Vor einer guten Woche hatte ich hier gefragt, wie es jetzt, nachdem die epidemiologische Entwicklung trotz der Zunahme diagnostizierter Fälle eigentlich ganz positiv aussieht, coronapolitisch weitergehen sollte. Die Autorengruppe um Matthias Schrappe, die seit Monaten mit ihren Thesenpapieren die Coronapolitik in Deutschland kritisch, aber ohne Obskurantentum, begleitet, hat heute hat heute ihr viertes Thesenpapier in die Diskussion eingebracht und versucht damit Antworten auf die aktuelle epidemiologische Situation zu geben. Es wird in Kürze auch im Monitor Versorgungsforschung online sein. Das Papier umfasst 88 Seiten mit 19 Thesen – als Sonntagsservice hier frühstücksgerecht, wenn auch nicht auf Twitterlänge, komprimiert:

These 1: “In den letzten Wochen ist es zu einer Zunahme der täglich neu gemeldeten Infektionen mit SARS-CoV-2/Covid-19 von ca. 300 Fällen/Tag auf derzeit ca. 1350 Fällen/Tag (34. KW) gekommen. Die wöchentlichen Testzahlen wurden von ca. 400.000 auf fast 900.000 massiv ausgeweitet. Die Rate positiver Testergebnisse ist dagegen in den letzten Monaten von 9% auf ca. 1% abgefallen. Da weiterhin Kohortenuntersuchungen mit einer repräsentativen Stichprobe fehlen, sind die Effekte der spontanen Entwicklung der Epidemie und dem deutlich ausgeweiteten Stichprobenumfang nicht zu differenzieren. Es dominiert jetzt der sporadische Ausbreitungstyp, der anders als Herdausbrüche allein durch Testung und Nachverfolgung nicht zu beherrschen ist.

These 2: Die Interpretation der gemeldeten Neuinfektionen muss die hohe Rate falsch-positiver Befunde in Niedrigprävalenzkollektiven (1-3%) berücksichtigen, die mehr als die Hälfte der Befunde umfasst – soweit man die tatsächliche Infektiosität als Bezugspunkt festlegt. Daher sind Bestätigungsteste und die Konzentration auf Hochrisikokollektive angezeigt. Studien zur Infektiosität in der zweiten Woche der Infektion sind dringend geboten, denn hier könnte die Quarantäne verkürzt werden (…).

[…]

These 4: Hospitalisierungsrate und Mortalität der erkrankten Infizierten sind in KW31 von über 25 bzw. 7% auf 9 resp. 0,4% abgesunken. Die Zahl der intensivmedizinisch behandlungspflichtigen CoViD-19 Patienten ist deutlich von 3000 auf 220-240 abgefallen. (…) Als Gründe für diese Entwicklung müssen die bessere Vorbereitung des Gesundheitssystems, die Testung klinisch unauffälliger Personen und das deutlich sinkende Alter der Infizierten gelten (…) Die politische Einschätzung muss (…) bei der Darstellung von Neuinfektionen darauf hinweisen, dass populationsweit das Erkrankungs- und Komplikationsrisiko deutlich zurückgegangen ist.

[…]

These 7: Die Testung ist auf Subkollektive mit möglichst hoher Vortestwahrscheinlichkeit zu beschränken (…), außerdem sollten Kollektive mit höherem oder unbekanntem Infektionsrisiko (z.B. Lehrer, Kindergartenmitarbeiter) und Kollektive mit hohem individuellem Risiko für Komplikationen (z.B. Bewohner von Pflegeheimen und deren Angehörige, ambulante Pflege) getestet werden. Alle positiven Primärbefunde sind sofort zu kontrollieren (Wiederholung der PCR …). Als Teststrategie ist das Erreichen einer stabilen Kontrolle den denkbaren Alternativen der Eradikation (unrealistisch) und Herdenimmunität (schwer steuerbar) vorzuziehen (…).

[…]

These 9: Soziale Teilhabe und Sicherung der Lebensqualität sind für Pflegeheimbewohner auch unter den Bedingungen der CoViD-19-Epidemie wichtige Ziele, die mit den Zielen des Infektionsschutzes in Einklang zu bringen sind. Es mehren sich jedoch Berichte, dass negative Nebeneffekte der Isolationsmaßnahmen in den Langzeitpflegeeinrichtungen z.T. ein menschenunwürdiges Maß angenommen haben und geeignet sind, die Würde der Bewohner zu gefährden; diese Zustände sind unverzüglich zu beenden. Auch unter den Bedingungen des Infektionsschutzes sind die Bedürfnisse und Bedarfe der Bewohner vollumfänglich zu gewährleisten. (…) Innovative Konzepte müssen dringend entwickelt und evaluiert werden.

