Testen, um mit SARS-CoV-2 infizierte, damit potenziell infektiöse und später vielleicht auch selbst erkrankende Menschen zu finden, gehört zu den Strategien der Seuchenkontrolle, an die sich jetzt, wo Einschränkungen des Alltagslebens zunehmend aufgehoben werden, große Erwartungen knüpfen. Richtig eingesetzt, können Tests sehr hilfreich sein und Leben retten. Aber einfach „testen, testen, testen“ ist nicht das richtige Rezept, darüber hatten wir vor kurzem schon anhand der Zahl der falsch positiven Ergebnisse diskutiert.

Das lässt sich auch an einer Zahl festmachen, die ebenfalls aus der Vierfeldertafel ablesbar ist: die „Number Needed to Screen (NNS)“. Sie bezeichnet die Zahl an Tests, die nötig sind, um einen Infizierten zu finden. Nehmen wir einen Test mit einer Sensitivität von 75 % (der also mit 75 % Wahrscheinlichkeit einen Infizierten findet), einer Spezifität von 99,5 % (der also mit 99,5 % Wahrscheinlichkeit einen Nichtinfizierten als solchen identifiziert) und unterstellen wir eine Häufigkeit von 0,05 % Infizierten in der Bevölkerung. Dann kommen wir bei fiktiv 100.000 Getesteten zu folgender Vierfeldertafel:

Die NNS ergibt sich ganz einfach aus der Vierfeldertafel als Quotient der Getesteten durch die Anzahl richtig positiver Tests. In unserem Beispiel müssten also, gerechnet mit den ungerundeten 37,5 richtig Positiven, 2.667 Menschen getestet werden, um einen Infizierten zu finden. Die Zahl ändert sich naheliegenderweise nicht, wenn man die Population größer oder kleiner macht.

Die NNS ist auch ein Baustein, wenn es darum geht, die Kosteneffizienz eines Screeningprogramms abschätzen. Bei Kosten von 120 Euro pro Test würden bei den unterstellten Ausgangsdaten 320.000 Euro aufzuwenden sein, um einen Infizierten zu finden. Man kann von da aus weiterfragen, wie viele Menschen getestet werden müssen, um ein Leben zu retten. Dazu sind zusätzliche Annahmen nötig, von der Letalität über die Frage, ob durch den Test der Verlauf der Krankheit beeinflusst werden kann, bis hin zur Abschätzung, wie viele weitere Infektionen mit ihren Folgen durch einen Test verhindert werden. Das überlasse ich gerne den Fachleuten. Das Zahlenwerk sieht natürlich ganz anders aus, wenn in einer Gruppe mit höherer Prävalenz getestet wird. Zudem ist es manchmal auch wichtiger, eine Infektion (mit hinreichender Wahrscheinlichkeit) auszuschließen, so dass das negative Ergebnis der Zielwert ist.

Bekannter als die Number Needed to Screen ist ihre Schwester, die „Number Needed to Treat (NNT)“. Sie gibt an, wie viele Menschen behandelt werden müssen, um z.B. ein Leben zu retten oder einen Krankenhausfall zu vermeiden. Wenn eine Behandlung mit erheblichen Nebenwirkungen einhergeht, ist die NNT ein sehr hilfreicher Orientierungswert, ebenso, wenn Behandlungsmethoden nach ihren Kosten verglichen werden. Die NNT lässt sich in gleicher Weise aus einer Vierfeldertafel ablesen wie die NNS, oder als Kehrwert der absoluten Risikoreduktion berechnen, also der Differenz z.B. der Sterberaten mit und ohne Behandlung. Außerdem gibt es noch eine Variante, die „Number Needed to Harm“, also die Zahl an Behandlungen, bei der mit dem Auftreten eines Nebenwirkungsfalls zu rechnen ist. Die steht dann u.a. in den Beipackzetteln von Medikamenten.

Wahrscheinlich gibt es auch eine Number needed to Act, eine Zahl, ab der die Politik dieses oder jenes tut, und in der Pharmaindustrie sicher eine Number Needed to make Money, aber die heißen anders und ergeben sich auch nicht aus Vierfeldertafeln.

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Zum Weiterlesen:

Razum O, Breckenkamp J, Brzoska (2017) Epidemiologie für Dummies. 3. Auflage, Weinheim.

Edit 22.12.2020: Auf Leserbitte Halbsatz mit den 37,5 Ungerundeten bei der Berechnung der NNS ergänzt.

Kommentare (10)

  1. #1 2xhinschauen
    6. Juni 2020

    Wenn ich mir die Rechenbeispiele so anschaue, frage ich mich gerade, wieviele Bürger man dauerhaft einiger ihrer bürgerlichen Freiheitsrechte berauben muss (=da hat alleine der Test schon übelste Nebenwirkungen), um einen “Terroristen” zu schnappen oder gar an seinem Tun zu hindern, wenn man zusätzlich weiß, dass deren Prävalenz trotz großzügiger Definition nahezu null ist und die, bei denen das tatsächlich gelingt, durch normale Polizeiarbeit erwischt werden? Und der kleine Rest trotz aller Massenüberwachung nicht?

