In der Finanzkrise vor gut 10 Jahren wurde der Begriff „systemrelevant“ populär. Systemrelevant waren damals die Banken, nicht die Menschen.

Heute ist die Systemrelevanz zumindest terminologisch anders adressiert. Ärzte/innen und Pflegekräfte werden jetzt so ausgezeichnet, manchmal auch die Supermarktverkäufer/innen. So richtig es ist, diese Gruppen anerkennend hervorzuheben, man wird das ungute Gefühl nicht los, dass es sich nur um ein opportunes Lippenbekenntnis handelt, eine Augenblickspflicht der politischen Rhetorik. Man wird sehen, wie sich die Systemrelevanz nach der Krise materiell äußert.

Ich würde aber vorerst schon einmal die Liste etwas erweitern wollen, z.B. um die

• Putzfrauen und das Küchenpersonal in den Krankenhäusern und Pflegeheimen,
• die meist weiblichen pflegenden Angehörigen,
• die an vielen Stellen aushelfenden Medizinstudierenden und alle anderen “Coronafreiwilligen”,
• die LKW-Fahrer/innen, die nicht nur das jetzt knappe Klopapier transportieren, sondern auch Nudeln, Brot und Obst,
• die Polizist/innen, die unter erschwerten Bedingungen ihrem Job nachgehen, nicht immer ausgestattet mit der nötigen Schutzausrüstung,
• die Feuerwehrleute, Rettungsdienstleute und Beschäftigte in ähnlichen Berufen, die dafür sorgen, dass das Rettungswesen weiter funktioniert,
• die Postbot/innen, die uns mit den Dingen versorgen, die wir jetzt online bestellen, weil viele Geschäfte geschlossen sind,
• die Maschinenbauer, die z.B. Beatmungsgeräte bauen, die so dringend benötigt werden, oder die Maschinen, mit denen diese Geräte gebaut werden,
• die Metaller, die für diese Maschinen Bleche biegen und Schrauben herstellen,
• die Hafenarbeiter, die für das Eisen für die Bleche das Erz und die Kohle aus Südafrika entladen,
• die Buchhalter/innen, die die Geschäfte mit Erz und Kohle abrechnen,
• die Straßendienste, die die Straßen fit halten, damit die Krankenwagen schnell ins Krankenhaus kommen, oder das Klopapier zu uns,
• die Automobilbeschäftigen, ohne die es keine Krankenwagen gäbe,
• die fachfremden Beamten aus irgendwelchen Behörden, die jetzt in den Gesundheitsämtern, die man jahrzehntelang kaputtgespart hat, aushelfen,
• die Erzieher/innen, die Kinder der anderen systemrelevanten Berufe notbetreuen und nach der Krise möglicherweise noch mehr verhaltensauffällige Kinder in ihren Gruppen haben,
• die Lehrer/innen, die sich tolle digitale Unterrichtsprojekte ausdenken, damit die Kinder zuhause nicht ganz den Anschluss verlieren, bis die Schule wieder losgeht,
• die Beschäftigten der Energiewirtschaft, die dafür sorgen, dass der Kühlschrank auch in der Krise läuft,
• das Personal der Internetbranche, damit wir in Corona-Blogs diskutieren können,
• die Leute von der Müllabfuhr, die unseren Müll auch in der Corona-Zeit zuverlässig abholen,
• die Wissenschaftler/innen, die sich bemühen, die Eigenschaften des neuen Coronavirus zu erforschen oder epidemiologische Modelle rechnen,
• die Laborant/innen in den Testlabors und andernorts, die sich um die Proben kümmern,
• die netten Nachbarn, für ihre Bekannten oder für Wildfremde einkaufen, die zuhause bleiben müssen,
• die Bestatter/innen und Beschäftigten der Friedhofsverwaltungen, deren Job jetzt noch trauriger geworden ist,
• die Psychotherapeut/innen und Sozialarbeiter/innen, die nach der Krise mithelfen müssen, die seelischen Verwüstungen der Krise zu reparieren, neben all dem „normalen“ Leid,
• die Jurist/innen, die hoffentlich dafür sorgen, dass das krisenbedingte Ausnahmerecht wieder zurückgefahren wird und demokratische Spielregeln wieder zu ihrem Recht kommen,
• die Bäcker/innen, Metzger/innen, Landwirt/innen und alle anderen, die dafür sorgen, dass wir kein Klopapier essen müssen,
• die Journalist/innen, die sich bemühen, uns mit guten Informationen auf dem Laufenden zu halten und der Flut der Desinformationen etwas entgegenzusetzen,
• dem Flugpersonal, das dafür sorgt, dass deutsche Urlauber/innen und chinesische Schutzmasken nach Deutschland kommen,
• den Blumenhändler/innen, denen wir es zu verdanken haben, dass wenigstens in der Blumenvase ein wenig Frühlingsnormalität herrscht,
• und all den anderen, die den Laden mit am Laufen halten.