[…]

These 11: In der ersten Phase der Epidemie haben die Mitarbeiter in den Institutionen des Gesundheitswesens, der Pflege- und der Gemeinschaftseinrichtungen die gleiche Infektionslast zu tragen wie die Patienten, Bewohner und Betreuten (nosokomiale Infektionen). (…) Die mangelnde Vorbereitung der Institutionen (z.B. fehlende Schutzausrüstung, mangelnde organisatorische Vorbereitung) hat erhebliche Konsequenzen gezeigt. Derzeit kommt es zu einem leichten Anstieg der nosokomialen Übertragung auf Patienten, Bewohner und Betreute; auch dieser Verlauf bedarf einer kritischen Beobachtung.

[…]

These 14: Die Wiedereröffnung der Kindergärten und Schulen wird möglicherweise eine Erhöhung der täglich gemeldeten Infektionszahlen zur Folge haben (…). Allerdings kann man davon ausgehen, dass diese Infektionen wegen der geringeren Erkrankungsrate und –schwere bei Kindern und Jugendlichen die Krankheitslast der Bevölkerung insgesamt nicht negativ beeinflussen wird (infiziert heißt nicht erkrankt) – wirksame Zielgruppen-orientierte Präventionsansätze vorausgesetzt. Vermehrte Anstrengungen zur wissenschaftlichen Klärung der Rolle der Kinder müssen mit Outcome-orientierten Endpunkten intensiviert werden.

These 15: (…) Die durch das Tragen von Masken erreichte relative Risikoverminderung um 80% [die Autoren nehmen hier auf eine aktuelle Metaanalyse Bezug, JK] bedeutet in einem Hochrisikobereich mit einer Infektionswahrscheinlichkeit von 10% (z.B. ein Tag Arbeit auf einer Intensivstation) eine Reduktion auf 2% bzw. eine absolute Risikodifferenz von 8%, so dass 12,5 Personen eine Maske tragen müssen, um eine Infektion zu verhindern. Betrachtet man jedoch einen einstündigen Aufenthalt von 100 Personen in einem Supermarkt und setzt dafür ein Infektionsrisiko von 0,01% an (Prävalenz 1%, Infektionsrisiko bei einstündigem Aufenthalt in einem sehr großen Raum zusammen mit einem Infizierten 1%), dann senkt das Tragen einer Maske dieses Risiko auf 0,002%. Bei dieser absoluten Risikodifferenz von 0,008% müssen demnach 12.500 Personen in dieser Situation eine Maske tragen, um eine Infektion zu verhindern. Daher sind sowohl diese epidemiologischen Daten wie aber auch die damit zusammenhängenden differenzierten Maßnahmen und Empfehlungen zu berücksichtigen (…).

These 16: Die Zahl der Obduktionen ist durch den Verlauf der Epidemie deutlich abgesunken, liefert jedoch in jedem Fall wertvolle Informationen zum Krankheitsverlauf und zur Beschreibung der Risikogruppen, die im Rahmen einer Ziel-orientierten, spezifischen Präventionsstrategie einen besonderen Schutz erhalten müssen.

These 17: (…) Die Rollen von Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten werden nicht hinreichend voneinander abgegrenzt. In der Folge ließ sich zumindest in den politischen Medien eine gewisse Diskursverengung und eine Überbetonung der Alternativlosigkeit von Entscheidungen beobachten. Erst nach und nach entwickelte sich eine lebhafte Debatte in den Feuilletons und in den Medienwissenschaften.

These 18: Angesichts des Ausmaßes an sozialen und ökonomischen Verwerfungen ist es alles andere als überraschend, dass die Covid-19 Pandemie schon jetzt zu starken Veränderungen in der Wählergunst geführt hat. Im Kontext offener Parteipersonalfragen und eines kommenden Wahljahres stehen für das handelnde politische Personal alle Maßnahmen unter der Perspektive ihrer kurzfristigen politischen Konsequenzen. Das ist einem abgestimmten und angemessenen Umgang mit dem epidemischen Geschehen nicht notwendigerweise förderlich. (…).