  2. #2 Soisses
    6. Juni 2020

    Offenbar ist das Screening von Individuen unter den angenommenen Rahmenbedingungen kein gangbarer Weg. Ich setze meine Hoffnung auf das Screening im Pool, also in Gruppen. Wäre das nicht die Lösung, vor allem im Hinblick auf das Öffnen der Bildungseinrichtungen? Wird das schon gemacht? Mit welchem Erfolg?

    • #3 Joseph Kuhn
      6. Juni 2020

      @ Soisses:

      “Offenbar ist das Screening von Individuen unter den angenommenen Rahmenbedingungen kein gangbarer Weg.”

      Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck man testet. Was gepoolte Tests angeht: Das könnte für bestimmte Zwecke in Niedrigprävalenzpopulationen sinnvoll sein. Aber der Aufwand kann den Nutzen schnell übertreffen, weil man bei einem positiven Test im Pool ja alle gepoolte Personen individuell nachtesten muss. Ich bin aber kein Fachmann für das Thema.

      Eine ganz besondere Variante des gepoolten Testens ist übrigens nebenan Thema.

  3. #4 JW
    7. Juni 2020

    Zum Einem kostet der Testberichte nach EBM 57 €, was immer noch viel Geld ist.
    Zum anderen gehört links oben in die Tabelle eine 37, dann kommt es besser hin.

  4. #5 Joseph Kuhn
    7. Juni 2020

    @ JW:

    “oben in die Tabelle eine 37”

    Ja, wenn ich hier abgerundet hätte, würden die Summen stimmen. Aber gerundet ergeben 37,5 halt 38 und 12,5 werden zu 13. Ich hätte die Zahl der zu Testenden größer machen sollen, damit in den Zellen nur ganze Zahlen vorkommen. Mit dem Mirakel der rundungsbedingten Vervollständigung halber Menschen muss man halt jetzt leben 😉

    “Testberichte nach EBM 57 €”

    Das sind aber nicht die Vollkosten für einen Test. Wie die finanziert werden sollen (lt. Spahn soll die GKV ja nur Laborleistungen in Höhe von 52,50 Euro erstatten), ist noch völlig offen.

  5. #6 Soisses
    7. Juni 2020

    @Joseph
    Testen von Abwasser ist auch schön, aber kaum kleinräumig anwendbar und mehr so für Kartierungen geeignet, nicht wahr?
    Ich suche konkret nach einer Lösung für die Oberschule in meiner Nachbarschaft, fußläufig zum größten Corona-Referenzlabor Europas.
    Das Testen im Pool – für mich eine neue Idee, einfach und bahnbrechend. (Muss ich wohl zu allererst in einem Kommentar auf Gesundheits-check gelesen haben. Danke dafür!)
    Das Folgende kann m.E. nicht zutreffen:

    “Aber der Aufwand kann den Nutzen schnell übertreffen, weil man bei einem positiven Test im Pool ja alle gepoolte Personen individuell nachtesten muss.”

    Es ist erstens eine lösbare Rechenaufgabe, wie groß man den Pool wählen muss, damit die Kosten (als Maß für den Aufwand) des Pooltestens plus Nachtest garantiert unter den 100.000*120 Euro des Einzeltestens bleiben.
    Zweitens ist man nicht gezwungen, auf einen positiven Pooltest hin alle Teilnehmer/innen des Pools nachzutesten. In Eile und/oder Not schickt man den ganzen Pool nach Hause und führt die Nachtests später durch, wenn Zeit und Mittel dies erlauben.
    Immer noch besser, den Pool nach Hause zu schicken, als die ganze Schule zu schließen.

    Angenommen, dass ein Test pro Pool 500 Euro kostet, während ein Nachtest (Einzeltest) 120 Euro kostet,
    die Schule 550 Schüler + 63 Personal hat,
    und Prävalenz, Sensitivität und Spezifität wie oben,
    dann ergibt sich folgendes Bild:
    In dieser Schule wird man statistisch 3,1 falsch positive Tests und 0,2 richtig positive Test finden, also 3,3 positive Tests insgesamt. Man hofft nun auf eine stattliche Anzahl negativer Pools, denn die kann man ohne Weiteres in die Schule lassen.
    Die 3,3 positiven Tests befinden sich im ungünstigsten und teuersten Fall je einzeln verteilt auf 3 (bzw. 3,3 Pools). Dann würden genau diese 3 Pools nachgetestet bzw. nach Hause geschickt.
    Ich zeige hier mal schematisch den jeweils teuersten Fall bei 3 verschiedenen Poolgrößen, incl. Nachtest.