In einer arbeitsteiligen Gesellschaft sind viele Berufe systemrelevant, die mächtigen Finanzmarktspekulanten vielleicht gar nicht so sehr, zumindest nicht für das lebensdienliche System. Auch daran sollte sich die Politik später erinnern. Politiker/innen sind natürlich selbst auch systemrelevant, in der Krise ganz besonders – und auch danach, sicher da und dort mit Luft nach oben, wenn man an so manche Politposse der letzten Monate zurückdenkt.

Kommentare (36)

  1. #1 Alisier
    12. April 2020

    Wenn es sich um ein funktionierendes System handelt, dann sind, wie in jedem stabilen Ökosystem alle systemrelevant.
    Hier Hierarchien aufzustellen ist einfach eine schlechte Angewohnheit, und sehr heikel.
    Sogar Parasiten stabilisieren Ökosysteme, aber Finanzmarktspekulanten sind nicht mal das.
    Es gibt, und das ist meine These, einige Akteure, die zwar von manchen geschätzt und auch mal bevorzugt gerettet werden, aber das Gesellschaftssystem eher destabilisieren. Gestalten, die sich irgendwo außerhalb bewegen, deren Einfluss aber so desaströs sein kann, dass man sie äußerst scharf bewachen muss.

  2. #2 RPGNo1
    12. April 2020

    Ich ergänze um pharmazeutische Produktionsbetriebe. Denn egal ob es der “einfache” Bluverdünner oder der “komplizierte” monoklonale Antikörper ist; seine Medikamente kann man nicht so einfach mal absetzen.

  3. #3 der Holger
    12. April 2020

    die Liste ist evtl. sinnvoller andersrum betrachtet:

    gibt es eigentlich Berufsgruppen die nicht systemrelevant sind?
    sogar Profisportler sind relevant – denn ohne Profisport gibts keinen breitensport und ohne Breitensport gibts elend viele tote durch Hert-Kreislauf.

    auch Finanzindustrie: denn für Handel sind Banken nötig. Tauschhandel funktioniert nur im kleinen Umfeld. Handel ist hier auch Halbteile oder Rohstoffe für die Industrie die daraus Zeug herstellt.

    okay: nicht systemrelevant sind dann eindeutig die Kriminellen Berufsgruppen.

    • #4 Joseph Kuhn
      12. April 2020

      @ der Holger:

      “ohne Profisport gibts keinen breitensport”

      Eine besondere Form der Trickle-down-Theorie? Warum nicht umgekehrt: Ohne Breitensport gibt es keinen Profisport?

      Davon abgesehen kann man natürlich die Meinung vertreten, dass jeder Trottel nützlich ist, und sei es als abschreckendes Beispiel. Was zu Alisiers Bemerkung überleitet:

      @ Alisier:

      “Wenn es sich um ein funktionierendes System handelt, dann sind, wie in jedem stabilen Ökosystem alle systemrelevant.”

      Klingt nach Verwechslung von systemrelevant und systemfunktional bzw. noch offener: systemimmanent. Wenn alles, was Teil eines funktionierenden Systems ist, systemrelevant ist, müsste man “dem Holger” widersprechen, dass die Kriminellen nicht systemrelevant sind.

      Das wirft die Frage auf, von welchem System die Rede ist. Siehe mein Adjektiv zum System der Finanzmarktspekulanten.

