John Ioannidis ist unzweifelhaft ein interessanter, kreativer und kritischer Kopf. Sein Artikel „Why Most Published Research Findings Are False“ gehört zu den weltweit bekanntesten epidemiologischen Artikeln und wurde auch hier im Blog mehrfach bemüht.
Vielleicht gehört es zum Mindset solcher Leute, immer wieder mal eine weitreichend spekulative These in die Welt zu setzen, zuzuspitzen, auch zu provozieren. Ich persönlich finde das gut, weil man in der Auseinandersetzung damit die eigene Position und den eigenen Wissensstand oft besser klären kann als nur allein mit Beiträgen, die sich in wissenschaftlich gebotener Form möglichst vorsichtig durch den Nebel tasten. Dazu gehört aber auch, die mutig spekulierenden Leute nicht zu Säulenheiligen zu machen, sondern ihre Behauptungen genauso respektlos zu behandeln, wie diese es mit gängigen Ansichten tun.
Auf der unsäglichen „Achse des Guten“, die von Ausnahmen abgesehen zu einem Meltpot von rechten, rechtslibertären und verschwörungstheoretischen Positionen geworden ist, huldigt gerade Gunter Frank seinem Idol. Anlass ist ein kürzliches Interview mit Ioannidis bei Servus TV. Ich habe es nicht gesehen, vermutlich wird Ioannidis dort viel Richtiges gesagt haben. Ich will lediglich dazu anregen, über zwei seiner Aussagen, die Gunter Frank hervorhebt, nachzudenken. Frank zitiert Ioannidis:
„Im Februar und März 2020 war ich einer der schärfsten Befürworter von drakonischen Maßnahmen, also von harten Lockdowns, weil wir einfach nicht wussten, womit wir es zu tun hatten. (…) Wenn man wenig Gesichertes über eine Krankheit weiß, die nicht nur 14 sondern vielleicht 40 oder 50 Millionen Menschen innerhalb weniger Monate töten könnte, sind harte Lockdowns als Sofortmaßnahme natürlich sinnvoll.“
Am 17. März 2020 klang John Ioannidis allerdings doch etwas anders:
„If we assume that case fatality rate among individuals infected by SARS-CoV-2 is 0.3% in the general population — a mid-range guess from my Diamond Princess analysis — and that 1% of the U.S. population gets infected (about 3.3 million people), this would translate to about 10,000 deaths.
(…)
Some worry that the 68 deaths from Covid-19 in the U.S. as of March 16 will increase exponentially to 680, 6,800, 68,000, 680,000 … along with similar catastrophic patterns around the globe. Is that a Realistik scenario, or bad science fiction?“
Heute, Anfang Juli 2021, verzeichnen die USA ca. 35 Mio. bekannte Infektionen und ca. 620.000 Sterbefälle. Man darf also feststellen, hier lag Ioannidis nicht unbedingt richtig. Das macht nichts, er ist ja nicht unfehlbar und will das nach eigener Aussage auch gar nicht sein. Ioannidis zitiert nach Gunter Frank:
„Ich kann sagen, ich habe mich in meiner Karriere unzählige Male geirrt, auch während der Pandemie. Aber ein Wissenschaftler ist jemand, der falsch liegen kann, der aber versucht, seine Irrtümer zu korrigieren.“
Ob er auch gesagt hat, wo konkret er sich geirrt und wo er seine Irrtümer korrigiert hat, ist nicht überliefert. Insofern ist das vielleicht auch nur eine rhetorische Bescheidenheitsfloskel von ihm. Aber das weiß ich nicht und letztlich ist das auch egal. Er hat ja Recht, dass auch er, John Ioannidis, sich während der Pandemie geirrt hat, ein Beispiel habe ich genannt.
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