Die Coronakrise tritt uns täglich vor allem in infektionsepidemiologischen Fallzahlen gegenüber: Stand heute sind in Deutschland ca. 2,4 Mio. positive Tests dokumentiert und ca. 70.000 Tote, in Bayern ca. 435.000 positive Tests und ca. 12.000 Tote.
Nicht immer so gut in Zahlen fassbar, gehören zum Lagebild natürlich auch soziale und wirtschaftliche Sachverhalte. Beispielsweise ist unstrittig, dass sowohl die Epidemie selbst als auch die Infektionsschutzmaßnahmen mit erheblichen psychischen Belastungen einhergehen. Darunter haben zunächst vor allem pflegebedürftige Menschen in den Heimen und ihre Angehörigen gelitten, als aus Infektionsschutzgründen die Besuche in den Heimen eingeschränkt wurden, dann zunehmend auch Kinder und Jugendliche durch die Schließung von Kitas, Schulen und Freizeitangeboten, und schließlich auch die vielen, die wirtschaftlich in ihrer Existenz bedroht sind.
In diesem Zusammenhang wird in Querdenkerkreisen immer wieder vorgebracht, es gäbe einen starken Anstieg der Suizide und diese würden einen relevanten Teil der Übersterblichkeit erklären. Ist also die Übersterblichkeit während der beiden Coronawellen im Frühjahr und im Spätjahr 2020 durch Suizide mitbedingt?
Diese Frage lässt sich anhand von Daten prüfen. Bei unnatürlichen oder unklaren Todesursachen ist zwingend die Polizei hinzuzuziehen. Für Bayern liegen dazu Daten für die Monate Januar bis November 2020 aus dem „Polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem“ vor. Vergleicht man die Monatswerte 2020 mit den Vorjahren, sieht man – auch während der beiden Coronawellen – nichts.
Geht man anhand der amtlichen Todesursachenstatistik im Zeitverlauf weiter zurück, wird ein Rückgang der Suizidzahlen in Bayern seit Anfang der 1980er Jahre erkennbar. In Deutschland insgesamt sieht es ähnlich aus. Ob es so bleibt?
Auf Krisen folgt nicht selten ein Anstieg von Suiziden, zuletzt war das bei der Finanzkrise vor 10 Jahren zu beobachten. Medien berichten, dass in Japan durch die Coronakrise bereits jetzt die Suizide zunehmen. Ob und in welchem Ausmaß sich die Coronakrise auch in Deutschland noch in der Suizidstatistik niederschlägt, hängt von vielen Faktoren ab. Die wirtschaftlichen Hilfen durch die Politik werden sicher dazu beitragen, Suizide zu vermeiden. Aber auch über die Coronakrise hinaus ist mehr Suizidprävention geboten, etwa was die rechtzeitige Behandlung psychischer Störungen angeht. Bei den Suizidraten im internationalen Vergleich ist Deutschland nur Mittelmaß. Nicht zuletzt sollten wir auch darauf achten, dass unsere Gesellschaft „im Normalbetrieb“ weniger Verlierer und Gewinner produziert, und mehr Lebenschancen für alle.
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Edit: Oktoberdaten ergänzt, siehe Kommentar #6
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