  4. #5 manni66
    12. April 2020

    Sytemrelevant. Da gab es doch schon mal was mit Telefonhörerdesinfizieren. Die wurden nicht gebraucht…

  5. #6 Tim
    12. April 2020

    Es ist ganz einfach: Wir alle sind systemrelevant.
    Anders gesagt: Der Begriff ist unsinnig.

  6. #7 Alisier
    12. April 2020

    @ Joseph Kuhn
    Ich bleibe bei systemrelevant, um den Ökosystemgedanken etwas zu forcieren, nachdem er mir auf gesellschaftspolitischer Ebene bisher zu wenig Beachtung gefunden hat.
    Nimm den Trottel raus, und wir haben nichts mehr zu lachen. Laurel und Hardy wurden aber gerade in der Krise damals dringender gebraucht als viele andere.

  7. #8 Joseph Kuhn
    12. April 2020

    @ Tim:

    “Wir alle sind systemrelevant”

    Wir haben als Menschen alle Menschenwürde, falls Sie das meinen. Aber ist alles, was Menschen tun, “systemrelevant”? Wenn ja, für welches System?

    “Der Begriff ist unsinnig.”

    Das mag sein, aber Ihre Begründung ist es auch.

    @ Alisier:

    “Ökosystemgedanken”

    Wir leben in einer Gesellschaft, nicht in einem Ökosystem. Das Ausmerzen der Kranken und Schwachen mag in einem Ökosystem systemrelevant sein, in einer menschlichen Gesellschaft ist es das nicht.

    “Nimm den Trottel raus, und wir haben nichts mehr zu lachen.”

    Ich kann schon lange nur noch verhalten über Trump oder Bolsonaro lachen. Das sind nicht Laurel und Hardy.

  8. #9 Alisier
    12. April 2020

    Ich interpretiere Ökosysteme anders, Joseph. Und nicht, weil ich das unbedingt will, sondern weil sich das Verständnis derselben in den letzten 20 Jahren erheblich verändert hat.
    Wir wissen inzwischen wie wichtig Kooperation in solchen Systemen ist, und das Ausmerzen ist nicht nur vom Ausdruck her eher eine Naziphantasie als das es etwas mit funktionierenden Systemen nach dem Verständnis der heutigen Biologie zu tun hätte.
    Bei den Trotteln muss ich Dir freilich Recht geben…….allerdings…..sind das wirklich Trottel oder einfach nur zynische Profiteure?

    • #10 Joseph Kuhn
      12. April 2020

      @ Alisier:

      Die Differenz zwischen Ökosystem und Gesellschaft verschwindet nicht dadurch, dass in Ökosystemen Kooperationsbeziehungen bestehen. Das ist trivial. Empfehle, Marx’ Vergleich von Biene und Baumeister nachzulesen, und was sich daraus ergibt.

      Deine Sichtweise ist eine Art gutmeinender Biologismus, Gesellschaftskritik geht anders.

  9. #11 Alisier
    12. April 2020

    @ Joseph Kuhn
    Es war so aber nicht gemeint, auch wenn es bei Dir so rüber kam.
    Die Kooperationen sind aus meiner Sicht zentral und entscheidend.
    Ich sehe die Gesellschaft als System, das ohne enge Kooperation zwischen allen Beteiligten zu kollabieren droht. Das muss nicht biologistisch interpretiert werden, selbst wenn ich den Begriff Ökosystem verwende.

    • #12 Joseph Kuhn
      12. April 2020

      Biene und Baumeister, wie gesagt. Bei dem Thema fehlt dir zum genus proximum die differentia specifica. Deswegen gutmeinender Biologismus.

      Das sind schlichte Fakten, nichts mit „gemeint“ und „rüberkam“.

  10. #13 Viktualia
    12. April 2020

    Als ich die Liste zuende gelesen hatte, dachte ich, eigentlich ist das doch die Normalität, wie sie sein sollte und sonst nicht ist: dass wir uns selber wichtig nehmen und die, die unmittelbar für uns sorgen.
    Dieses momentane Grundgefühl, “abhängig” zu sein, ist sehr verstörend.