These 19: Die Einsicht in das Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Medien und seine begründete Kritik ermöglicht, Bedingungen eines „vernünftigen Diskurses“ in Zeiten der Corona-Pandemie zu formulieren, die als idealiter zu befolgende Grundnormen oder Grundregeln Geltung für Wissenschaft, Politik und Medien im Interesse demokratischer Meinungsbildung beanspruchen. Die Trennung von Fakten und Meinungen, die Transparenz bei Entscheidungen unter Unsicherheit und das Vertrauen in die nicht angst-, sondern begründungs- und überzeugungsvermittelte demokratische Entscheidungsfähigkeit der Bürger sind die wichtigsten Bedingungen einer gelingenden Kommunikation auch in Zeiten der Corona-Pandemie.”

Wie bereits in den ersten drei Thesenpapieren geht es also vor allem um eine Verbesserung der Datenlage, die sorgfältige Beobachtung der Entwicklung und eine differenzierte Maßnahmenplanung. Zu Recht geben die Autor/innen der Situation in den Heimen viel Raum und mahnen an, hier ganz besonders auf die Balance zwischen Infektionsschutz und Menschenwürde zu achten.

Lesenswert sind auch die Überlegungen der Autor/innen zum Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Medien am Ende ihres Papiers. Warum es dazu keine These 20 zur Enttarnung der Bill-Gates-Verschwörung und der Lügenpresse sowie zum Sturz der Merkeldiktatur gibt, mögen sich alternativfaktische Fachleute selbst beantworten, also bitte nicht hier im Blog.

Kommentare (47)

  1. #1 Alisier
    30. August 2020

    Vielen Dank für diesen sehr hifreichen Frühstücksservice!
    Aber dass 20 fehlt entwertet das Ganze natürlich total.

  2. #2 kaktus
    30. August 2020

    “Warum es dazu keine These 20 zur Enttarnung der Bill-Gates-Verschwörung und der Lügenpresse sowie zum Sturz der Merkeldiktatur gibt, mögen sich alternativfaktische Fachleute selbst beantworten, also bitte nicht hier im Blog.”

    Obwohl es den Unterhaltungswert der Kommentare u.U. ein wenig senkt: Danke. An dieser Art Unterhaltung besteht derzeit ja nicht wirklich ein Mangel.

  3. #3 Christian Meesters
    30. August 2020

    Hm, der Spiegel argumentiert bzgl. der falsch-positiv Rate plausibel, dass diese geringer sein muss, als in These 1 angegeben. Wissenschaftliche Publikationen für lokale Schätzungen sind notorisch schwer zu finden – in diesem Fall bin ich nicht fündig geworden. Gibt es da etwas? Hätte schließlich einen gewissen Einfluss auf den Fortlauf der Diskussion.

    • #4 Joseph Kuhn
      30. August 2020

      @ Christian Meesters:

      “als in These 1 angegeben”

      Gemeint ist vermutlich These 2?

      Die Sache mit der Falschpositivenrate im Verhältnis zur Positivenrate war vor einiger Zeit hier auch schon mal Thema, mit Daten aus Bayern. Aktuell (27.8.2020) liegt die Positivenrate in Bayern bei 0,84 %.

      Schrappe et al. beziehen sich in ihrem Thesenpapier bei ihrer Aussage zu den Falschpositiven auf ein Papier des EBM-Netzwerks (Lühmann 2020). Das ist aber wie mein oben verlinkter Blogbeitrag nur ein Vorrechnen der grundsätzlichen Problematik, keine empirische Analyse. In der Praxis hängt wohl viel davon ab, ob die Labore unklare oder positive Befunde nachprüfen, je nachdem kann die Spezifität deutlich über 99 % liegen. Aber wem sage ich das, da kennst du dich besser aus als ich und für Konkreteres müsstest du mit Laboren reden, die Corona-PCR machen, da bin ich nicht firm.

  4. #5 Christian Meesters
    30. August 2020

    Ja, These 2 – selbstverständlich.

    … für Konkreteres müsstest du …

    Da hast Du recht, allein es fehlt die Zeit.

  5. #6 Uli Schoppe
    31. August 2020

    Die Empfehlungen des RKI sind da recht klar:

    https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html;jsessionid=B7ADEE42BF636A3E61246AD06986A308.internet121

    Ob man sich dran hält weiß ich natürlich nicht.

    • #7 Joseph Kuhn
      31. August 2020

      @ Uli Schoppe:

      Der Kommentar kommt mir vor wie ein Waisenkind, ganz allein in der großen Welt. Worauf bezieht er sich?

  6. #8 DocCarlos
    31. August 2020

    Das Papier kann auch hier abgerufen werden: http://www.matthias.schrappe.com/
    Je nach Zeit und Interesse kann man dort die “wichtigsten Botschaften” (3 Seiten), die “Zusammenfassung” (7 Seiten) oder das Papier insgesamt (88 Seiten) lesen.
    ++++++++++++++++++++
    Technische Frage: Andere Kommentatoren können Hyperlinks in ihre Kommentare einfügen. Mein Browser bietet mir nur ein einfaches Textfeld. Woher kommt dieser Unterschied?

