In den Medien gibt es gerade viel Aufregung um einen Bericht des Bundesrechnungshofs „an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO über die Prüfung ausgewählter coronabedingter Ausgabepositionen des Einzelplans 15 und des Gesundheitsfonds (Abgabe von Schutzmasken an vulnerable Personengruppen, Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser und Aufbau von Intensivbettenkapazitäten)“.
Ein Krimi wäre weniger sperrig betitelt, aber zu einem Krimi ist der Bericht geworden, und zwar in allen drei Schwerpunkten, die er behandelt: Die Maskenversorgung, die Ausgleichszahlungen an die Krankenhäuser für freigehaltene Kapazitäten zur Versorgung von Covid-19-Patient/innen und die Förderung des Aufbaus von Intensivbetten. Auf 42 Seiten hat der Bundesrechnungshof (BRH) dabei das Finanzmanagement des Bundesgesundheitsministeriums kritisiert. Dabei räumt der BRH ein, dass man zunächst rasch handeln musste – sieht aber Mängel bei der Kontrolle und Nachsteuerung – und bei den Leistungen an die Krankenhäuser bei den zugrunde gelegten Daten.
Ich kann bei vielen Punkten, die der Bericht anspricht, nicht wirklich mitreden, dazu braucht man konkretes Hintergrundwissen zu den jeweiligen Vorgängen. Ich will nur zwei Fragen aufwerfen:
1. Vor kurzem ist der Autorengruppe um Matthias Schrappe nach der Veröffentlichung ihrer ad hoc-Stellungnahme zur intensivmedizinischen Versorgung in der Covid-19-Epidemie ziemlich heftige Kritik entgegengeschlagen. Die Kritik hat sich zum einen an handwerklichen Fehlern des Papiers festgemacht, zum anderen aber auch daran, dass die Autorengruppe mit ihrem Papier die Eignung des DIVI-Zahlenwerks für die Bewertung der epidemiologischen Lage infrage gestellt hat. War die Kritik an der Autorengruppe also zumindest da voreilig? Sie selbst sieht es so und hat gestern einen Kommentar zum Bericht des BRH veröffentlicht.
2. Der BRH geht über die Kritik der Autorengruppe Schrappe et al. hinaus. Er sieht (S. 34) in den Leistungen an die Krankenhäuser „eine massive Überkompensation aus Steuermitteln: Bei sinkender Bettenauslastung um knapp 8 Prozentpunkte wuchsen die Zahlungen der Krankenkassen für Krankenhausbehandlungen im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 1,7 %. Hinzu traten die Ausgleichszahlungen des Bundes, die allein im Jahr 2020 10,2 Mrd. Euro betrugen. Der Bund hat damit nicht überwiegend Zahlungen zur Aufrechterhaltung freier Krankenhauskapazitäten für COVID‐19‐Patientinnen und ‐Patienten geleistet, sondern vielmehr das betriebswirtschaftliche Risiko einer nicht ausreichenden Belegung der Krankenhäuser mitgetragen.“ Die Frage, ob dem so ist, ist, wie gesagt, ohne konkretes Hintergrundwissen kaum zu beantworten. Über die Frage, ob es politisch vertretbar ist, in der Krise die Krankenhäuser in besonderer Weise wirtschaftlich zu stützen, kann man dagegen auch ohne solches Hintergrundwissen diskutieren. Vertretbar? Nicht vertretbar?
Wenn vertretbar, hätte man es m.E. transparent machen sollen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist, wenig verwunderlich, jede Datenmanipulation aus wirtschaftlichen Gründen “aufs schärfste“ zurück. In dem Zusammenhang macht aber ein Beispiel nachdenklich, das Reinhard Busse dem ZDF vorgerechnet hat. Zum Verständnis des Beispiels muss man wissen, dass eines der Kriterien für Ausgleichszahlungen für freigehaltene Intensivbetten war, dass der Anteil der freien betreibbaren Intensivbetten unter 25 % fällt. Reinhard Busse:
“Angenommen, Sie hätten 20 Intensivbetten, von denen zehn belegt sind. Wieviel Pflegepersonal würden Sie für die nächste Schicht bereithalten? Vermutlich nicht für alle 20 Betten, sondern vielleicht für 13 Betten. Sie würden dann – korrekt – drei freie betreibbare Betten melden, also 23 Prozent.”
Würde man vier Betten betreibbar halten, läge der Anteil bei 29 %, also keine Ausgleichszahlung. Bei vier Betten hat das Krankenhaus mehr Aufwand und bekommt kein Geld. Der Anreiz, dann nur drei Betten zu melden, ist zumindest betriebswirtschaftlich gesehen unübersehbar. Ob man mit Daten zeigen kann, dass dann auch in der Praxis betriebswirtschaftlich entschieden wurde, weiß ich nicht. Interessant dürfte in dem Zusammenhang aber sein, ob es hier signifikante Unterschiede zwischen privaten und anderen Krankenhäusern gibt. Das könnten die Daten vielleicht hergeben.
Und eine Buchempfehlung dazu gibt es auch: Jerry Z. Muller: The Tyranny of Metrics. Princeton University Press 2019. Der Autor, ein amerikanischer Historiker, setzt sich mit genau solchen Fehlanreizen auseinander.
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Ceterum Censeo: Wenn Querdenker immer noch behaupten, in der Merkeldiktatur gäbe es keine Kritik an den Maßnahmen der Regierung, müssten sie eigentlich nur den Bericht des BRH lesen (sobald er veröffentlicht ist).
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Nachtrag 13.6.2021, Frage Nr. 3: “Die Art der Abrechnung war eine Einladung zum Betrug”, so wird Karl Lauterbach in den Medien so zitiert. Und: “Der Zuschlag hätte auch nicht an einen Prozentsatz der belegten Intensivbetten geknüpft werden sollen. So sei der Anreiz für Krankenhäuser entstanden, die Zahlen der belegten Betten zu verringern.” Aber geht es bei der 25%-Schwelle um einen Anreiz zum Betrug oder um einen Anreiz zur Anpassung der Meldungen und somit um den Nutzen der auslastungsabhängig schwankenden Daten für die Bewertung der epidemiologischen Lage, also das Thema von Schrappe et al? Ökonomen an Bord?
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