    Ich seh nicht wirklich den Gegensatz zwischen Alisier und Joseph, oder versteh die Differenzierung zwischen -relevant, -funktional, und -immanent in dem Zusammenhang nicht. Wie kann eine komplexe Gesellschaft sich als “System” bezeichnen, wenn sie nicht alle Elemente enthält? (Relevant für einen Teil, funktional in einem Bereich, immanent im Ganzen. Mengenlehre, nicht Soziologie.)
    Und wenn sie um einen Teil herum wirtschaftet, die Gesellschaft, weil er stört, oder vermeintlich nicht dazu gehört, so ist dieser Teil doch dann erst recht “systemrelevant”.
    (Sonst wären ja Gefängnisse systemrelevant und Straftäter nicht. Wie ist es dann mit Schulen und Lernenden?)

    Ich geh da eher weiter als Alisier und denke, dass Störungen integriert werden wollen, damit “es” funktionieren kann. (Also alles, bevor da Fragen kommen.)
    Mehr Müllmänner, weniger Banker.

    Daher auch mein Wunsch, statt der üblichen Possen diese koronainduzierte Pause als Chance für den Klimawandel zu nutzen.
    Gerade auch unter dem Aspekt der “Systemrelevanz”.

  11. #14 Viktualia
    12. April 2020

    Ich hatte nur bis 9 gelesen – “Differenz” – ich kann aber doch nur die Gesellschaft vom Ökosystem abziehen und nicht umgekehrt. Mengenlehre.
    Die Gesellschaft, die menschliche, ist Teil des Ökosystems. Darum müssen nicht überall die gleichen Spielregeln gelten, aber – worum ging es? Was nicht relevant sein kann?
    Da seh ich aber jetzt immer noch nix, was man ausschliessen müsste.
    Ich bin also jetzt auf Alisiers Standpunkt und hoffe auf Erläuterung.

    • #15 Joseph Kuhn
      12. April 2020

      @ Viktualia:

      “hoffe auf Erläuterung”

      Ich weiß nicht, ob man das einfach “erläutern” kann. Haben Sie nachgelesen, um was es Marx mit dem Vergleich von Biene und Baumeister geht? Was mit genus proximum und differentia specifica gemeint ist?

      Ein Versuch der Erläuterung, aber nur der eine: Eine Amöbe, ein Kaktus, eine Katze, ein Mensch – das sind alles Organismen. Die Eigenschaften, die Organismen im Allgemeinen beschreiben, gelten auch für Menschen, damit ist der Mensch aber nicht erschöpfend beschrieben, weil damit seine Besonderheit noch nicht beschrieben ist. Ein Ameisenstaat ist eine komplexe Interaktionsgemeinschaft, mit vielen Kooperationsbeziehungen, aber keiner dort denkt darüber nach, ob man die Müllabfuhr anders organisieren sollte oder statt einer Königin ein Leitungsgremium installieren sollte.

      Biologismus ist die Überzeugung, den Menschen in seiner Spezifik mit für den Menschen unspezifischen Begriffen beschreiben zu können. Das ist eine reduktionistische Sichtweise. Sie kann bösartig (“es geht immer um das Überleben des Stärkeren”), neutral (“menschliches Verhalten ist die Abfolge von Reiz und Reaktion”) oder gutartig (“Menschen kooperieren”) daherkommen. Noch reduktionistischer wäre, wenn man menschliches Miteinander mit den Begriffen der Physik beschreiben würde.

      Aber diese Grundsatzdiskussionen gehören eigentlich nicht hierher. Es ging mir nur darum, darauf aufmerksam zu machen, wie oberflächlich das (verdiente!) Lob für Pflegekräfte und Supermarktverkäufer/innen ist. Auf der Welle der Gedankenlosigkeit zu surfen, verhindert aber das dringend notwendige Nachdenken über die Zeit nach und vielleicht mit Corona.

  12. #16 LasurCyan
    12. April 2020

    Das läuft auf eine ‘Ja-Aber’- Diskussion hinaus. Genausogut könnte ma das Gegenteil machen, eine säuberliche Liste von BullshitJobs erstellen, die definitiv nicht systemrelevant wären, WENN das System..usw..