  7. #9 stone1
    31. August 2020

    @DocCarlos

    Du hast doch eh einen Link in deinem Kommentar? Ansonsten sind Links auch mit dem HTML Tag a einzufügen.

  8. #10 stone1
    31. August 2020

    @DocCarlos

    P.S.:

    Diese und viele andere Fragen zum Kommentieren hat Alderamin übrigens mal in diesem FAQ beantwortet.

  9. #11 DocCarlos
    31. August 2020

    Danke @stone1.
    Die FAQ habe ich mir angesehen und gemerkt: Wer lesen kann, ist im Vorteil. Im Kern läuft es darauf hinaus, dass das Kommentar-Textkästchen eine Reihe einfacher HTML-Befehle versteht. Und dass sogar LaTex-Code möglich sein soll, hat mich erfreut und an alte Zeiten erinnert, als ich hunderte von Seiten damit verfasst habe. Scheint nur in der beschriebenen Weise nicht zu funktionieren. Da ich es nicht wirklich brauche, ist das auch nicht wichtig.
    Der Link in meinem Kommentar #8 ist übrigens so entstanden, dass die Webseite den von mir eingegebenen Link (beginnend mit https) automatisch umgewandelt hat, ohne dass ich den in den FAQ erläuterten href-Befehl anwenden musste.

  10. #12 Uli Schoppe
    31. August 2020

    @Joseph es war doch die Frage gestellt “ob die Labore unklare oder positive Befunde nachprüfen”. So wie ich die Seite des RKI verstanden habe sollte genau das passieren?

    • #13 Joseph Kuhn
      31. August 2020

      … ah verstehe. Ja, bei den unklaren Befunden soll es gemacht werden.

      ———-
      Nachtrag 1.9.2020: Habe heute noch mal nachgefragt, die Prüfungen beschränken sich wohl auch auf die unklaren Befunde.

  11. #14 Michael Becker
    1. September 2020

    Da ich das Thesenpapier nur über die Suche nach dem Autor gefunden habe Poste ich mal den Link dorthin.

    https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/mvf0420/Schrappe_etal_Thesenpapier%203-0_Corona-Pandemie

    • #15 Joseph Kuhn
      1. September 2020

      @ Michael Becker:

      Ihr Link führt zum Thesenpapier 3.0, hier geht es um das Papier 4.0. Das kommt erst noch im Monitor Versorgungsforschung.

      DocCarlos hatte oben in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass das Papier bereits auf der Homepage von Herrn Schrappe abrufbar ist: http://www.matthias.schrappe.com/index_htm_files/thesenpapier_4_endfass_200830.pdf. Habe den Link jetzt auch im Blogbeitrag ergänzt.

  12. #16 Michael Becker
    1. September 2020

    @DocCarlos
    Dank für den Link.

    Und meinen vorherigen Kommentar löschen bzw gar nicht freischalten, der Link führt auf das falsche Thesenpapier vom Juli.

    • #17 Joseph Kuhn
      1. September 2020

      … 3.0. ist auch lesenswert 😉

  13. #18 Michael Becker
    1. September 2020

    Wie hoch ist die Chance das dieses Papier in die Hände von politischen Entscheidern gerät?

    • #19 Joseph Kuhn
      1. September 2020

      @ Michael Becker:

      Das Papier ist weniger als etwas zu sehen, was von außen an die politische Entscheidungsebene herangetragen wird, sondern als Reflex der Meinungsbildung in Teilen des gesundheitspolitischen Establishments.

  14. #20 Michael Becker
    1. September 2020

    Ich finde es schon spannend das jenes Papier so ziemlich jedes Problem anspricht was mich am aktuellen Verhalten der Politik und Medien im Zusammenhang mit den verfügbaren Informationen stört.

    • #21 Joseph Kuhn
      1. September 2020

      @ Michael Becker:

      Ja, die vier Thesenpapiere sind gut und helfen bei einer sachlichen Orientierung. Natürlich gibt es da und dort auch seichte Stellen, aber die soll es ja angeblich sogar in meinen Blogbeiträgen geben.

  15. #22 Joseph Kuhn
    2. September 2020

    Nachdenklicher Spahn

    Manche Maßnahmen würde man heute nicht mehr machen, so Spahn gegenüber der Bildzeitung:

    “Mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, müssen keine Friseure mehr schließen und kein Einzelhandel mehr schließen. (…) Wir werden nicht noch mal Besuchsverbote brauchen in den Pflegeeinrichtungen”.

