann zu fatalen Verläufen einer Erkrankung führen, wenn eine wirksame Behandlung unterlassen wird. Bei Krebserkrankungen ist das inzwischen empirisch belegt, darauf will ich nicht weiter eingehen. Dieses Argument Wagners, ein Klassiker der Homöopathie-Apologetik, es gäbe „keine Nachteile für die Prognose der Patienten“, ist einfach nachweislich falsch. Gleiches gilt für seine Behauptung, „dass Homöopathie und anthroposophische Medizin keine zusätzlichen Kosten für die Solidargemeinschaft verursachen“. Falsch.
Therapiefreiheit, evidenzbasierte Medizin und Ansprüche gegen den Staat
Der zweite Abschnitt seiner Lobbyarbeit ist überschrieben mit „Ein philosophisches Problem“. Damit meint er, auch das ein Klassiker, die Kritiker der Homöopathie könnten einfach nicht damit leben, dass andere Menschen andere Meinungen haben, dass sie anders behandelt werden möchten, „anders als ich es für plausibel erachte“. Er kommt dann darauf zu sprechen, dass vor 15 Jahren eine Broschüre der Stiftung Warentest, die Edzard Ernst verantwortet habe, nach einer Klage eines Herstellers wegen „Falschaussagen im Kapitel zur Homöopathie“ habe zurückgezogen werden müssen. Ich kenne den Vorgang nicht, aber dass ein juristischer Erfolg kein wissenschaftlicher Erfolg ist, sollte dem Philosophen Wagner eigentlich auch klar sein. Manche Hersteller klagen eben gerne, wenn sie ihre Geschäfte in Gefahr sehen.
Die These Wagners, die Kritiker der Homöopathie würden den Homöopathiefreunden ihre Ansichten nicht zugestehen, ist jedenfalls falsch. Der Streit geht darum, was als wissenschaftlich belegt gelten kann und ob alles, was ein lautstarker Teil der Patienten wünscht, von den Krankenkassen finanziert werden soll. Wagner schließt dann mit einem Plädoyer für die Therapiefreiheit:
„Doch Therapiefreiheit ist ein hohes Gut, sie wird von vielen Menschen tagtäglich genutzt, auch solchen, die nichts mit Homöopathie am Hut haben. Sie beinhaltet das Recht, nach bestem Wissen und Gewissen behandelt zu werden – und damit geschützt zu sein im Rahmen der solidarischen Sicherungssysteme.“
Was für ein Standpunkt. Im Arzneimittelrecht wie im Kassenrecht geht es grundsätzlich darum, dass Medikamente und Behandlungsverfahren ihre therapeutische Wirksamkeit und ihren Nutzen nachweisen müssen, nicht ihre Beliebheit. Das ist so zum Schutz der Patienten vor wirkungslosen oder schädlichen Therapien und um zu vermeiden, dass knappe Mittel für solche Therapien ausgegeben werden. Diese Restriktion ist neben der Rücksichtnahme auf Patientenpräferenzen, die natürlich einen hohen Stellenwert haben, ein elementarer Baustein der evidenzbasierten Medizin. Es soll eben gerade nicht alles zugelassen und kassenfinanziert werden, was irgendjemand gut findet. Mit Freibiermentalität kommt man im Lobbyisten-Haifischbecken des Gesundheitswesens nicht weit, auch wenn die Homöopathielobby nur zu den Katzenhaien zählen mag. Wenn Big Pharma Selbsthilfegruppen korrumpiert, damit diese Lobbyarbeit zur Zulassung und zur Kassenfinanzierung ihrer Produkte machen, findet das hoffentlich auch nicht Wagners Sympathie, nur weil die Therapiefreiheit doch ein hohes Gut sei.
Der Einzug der evidenzbasierten Medizin ins Gesundheitswesen als Filter gegen überkommene Lehrmeinungen und pharmaverseuchte Wirksamkeitsbehauptungen war schwer genug. Der Binnenkonsens, der den Homöopathen Schutz gegen die Wissenschaft gewährt, ist nicht mehr zeitgemäß. Gerne soll jeder – möglichst gut informiert – Homöopathie in Anspruch nehmen können. Aber niemand soll dazu mit falschen Argumenten verführt werden. Niemand hätte die Homöopathen daran gehindert, die Wahltarife mit Homöopathie mehr zu nutzen, oder die Homöopathie anderweitig selbst zu finanzieren. Homöopathie ist ja eh überwiegend eine Milieutherapie der Besserverdienenden. Die Therapiefreiheit ist nicht in Gefahr, wenn man kritisiert, dass nichts ist, wo nichts ist und es auch keinen Anspruch auf staatliche Förderung für die eigenen Vorlieben gibt.
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