    Change is gonna come..

  13. #17 Viktualia
    12. April 2020

    Ups, googel gibt mir: „Eine Biene beschämt zwar durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, vor er sie in Wachs baut.”
    Dass der Mensch planen kann und nicht auf seine Instinkte reduziert ist, les ich da.

    Ja und welcher von denen ist jetzt nicht relevant? `Tschuldigung, was ist nicht Systemrelevant?
    Ich bin tatsächlich daran interessiert, wie man das als Beweis für´s Gegenteil von Relevanz von Allem für unser System “Gesellschaft” nehmen kann.

    Ich lese da eher, dass durch meine Fähigkeit, mir ein Bild zu machen, erst anthropomorphistisch zu sein, später zu abstrahieren, zu korrigieren, die immanente Relevanz (dieser Fähigkeit, einen Bezug herzustellen) höher und die funktionale trainiert wird. Und dass dies das System am Laufen hält.

    Mag sein, dass es so scheint, als wäre der Lehrer wichtiger als der Schüler, weil er das Planen trainieren soll, aber wenn es um “Systemrelevanz” geht, besteht da eine Abgängigkeit, die beiden Relevanz gibt.
    Und wenn ich Marx richtig versteh, hält er das Planen für immanent.

  14. #18 Henning
    12. April 2020

    Jaa! Danke, an den aufopferungsvollen Polizisten ohne, ohne was? In meiner Nachbarschaft parken die immer noch quer über Fuß- und Radweg, um zum Bäcker zu gehen. Flinte und Pfefferspray am Koppel. An Schutzausrűstung ist kein Mangel.
    Ironie aus. Gerade die können sich doch jetzt nicht beklagen.

    • #19 Joseph Kuhn
      13. April 2020

      @ Henning:

      “parken die immer noch quer über Fuß- und Radweg”

      Na, solange sich Ihre Sorgen auf so was beschränken, scheint bei Ihnen zumindest das Klopapier nicht knapp zu sein. Wenn Netflix auch noch funktioniert, steht ruhigen Frühlingstagen außer einem ab und zu quer geparkten Auto sicher nichts im Wege.

      “Flinte und Pfefferspray am Koppel. An Schutzausrűstung ist kein Mangel”

      Sehr witzig. Gemeint ist Mund-Nase-Schutz.

  15. #20 Viktualia
    13. April 2020

    Ich hab´s.
    Der Lehrer ist für die Gesellschaft systemrelevant, der Schüler hat in dem System Schule Relevanz.
    Das war der Punkt, oder?

    Haben oder sein…
    Alisier, ich glaube, ich merke, was du meinst. Aber der Punkt geht an Joseph.

    Des Schülers Relevanz ist zwar ne systemische, aber Systemrelevanz definiert sich anders. Über Rolle, nicht Person, und Ausführung eines Plans, eines möglicherweise fehlerhaften.
    Aber ehrlich gesagt halte ich Verbrecher doch auch für systemrelevant. Was aber eher für die Verbrecher spricht, als für das System.
    Ach, da krieg ich ja noch nen Bogen zum Thema hin (aber keinen link, war vor ein paaar Tagen in den Medien) – Gangs organisieren Kontakteinschränkungen in den Ghettos. Anscheinend in viele Städten.

  16. #21 August
    13. April 2020

    ich stell mir gerade vor, das Personal der IT-Abteilungen von Krankenhäusern fällt aus…

  17. #22 Kenshiro Joestar
    13. April 2020

    Eine schöne Aufzählung, ich würde aber auf jeden Fall noch die Kollegen aus der Wasserversorgung mit aufnehmen.

  18. #23 awag
    13. April 2020

    “Man wird sehen, wie sich die Systemrelevanz nach der Krise materiell äußert.”

    Wieso nach der Krise? Das EU Hilfspaket ist jetzt schon beschlossen worden, 500.000.000.000 Euro Paket für Arbeitnehmer, Firmen und schlingernde Staaten. Kann sich jemand diese Zahl vorstellen? 500.000 x 1.000.000 Euro.