    Dass man bei den Heimen nicht mehr einfach zusperrt, wäre wirklich wichtig. Das Gleichgewicht zwischen Infektionsschutz und Lebensqualität braucht hier besonderen Einfallsreichtum. Was die Friseure angeht, bin ich persönlich leidensfähiger, verstehe aber, dass andere und natürlich auch die Beschäftigten meine Gelassenheit in dem Punkt nicht teilen.

  16. #23 rolak
    2. September 2020

    würde man heute nicht mehr machen

    Da fehlt dem Spahn aber eine gute Begründung – – das konnte der Alte besser:

    Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu vertreten, denn niemand kann einen daran hindern, klüger zu werden.

  17. #24 Michael Becker
    2. September 2020

    Mir stellt sich gerade die Frage welche Auswirkung diese Studie sofern Sie Recht hat auf die Impfstoffentwicklung haben könnte:

    https://news.rub.de/wissenschaft/2020-09-01-covid-19-schwerer-verlauf-trotz-oder-sogar-wegen-zu-starker-immunitaet

  18. #25 Alisier
    3. September 2020

    Oh….Dachau ist Hotspot, zumindest nach bayrischer Definition.

    • #26 Joseph Kuhn
      3. September 2020

      @ Alisier:

      Ja, es gibt einen Ausbruch in einem Pflegeheim, der die Zahlen hochgetrieben hat, die Medien berichten seit Tagen.

  19. #27 Spritkopf
    4. September 2020

    @Joseph
    Ich hätte eine kleine OT-Bitte an dich. Könntest du bitte Alisier meine Mailadresse zukommen lassen? Danke.

    • #28 Joseph Kuhn
      4. September 2020

      Erledigt.

  20. #29 Monika Fischer
    7. September 2020

    In dem Papier wird für einen “einstündigen Aufenthalt von 100 Personen in einem Supermarkt” ein Infektionsrisiko von 0,01% angesetzt, was auf folgender Begründung beruht: “Prävalenz 1%, Infektionsrisiko bei
    einstündigem Aufenthalt in einem sehr großen Raum zusammen mit einem Infizierten 1%”.
    Gefolgert wird, dass das Tragen einer Maske dieses Risiko auf 0,002% reduziert, weil vorausgesetzt wird, dass Masken das Infektionsrisiko um 80% reduzieren.
    Nach der Rechnung der Autoten müssten dann 12.500 Personen einmal mit Maske einkaufen gehen, um eine einzige Infektion zu vermeiden.

    Hier meine ich folgende logische Fehler zu erkennen:

    1. Das Infektionsrisiko von 0,1% bezieht sich nur auf eine einzelne Person – es sind aber rund 100 Personen diesem Risiko ausgesetzt.
    2. Eine Infektion kann eine Kette vieler Infektionen starten. Dies soll durch Masken verhindert werden – was aber in der Rechnung nicht berücksichtigt wurde.

    Mir ist das wichtig, weil ich mir eine Meinung dazu bilden möchte, ob die Maskenpflicht zu den sinnvollen Maßnahmen zählt und mir sachliche Diskussionen darüber nicht oft unterkommen.

  21. #30 Fluffy
    7. September 2020

    Ja, so steht es in These 17. Das ist aber ein doppelter Fehlschluss. Wenn die Rechnung überhaupt stimmt, dann müssten 12500 Personen eine Maske tragen, um eine Infektion zu erzeugen.

  22. #31 Joseph Kuhn
    7. September 2020

    @ Monika Fischer:

    Schrappe et al. haben einfach die absolute Risikoreduktion durch eine Maßnahme in einer definierten Situation umgerechnet in eine NNT (number needed to treat). Ich wüsste erst mal nicht, was daran falsch sein sollte.

    Vielleicht hilfreich: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2020/06/05/stichwort-number-needed-to-screen/

    @ Fluffy:

    Der Kehrwert der absoluten Risikoreduktion durch eine Maßnahme gibt nicht an, was man tun muss, um das Risiko zu erhöhen. Die number needed to harm geht anders rum.

  23. #32 Monika Fischer
    9. September 2020

    Oh, ich habe selbst einen Zahlen-Fehler produziert und geschrieben “das Infektionsrisiko von 1% bezieht sich nur auf eine Person”. In der Studie (und weiter oben in meinem Kommentar auch) heißt es aber 0,01%

    Was mich Milchmädchen irritiert ist dieser Wert von 0,01% für das Infektionsrisiko bei 100 Kunden, einer Prävalenz von 1% und einer Infektionsgefahr von 1%.

