Es gibt in Deutschland inzwischen zahlreiche Klagen gegen einzelne Maßnahmen des Infektionsschutzes, auch sehr berechtigte, und es haben renommierte Jurist/innen gewichtige Grundsatzfragen zur Coronapolitik aufgeworfen. Auf dem immer lehrreichen Verfassungsblog kann man einiges dazu nachlesen. Allerdings haben sich auch seltsame Geister der Rechtskunde warmgelaufen. Der Rechtsanwalt Reiner Füllmich aus dem sog. „Corona Ausschuss“, der bereits für Wolfgang Wodarg dem Blog Volksverpetzer droht, möchte diese Woche Klage gegen Drosten und Wieler einreichen.
In der Fuldaer Zeitung sagt er:
„Vor Gericht werden wir fragen, warum die Politik nicht auch andere Experten gehört hat – etwa den Nobelpreisträger und Stanford-Professor John Ioannidis: Ihm zufolge ist das Virus viel weniger gefährlich, als es Drosten und das RKI behaupten. Er hat errechnet, dass 0,14 Prozent der Corona-Kranken sterben. Damit ist das Coronavirus nicht gefährlicher als eine Grippe.“
Sie sollten erst mal google fragen, ob John Ioannidis wirklich Nobelpreisträger ist. Er hat sicher viele Verdienste, aber den Nobelpreis hat er nicht. Er hat auch nicht gesagt, dass 0,14 % der Corona-Kranken sterben, sondern zuletzt in einer international vergleichenden und von der WHO veröffentlichten Studie festgestellt, dass 0,27 % der Infizierten sterben. 0,27 % ist nicht nur fast das Doppelte von 0,14 %, auch der Bezug ist ein anderer, nämlich einer auf die Infizierten („Infection Fatality Rate“). Die auf die Kranken bezogene Letalität wäre noch deutlich höher, schließlich erkranken die meisten Infizierten nicht. Ganz zu schweigen davon, dass viele Fachleute die Infection Fatality Rate, die Ioannidis ermittelt hat, für zu niedrig halten. Und selbst wenn sie am Ende halbwegs hinkommen sollte, bemisst sich nicht allein daran die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2, denn genauso wichtig ist das Durchseuchungspotential in der Bevölkerung. Ebola ist mit Blick auf die Letalität sicher viel gefährlicher als SARS-CoV-2, mit Blick auf das Durchseuchungspotential aber nicht. Daher gibt es auch keinen Ebola-Lockdown.
Herr Füllmich will Drosten und Wieler wegen „vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung“ verklagen:
„Wenn wir den Herren Drosten und Wieler vor Gericht nachweisen, dass sie vorsätzlich gelogen haben, dann liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach Paragraph 826 BGB vor.“
Und was haben die beiden angeblich gelogen:
„Sie sagen, es gebe asymptomatische Infektionen – also Menschen ohne Krankheitszeichen könnten das Virus verbreiten –, und die Infektion könne über PCR-Tests festgestellt werden. Die Menschen, die diese Falschbehauptungen verbreiteten, haften dafür.“
An der Stelle höre ich auf. Wer will, kann den Rest des Interviews ja bei der Fuldaer Zeitung nachlesen. Ich erspare mir auch Links zur Debatte um die Rolle asymptomatisch Infizierter oder zum PCR-Test und die Rückfrage, was sich nach Füllmichs Logik an Haftungsrisiken für Bhakdi & Co. angesichts von deren Behauptungen auftun würde, mag sich jeder selbst beantworten.
„Recht ist Wille zu Gerechtigkeit“, so einst der berühmte Gustav Radbruch. Aber der subjektive Glaube, die Sache der Gerechtigkeit zu vertreten, wird deswegen noch nicht zu Recht, ebenso wenig wie die Ansichten Füllmichs und seiner Geistesbrüder deswegen medizinisch oder epidemiologisch repektabel werden. Der Holzweg führt hier wie da in den Wald.
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Korrektur 25.11.2020: Der “Corona-Untersuchungsausschuss” heißt richtig “Corona Ausschuss”.
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