  19. #24 Joseph Kuhn
    13. April 2020

    @ awag:

    “Kann sich jemand diese Zahl vorstellen?”

    Ich kann mir schon eine Milliarde Euro nicht wirklich vorstellen. Das müssen eine Menge Rollen Klopapier sein.

    Zur Refinanzierung siehe den hier verlinkten Beitrag von Guenther Grunert, andere Ökonomen, auch von Weltrang, wem das wichtig ist, vertreten ähnliche Positionen.

    @ Kenshiro Joestar:

    “Wasserversorgung”

    … unbedingt. Wir wissen zwar nicht, was Marie Antionette zur Alternative Rotwein gesagt hätte, aber klar ist: Ohne Wasser kein Leben. Nicht einmal Kaffee. 😉

    Im Ernst: Die Wasserversorgung gehört sogar formal zur “kritischen Infrastruktur”. Dass die nicht ausfallen darf, sollte jedem klar sein.

  20. #25 Jolly
    13. April 2020

    Auch Blogger scheinen zumindest mir persönlich nicht ganz irrelevant zu sein.

    Und natürlich nicht zu vergessen, die Philosophen. Wäre schlimm, wenn die ausgerechnet jetzt streiken würden, wo man ihren Rat mal dringend benötigt.

  21. #26 Wetterwachs
    13. April 2020

    Um Systemrelevanz zu ermitteln, müsste man zuerst mal das System und seine Zukunft zum Mittelpunkt seines Nachdenkens und seiner Vorstellungskraft machen, oder? Herr Dr. Kuhn fordert in seinen beiden „Wie weiter“-Beiträgen ja auch eindringlich dazu auf.

    Die systemrelevanten Berufe in der Liste sind relevant, weil sie die gefährdeten Mitglieder der Gesellschaft schützen (psychisch und physisch) und zu diesem Zweck unter den aktuellen Bedingungen dafür sorgen, dass die zur Erreichung dieses Ziels notwendigen Einschränkungen für alle so erträglich bleiben wie möglich. „Das System“, die Gesellschaft, scheint tatsächlich zur Zeit den Schutz von Menschen, und zwar schwachen Menschen, notwendig zu finden.

    Zum „wie weiter“ gehört vielleicht auch die Überlegung, welcher Beruf oder welche Arbeit „nach der Krise“ systemrelevant sein wird. Und ob man jenseits von opportunen Lippenbekenntnissen“ und „Augenblickspflicht der politischen Rhetorik“ von Systemrelevanz leben kann.
    Und vielleicht sogar, ob das latente Narrativ „Systemrelevant sind Arbeitsplätze, nicht die Menschen“ nicht genauso systementlarvend ist wie die mit den Banken und der Systemrelevanz. Werden nach der Krise Fliesbandarbeitsplätze in der Waffenfabrik, in der Braunkohleförderung, in der Massentierhaltung (Küken in den Schredder werfen oder Schweinchen die Eier abschneiden ohne Betäubung), viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie und alle Arbeitsplätze in der Tabakindustrie oder der Globuli produzierenden Industrie wieder primäre Systemrelevanz zugesprochen bekommen, einfach weil es Arbeitsplätze sind? Oder werden Menschen von Jobs leben können, die Schwache schützen durch vorsorgliche Maßnahmen und akute Unterstützung, die einen einigermaßen gleichen Wohlstand für alle schaffen, die Solidarität materiell belohnen? Kann man eine Wirtschaft gewinnbringend von Menschen- und Umwelt-Zerstörung auf Menschen- und Umweltschutz umpolen?