    1% ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Person X im Raum infiziert ist.

    1% die Wahrscheinlichkeit für die Person Y, sich zu infizieren, falls eine infizierte Person im Raum ist.

    Multipliziert ergibt sich der Wert von 0,01% – meiner Meinung nach für die Wahrscheinlichkeit, dass sich die ganz genau die eine Person Y bei der einen Person X ansteckt.

    Aber ist das der Wert, der interessieren sollte? Oder muss man mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass irgendeine der 100 Personen irgendeine andere infiziert?

    Bei einer Prävalenz von 1% ist es doch eher wahrscheinlich, dass unter 100 Kunden ein infizierter ist (oder mehrere). Auch nicht gering ist dann bei einem Infektionsrisiko von 1% die Wahrscheinlichkeit, dass unter den anderen rund 100 Kunden welche sind, die sich anstecken.

    Das ist wichtig, weil gefolgert wird, dass bei einer Reduktion der Infektionsraten um 80% durch Masken 12500 Personen “in dieser Situation eine Maske tragen” müssten, um eine Infektion zu vermeiden.

    Das Verfallsdatum meines Stochastik-Wissens ist abgelaufen, aber eine Zahl von 125 passt besser zu meinen obigen Überlegungen.

    Ich möchte sehr gerne korrigiert werden, wenn ich mich irre, und ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich Ihre Zeit in Anspruch nehme (ich tue es, weil Sie die Zahlen verögffentlicht haben, um die es mir geht).

    P.S.: Die NNT ist mir bekannt. Ich finde in diesem Zusammenhang wichtig zu sehen, dass der errechnete Wert sich dann nicht auf die Anzahl der Menschen bezieht, die grundsätzlich beim Einkaufen Masken tragen, sondern auf die Zahl der Einkäufe, die mit Maske getätigt werden. Es müsste also nicht heißen „soundsoviel Leute müssen Masken tragen, um eine Infektion zu verhindern“ sondern „soundsovielmal muss jemand beim Einkaufen eine Maske tragen, um eine Infektion zu verhindern“. Das steht im Thesenpapier und bei Ihnen natürlich richtig, ich habe es aber auch anderswo schon missverständlich gelesen.

  24. #33 Fluffy
    10. September 2020

    These 15: (…) Die durch das Tragen von Masken erreichte relative Risikoverminderung um 80% [die Autoren nehmen hier auf eine aktuelle Metaanalyse Bezug, JK] bedeutet in einem Hochrisikobereich mit einer Infektionswahrscheinlichkeit von 10% (z.B. ein Tag Arbeit auf einer Intensivstation) eine Reduktion auf 2% bzw. eine absolute Risikodifferenz von 8%, so dass 12,5 Personen eine Maske tragen müssen, um eine Infektion zu verhindern. Betrachtet man jedoch einen einstündigen Aufenthalt von 100 Personen in einem Supermarkt und setzt dafür ein Infektionsrisiko von 0,01% an (Prävalenz 1%, Infektionsrisiko bei einstündigem Aufenthalt in einem sehr großen Raum zusammen mit einem Infizierten 1%), dann senkt das Tragen einer Maske dieses Risiko auf 0,002%.

    Hier versucht man Äpfel mit Birnen zu vergleichen, die hochdramatische Situation auf einer Intensivstation mit der banalen Alltagssituation beim Einkauf. Die Zeitabhängigkeit eines Infektionsrisikos kamnn man durch eine Exponentialverteilung beschreiben.
    P[t] = 1- Exp[-t/T0] ,
    mit P[t] dm Anteil der bis zum Zeitpunkt t (hier mal in Stunden gemessen) Infizierten und T0 der sogenannten durchschnittlichen Zeitdauer bis zur Erkrankung.
    Wenn eine Arbeitstag auf der Intensivstation mal zu 10 h angenommen wird, erhält man P[10] = 1-Exp[-10/T0]=0.1, T0 ~ 95 h
    Für den Supermarkt hat man in 1 Stunde Aufenthalt mit 100 Leuten ein Risiko von ca 1%,
    ergibt P[1] = 1-Exp[-1/T1]=0.01, T1 ~ 99.5 h
    Da T0, T1 die Risikobestimmenden Parameter sind, sieht man, dass die Risiken ungefähr gleich sind.
    Die Risikoreduktion durch “Maskennutzung” um 80% ( also auf 0.2 auf der Intensiv, bzw. 0.002 im Supermarkt) ergibt dann Werte von T0 = 495 h, bzw 499.5 h, also rund eine Verfünfachung.
    Wie man hiervon auf die noch dazu sehr unterschiedliche Zahl der Maskenträger kommt, die eine Infektion verhindert, ist mir unklar.
    Dass die Zeiten T0, T1 auf der Intensivstation und im Supermarkt sehr ähnlich sind ist plausibel, da es sich um denselben virologischen Mechanismus, enger Kontakt mit einem Infizierten handelt .

