Der Philosoph Markus Gabriel hat vor kurzem kritisiert, man könne das sog. „Präventionsparadox“ nicht heranziehen, um zu erklären, warum die Coronainfektionen über Ostern nicht so angestiegen sind wie befürchtet. Über die erklärende Funktion des Präventionsparadoxes kann man diskutieren und mit etwas Glück ist man danach schlauer als vorher. Ob das an der Diskussion lag oder nicht – wer weiß, hier könnte natürlich ein Diskussionsparadox vorliegen.
Unstrittig dürfte jedenfalls sein, dass Markus Gabriel seine Kritik in der WELT publizieren konnte. Genauso wie die Medien im letzten Jahr über das Beschaffungsdebakel bei Masken oder Tests berichtet haben, die Impfstoffpolitik der EU kritisiert haben, die schleppende Auszahlung der Coronahilfen oder jetzt den weitgehend unkontrollierten Betrieb von Testzentren. Ganz abgesehen davon, dass die Medien auch in anderen Politikfeldern dem „Regime“ nicht unbedingt nach dem Mund geredet haben.
Trotzdem hält sich in der “Misstrauensgemeinschaft“ das Narrativ von der Meinungsdiktatur, als Derivat der Rede von der „Lügenpresse“. Wir haben also eine Meinungsdiktatur, deren Wirkung man nicht so richtig sieht. Ein Meinungsdiktaturparadox. Gut, bei manchen Dingen könnten die Medien durchaus nachlegen, z.B. in Sachen Pflege, Wohnungsnot, prekäre Beschäftigung, Flüchtlingspolitik. Aber das meinen die Diagnostiker der Meinungsdiktatur nicht. Sie meinen, dass man ihnen zu wenig zuhört, und vor allem, dass man ihnen zu wenig zustimmt.
Da wiederum – Vorsicht, eine Spekulation mit „tiefen Fakten“ – könnte allerdings damit zusammenhängen, dass sich ihre Kritik nicht auf echte Missstände richtet, sondern dass sie wilde Thesen über lauter falsch positive Testergebnisse, unfruchtbarmachende Impfungen, verimpfte Chips oder den großen Plan zur Unterdrückung der Menschheit durch den Gates-Soros-Merkel-Drosten-Komplex in die Welt setzen. Dass sie diese Thesen nicht in die WELT setzen dürfen, macht dann die vermeintliche Meinungsdiktatur aus. Dass sie mit ihren Thesen zudem von echten Missständen ablenken, ist vermutlich das Paradox der Kritik, die es nicht gibt. Herr Gabriel, übernehmen Sie!
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