  22. #27 Viktualia
    13. April 2020

    “Kann man eine Wirtschaft gewinnbringend von Menschen- und Umwelt-Zerstörung auf Menschen- und Umweltschutz umpolen?”
    Mit ner Grundsicherung und vielen kleinen Initiativen der Individuen: Ja.
    Wie “systemrelevant” sind mit LED bestückte Weihnachtspullover? Wie systemrelevant könnten mehr “Suppenküchen”, Take aways an jeder Strassenecke sein? (Und wie Seuchenrelevant, seufz.)
    Aber da ginge viel, wenn die Hartz 4 Stigmatisierung nicht mehr wäre und Kranken- und Rentenversicherung bezahlt.
    (Private Taxiunternehmen in jedem Viertel, gemischt mit Car-sharing – ach, wenn damals die Abwrackprämie in den Öffentlichen Nahverkehr geflossen wäre!… Heimischer Tourismus, “Heimatkunde” mässig, Kultur und Spass mal in echt…)

    Anderes Thema: Schweinehoden entfernt der Bauer übrigens selber, wenn es ohne Betäubung gehen soll, darum ging es ja, dass die armen Wutzen mit ner Dröhnung versorgt werden sollen, die der Tierarzt geben muss, weil das (Betäubungs)Risiko sonst zu hoch ist… Ich weis aber nicht, wie der jetzige Stand der Dinge ist. Da gab es was verträglicheres, was die Kosten nicht so in die Höhe treibt.

    Überhaupt, die Landwirtschaft.
    Bodenschutz, also Speicherung von Kohlenstoff in Form von Humus, wär für mich das Wichtigste.

    Stattdessen wird der Hinweis der Bauern, dass sich die neue Düngeverordnung mit den Ansprüchen der Backindustrie beisst (weniger N im Korn verändert die Backeigenschaften), als “Boykott” kommuniziert, als wollten die kein anständiges Mehl liefern.
    Dann müssen sie halt für die Mast produzieren.
    Höhere Humuswerte im Boden stabilisieren den Stickstoff, verhindern das Auswaschen ins Grundwasser.
    Aber das bräuchte ein wenig mehr Zeit, andere Bewirtschaftungsweisen/Maschinen und diverse andere Voraussetzungen.

  23. #28 Huwa
    13. April 2020

    Die Liste die sie angeben ist sehr lang und vieles davon ist nicht Systemrelevant.
    Zum Vergleich die Betriebe die in Spanien offenbleiben dürfen, die anderen Betriebe bleiben bis 9. April geschlossen.

    lebensnotwendige Betriebe:

    Medizinische und pharmazeutische Aktivitäten

    Landwirtschaftliche und industrielle Produktion von Nahrungsmittel
    Lebensmitteleinzelhandel

    Transport von Lebensmitteln
    Bestimmte Personen- und Gütertransporte
    Häfen und Flughäfen

    Energieerzeugung und –versorgung
    Gas- und Wasserversorgung
    Ölraffinerien und Treibstoffversorgung

    Staatliche Sicherheitskräfte

    Telekommunikation

    Medien

  24. #29 Uli Schoppe
    13. April 2020

    Wir leben in einer Gesellschaft, nicht in einem Ökosystem. Das Ausmerzen der Kranken und Schwachen mag in einem Ökosystem systemrelevant sein, in einer menschlichen Gesellschaft ist es das nicht.

    Richtig.

    Ich kann schon lange nur noch verhalten über Trump oder Bolsonaro lachen. Das sind nicht Laurel und Hardy.
    Leider noch richtiger.

  25. #30 olaf
    13. April 2020

    Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) rät die Schüler bald wieder direkt zu unterrichten.

    Aber natürlich nur in kleinen Gruppengrößen, mit gestaffelten Pausen und “nur in den wichtigsten Fächern”.

    Gibt es auch systemrelevante Fächer?

  26. #31 Alisier
    13. April 2020

    @ Uli Schoppe
    Ich hatte bereits betont, dass Ausmerzen mit Ökosystemen nichts zu tun hat, und wenn Dich was stört, dann begründe es bitte, so wie JK es getan hat.
    Auf Deine Antwort warten Basilios und ich übrigens noch immer.
    Systemrelevanz lässt sich nicht so einfach dekretieren. Das war und ist mein Punkt, und ich denke, dass ihn auch viele verstanden haben.

  27. #32 Tobias
    14. April 2020

    Dazu auch ein lesenswerter Text in der Zeit:
    https://www.zeit.de/arbeit/2020-03/david-graebner-coronavirus-kapitalismus-bullshitjobs/komplettansicht

    Hoffen wir mal, dass sich die Entscheidungsträger auch noch nach der Krise an die Systemrelevanz erinnern.