  25. #34 Fluffy
    10. September 2020

    p.s.
    Ich vergaß, das Masketragen als Bestandteil der Hygienebestimmungen, war auch schon vor Corona auf Intensivstationen Usus, Pflicht, selbstverständlich

  26. #35 Monika Fischer
    10. September 2020

    Meine Frage ist eigentlich, wieso das Risiko, dass sich einer von 100 Kunden unter den gegebenen Voraussetzungen (Prävalenz 1%, Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Infizierten anzustecken 1%) infiziert, bei 0,01% liegen soll (Das eben ist der Wert, der um 80% auf 0,002% reduziert werden soll.). Ich gehe davon aus, dass ich die Rechnung nicht zuende gedacht habe und wäre für Unterstützung dankbar.

    • #36 Joseph Kuhn
      10. September 2020

      @ Monika Fischer:

      So ganz sicher bin ich auch nicht, ob man aus den Werten aus der Klammer einfach multiplikativ die 0,01 % ableiten darf. Vielleicht sollte man es eher als Überschlagsrechnung dergestalt sehen, dass, wenn sich ein 1%-Infektionsrisiko einer Begegnung mit einem Infizierten auf 100 Begegnungen verteilt, 0,01 % in die richtige Richtung geht. Aber vielleicht hat jemand noch eine bessere Idee.

      Für die Argumentation der Autoren ist das ohnehin nur bedingt relevant. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass auch eine große relative Risikoreduktion (80 %) nicht viel bringt, wenn das absolute Risiko klein ist und sich dann viele Menschen Mühe für vergleichsweise wenig Effekt geben müssen. Ob sich eine Gesellschaft das zumuten will, muss eben diskutiert werden.

  27. #37 Fluffy
    10. September 2020

    Bei einer Prävalenz von1% und 100 Leuten rechnet man damit, dass einer erkrankt ist. Das Infektionsrisiko innerhalb einer Stunde beträgt dann 1%. Alles andere ist beliebiges Rumgerechne mit Zahlen, um zu genehmen Ergebnissen zu kommen. Auch für ein noch so kleines Risiko gilt, entscheidend ist, wie lange man ihm ausgesetzt ist.

  28. #38 Monika Fischer
    10. September 2020

    @Fluffy: Ich komme eben auch eher auf 1% denn auf 0,01 %. Sollte der korrekte Wert etwa 0,01 = 1% sein, so dass mit einem Kommafehler gerchnet wurde?

  29. #39 Monika Fischer
    10. September 2020

    @ Joseph Kuhn: Wieso sollte sich das Infektionsrisiko auf 100 Leute verteilen? Das kann ich aus dem Originaltext beim besten Willen nicht herauslesen. Ich lese die Zahl als Infektionsrisiko des Einzelnen.

    • #40 Joseph Kuhn
      10. September 2020

      @ Monika Fischer:

      Hm. Sie haben Recht, das Original liest sich eher so wie Sie es lesen. Habe meine möglicherweise voreilige Antwort auf Fluffys letzten Kommentar schon reumütig im Papierkorb versenkt. Mailen Sie doch Herrn Schrappe mal an, mit etwas Glück antwortet er ja.

  30. #41 Fluffy
    10. September 2020

    @Karl Valentin Joseph Kuhn
    Das einzigste, was ich “berechnet” habe, war aus Prävalenz und Anzahl der Leute ein Infizierter.
    Das Infektionsrisiko von 1% steht oben in These 15.

    @Monika Fischer
    Ja, 1%. Der Rest ist nicht nachvollziehbares Zahlenjonglieren

  31. #42 Fluffy
    10. September 2020

    Sehe gerade, hier hat sich was überschnitten.
    Habe erst später die Kommentare refresht.