    1 Pool à 613 Personen: 500 Euro + 613*120 Euro = 74.060 Euro
    10 Pools à 61 Personen: 10*500 Euro + 3,3*61,3*120 Euro = 29.275 Euro
    Bei Pools in Klassenstärke:
    21 Pools à 29 Personen: 21*500 Euro + 3,3*29*120 Euro = 22.059 Euro

    Ich schlussfolgere: Testet die Schule in Pools von Klassenstärke und steckt in jeden Pool jeweils auch ein paar Leute vom Personal. (Nicht alles Personal in einen Pool.)
    Die Kosten belaufen sich dann zunächst auf das Produkt Kosten eines Pooltests * Anzahl der Pools.
    Bei der gegebenen Prävalenz, Sensitivität und Spezifität werdet ihr statistisch jedesmal einige wenige Klassen nach Hause schicken müssen, die Mehrheit davon aus falschem Alarm.
    Alles weitere, ob man nachtestet, wie und wann, ist wählbar. Selbst Nachtests können theoretisch zunächst im Pool stattfinden, schließlich haben wir beachtlich viele falsch Positive.

    • #7 Joseph Kuhn
      7. Juni 2020

      @ Soisses:

      Ich fürchte, so kann man an die Sache nicht herangehen, aber ich bin für Details bei dem Thema nicht der richtige Gesprächspartner. Nur ein paar Anmerkungen, die mir dazu spontan einfallen:

      – Wenn Sie in einem Pool positiv testen, müssen Sie zwingend herausfinden, wer dort positiv war und wer seine Kontaktpersonen waren. Ein Nachtesten im Pool wäre daher grob unsinnig.
      – Die negativen Pools können Sie auch nicht einfach in die Schule lassen, die Schüler und Lehrer in den negativen Pools könnten Kontaktpersonen sein. Ob sie es sind, wissen Sie erst nach dem contact tracing.
      – Den positiv getesteten Pool in Quarantäne zu schicken, wird vermutlich rechtlich kaum möglich sein. Kostensparendes Testen rechtfertigt keine freiheitsentziehenden Maßnahmen.
      – Stellen Sie sich das Szenario alternativ in einem Heim vor. Was machen Sie unter diesen Bedingungen mit den Pflegekräften, wenn Sie nicht ganz schnell nachtesten können?
      – Testen im Abwasser ist kleinräumig möglich. Sehr kleinräumig, einrichtungsbezogen, wäre das aufgrund des analytischen Aufwands vermutlich kein Vorteil gegenüber Abstrichen. Außerdem würden Sie keine positiven Fälle finden, die nicht in der Schule auf’s Klo gehen. Bei den Schulklos in der Bildungsrepublik Deutschland vermeidet das Klogehen, wer kann.

      Aber wie gesagt, bei den Details dazu bin ich kein fachkompetenter Gesprächspartner und ich will mich nicht unnötig mit unqualifizierten Bemerkungen qualifizieren 😉

  6. #8 Schneeweiß
    7. Juni 2020

    Das mit dem Pool ist eine nette Idee, wenn ein Pool von den anderen Pools isoliert ist. Das funktioniert aber leider nicht.

    In einer Familie geht der Vater zur Arbeit und trifft dort Arbeitskollegen (Pool 1)
    Die Mutter geht zur Arbeit und trifft dort auch Arbeitskollegen (Pool 2)
    Das Schulkind trifft Schüler aus der selben Klasse (Pool 3)
    usw.
    Habe ich da etwas falsch verstanden?

    In Israel, wo man mit der Lockerung bereits vor gut einem Monat angefangen hat, kann man das Problem sehr gut erkennen. Die Zahl der Infizierten scheint wieder anzusteigen, nachdem sie vom 05. Mai – 25. Mai konstant niedrig war, obwohl Isreal ziemlich regiede vorgeht und die ganze Schule schließt sobald nur ein Schüler oder Lehrer nachweislich infiziert ist.

    http://www.worldometers.info/coronavirus/country/israel

  7. #9 Viktualia
    8. Juni 2020

    @Schneeweiß – “falsch verstanden” – nicht, aber wenn alle drei Pools getestet werden und zwei davon sauber sind, erlaubt das Rückschlüsse auf das Familienmitglied im dritten Pool (zumindest für den Zeitpunkt der Testung).

    Ist aber eigentlich auch nur ne Variation von “number needed”.

    (Und Kern des Problem, das ich für die Pflegenden nach den großen Ferien kommen sehe…)

  8. #10 Joseph Kuhn
    13. Juni 2020

    Gepoolte Tests

    Saarland macht’s, Bremen sieht es skeptisch: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/teststrategie-corona-covid-bremen-100.html