    Ein Anmerkung zu
    „die Maschinenbauer, die z.B. Beatmungsgeräte bauen“
    Das sind ja in der Regel eher Leute aus dem Bereich Medizinprodukteherstellung, wobei ich meinen eigenen Beruf im Bereich QM und Regulatory ebenda auch etwas hinterfragen will.
    Ich kann gerade im Home Office nahezu 100% meiner Tätigkeiten von hier ausführen, da wir auch über eine sehr gute IT-Infrastruktur verfügen. Ich kann da also für mich persönlich, wie sicherlich viele hier, aus einer sehr komfortablen Situation heraus schreiben.

    Dennoch arbeite ich zu fast 95% nur mit Dokumenten: Lesen / Verstehen. Schreiben / Prüfen. Ein bisschen fehlt mir die praktische Tätigkeit da schon und ob das wirklich alles notwendig ist, sei auch mal dahingestellt. Insgesamt ein schwieriges Thema.

    Auch wenn viele Hersteller über die Bürokratie in diesem Bereich klagen, komme ich für mich zu dem Schluss, dass die Anforderungen in diesem Bereich in der Gesamtheit absolut richtig sind.
    Ob systemrelevant? Da hadere ich noch 😉

    Grüße

  28. #33 Axel
    Köln
    15. April 2020

    Hallo zusammen,

    ich hätte auch noch eine Berufsgruppe beizusteuern: die Sys- und Netzadmins die dafür sorgen, dass die Kollegen von zu Hause arbeiten können.

    Nur weil die keiner erwähnt und Sysadminday ist erst am 31. Juli 😉

    Viele Grüße

    Axel

  29. #34 RainerO
    15. April 2020

    @ Axel
    Aber die hat Joseph Kuhn doch bereits im Beitrag erwähnt:

    • das Personal der Internetbranche, damit wir in Corona-Blogs diskutieren können

    Ich las das so, dass ein Nichtfachmann damit die “Irgendwas-mit-Computer”-Personengruppe zusammengefasst hat.

  30. #35 Engywuck
    18. April 2020

    letztlich sind viele der aufgezählten Personen schon als “systemrelevant” anerkannt… ich bin beispielsweise “systemrelevant”, weil der Betrieb, für den ich die Computernetze am Laufen halte, Verpackungen herstellt, die unter anderem für das Abfüllen von Desinfektionsmitteln benötigt werden. Damit das produziert werden kann müssen aber auch Rohstoffhersteller, Lastwagenfahrer, … vorhanden sein.

    Ansonsten sehe ich “systemrelevant” eher unter dem temporalen Aspekt: natürlich sind *langfristig* Fahrzeughersteller relevant, schon allein um Ersatz (und -teile) für defekte Krankenwagen, Notarztautos, Lastwagen (siehe oben), Traktoren (Nahrung!) etc. zu beschaffen. Dennoch können wir als Gesellschaft diese Bereiche einige Wochen (evtl. gar Monate) stillegen und von den hoffentlich vorhandenen Reserven (und Lagern) zehren. Andere Bereiche wie Ärzte und Krankenpfleger, aber auch Verkäufer von Lebensmitteln werden dagegen in dieser Krise kontinuierlich und teilweise auch in möglichst hoher Zahl benötigt. In anderen Krisensituationen kann sich die “Systemrelevanz” dagegen verschieben und wir beispielsweise mehr Maschinenbauer als Krankenpfleger *akut* benötigen.

    Langfristig benötigen wir natürlich letztlich (fast) jeden, um das Gesamtsystem am Laufen zu halten – auch Landschaftsgärtner, Sportler und Künstler 😉

  31. #36 hto
    18. April 2020

    Eines steht fest, wenn wir nach Corona nicht endlich den Umbruch zu einem wirklich-wahrhaftigen System des Zusammenlebens OHNE … schaffen, werden wir für die einzige Systemrelevanz, nämlich die UNTERNEHMERISCHE FREIHEIT, wieder einen viel zu hohen Preis zahlen.