    • #43 Joseph Kuhn
      11. September 2020

      @ Fluffy:

      Macht ja nichts, schließlich habe ich Ihnen den berühmten Zahlentheoretiker Karl Valentin beim Infektionsrisiko womöglich zu Unrecht vorgehalten. Womöglich. 😉

      Die Textstelle von Schrappe et al. ist in dem Punkt, den wir hier diskutieren, und auf dessen Klärung Monika Fischer insistiert, in der Tat etwas kryptisch. Ob sie, wie in Kommentar #36 vermutet, nicht doch von 1 % als kumulativem Infektionsrisiko aller 100 Supermarktbesucher bei einer Stunde Aufenthalt und einem Infizierten ausgehen und vereinfachend davon, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei oder mehr Personen anstecken, praktisch gleich Null ist? Dann wäre man bei 0,01 % Infektionsrisiko für jede Person. Falls das so ist, bliebe die Frage, warum sie das so umständlich hinschreiben und nicht einfach sagen, wir unterstellen zur Veranschaulichung einmal 0,01 %.

      Aber wie gesagt, wie sich das auch immer aufklären mag, das Argument, dass bei kleinem absoluten Risiko auch eine hohe relative Risikoreduktion viel Aufwand für wenig Effekt verlangt, stimmt ja.

  32. #44 Monika Fischer
    11. September 2020

    @ Joseph Kuhn: Zum letzten Abschnitt: Ja, und ich bin selbstredend der Meinung, dass die Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen dringend (und unbedingt von Kompetenteren als mir) sachlich diskutiert werden soll. In der Hinsicht hebt sich das Thesenpapier insgesamt sehr positiv hervor aus dem, was ich oft mitbekomme. Es geht mir nur um dieses eine Detail und hier auch nicht so sehr um die Zahlen selbst, die ich eher im Sinne einer Beispielrechnung auffasse.

  33. #45 Fluffy
    11. September 2020

    😉

  34. #46 Monika Fischer
    11. September 2020

    Für den Fall, dass es interessiert, poste ich nochmal den letzten Stand meiner Überlegungen.

    Hier zum Beispiel (S. 86) kann man lesen, wie sich die Number Needed to Treat errechnet:
    https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Handbuch_Fortb_KHH.pdf?__blob=publicationFile
    Die Formel lautet:
    NNT = 1/ARR
    Mit der Differenz zwischen Ereignisrate in der Kontrollgruppe und Ereignisrate in der Studiengruppe als ARR.

    Bei einer Prävalenz von 1% wäre zu erwarten, dass unter 100 Kunden ein Infizierter ist.
    Bei einem Infektionsrisiko von 1%, sich bei Exposition mit einem Infizierten in der genannten Situation anzustecken, ist zu erwarten, dass es unter den rund 100 anderen Kunden (es sind nur 99, aber das lasse ich außer Acht) im Schnitt – also über n Situationen hinweg, in denen 100 Leute “gemeinsam” einkaufen – zu einer Infektion kommen wird (Ereignisrate in der Kontrollgruppe = 1%). Also nur zu 0,2 Infektionen, wenn alle mit Masken einkaufen – wegen der angenommenen Reduktion des Infektionsrisikos um 80% (Ereignisrate in der Studiengruppe = 0,2%).

    Für ARR ergibt sich: 1%-0,2%, also 0,01-0,002=0,008.
    Für NNT demnach 1/0,008 = 125
    Das hieße, 125 Einkäufe mit Maske verhindern eine Infektion. Nicht 12.500.
    Für mich persönlich würde das bedeuten: Wenn es bei der vorausgesetzten Prävalenz bliebe, könnte ich durch Einkaufen mit Maske eine Infektion pro Jahr verhindern (angenommen, die Voraussetzungen stimmten und ich ginge 125 Mal unter den gegebenen Bedingungen einkaufen). Eine symptomlose Infektion ohne Folgen, einen schweren Verlauf oder eine Infektionskette – die ganze Bandbreite, das kann ich mir njcht aussuchen.

    Besser weiß ich es nicht; ich würde es mir auch gerne anders vorechnen lassen.

    • #47 Joseph Kuhn
      11. September 2020

      @ Monika Fischer:

      1. Damit die Eigenwerbung nicht zu kurz kommt, aber vielleicht auch für Ihre Erkundung der NNT von Interesse: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2020/06/05/stichwort-number-needed-to-screen/

      2. Wenn Sie das Setting „Einkaufssituation mit 100 Personen“ als Einheit zur Risikoreduktion nehmen, müssen Sie das auch konsequent tun. Dann geht es bei der NNT um die Maskierung von 125 Einkaufssituationen mit 100 Personen, also 12.500 wie bei Schrappe et al.

      Dass 125 maskierte Personen in einem Supermarkt je Stunde eine Infektion verhindern, wirkt auch intuitiv nicht plausibel, auch wenn die Intuition bei diesen Fragen oft ein falscher Freund ist. Hoffentlich gerade nicht meiner 😉