Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat in seiner 5. Stellungnahme eine „evidenzbasierte Risiko- und Gesundheitskommunikation“ angemahnt und dabei die Notwendigkeit übereinstimmender Empfehlungen betont:

„Ein Mangel an Übereinstimmung von verfügbaren Informationen, ihrer Bewertungen und den resultierenden Empfehlungen trägt zu Verunsicherung der Bevölkerung bei, bietet Angriffsfläche für Falsch- und Desinformation, untergräbt das Vertrauen in staatliches Handeln und gefährdet den Erfolg von wichtigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit.“

Expertenrat wäre gefragt, wie eine solche evidenzbasierte und einheitliche Risikokommunikation zu den Themen zustande kommen kann, bei denen sich die Wissenschaft selbst nicht einig ist. Darüber erfährt man in der Stellungnahme leider nichts.

Das wäre aktuell aber ganz interessant. Ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht jetzt zügig umgesetzt werden sollte, mit welchem Ziel und mit welchen Maßnahmen, darüber gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens und auch der politische Konsens dazu ging verloren. Noch vor kurzem gemeinsam im Bundestag und im Bundesrat beschlossen, ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht jetzt zum Zankapfel auf der politischen Bühne geworden. Die einen wollen sie nach wie vor pünktlich zum 15. März in Kraft sehen, die anderen sagen, das gehe nicht, es fehle an konkreten Umsetzungsvorgaben und außerdem bedrohe die Impfpflicht die Versorgungssicherheit, wenn dann ungeimpftes Personal massenweise kündigt. In der Süddeutschen Zeitung wurde das heute so kommentiert:

„Nun lassen sich die Probleme bei der Umsetzung der Impfpflicht nicht damit lösen, dass man ‚Gesetz ist Gesetz‘ ruft. Aber es ist ein seltsames Argument, die Aussetzung mit der großen Zahl Ungeimpfter in diesen Einrichtungen zu begründen. Die Pflicht, mit der die Impflücke geschlossen werden soll, wird ausgesetzt, weil es Impflücken gibt? Schwierig.“

Schwierig, in der Tat. Die beste kommunikative Vorbereitung für die bisher noch von allen angestrebte allgemeine Impfpflicht ist das jedenfalls nicht. Der Expertenrat würde womöglich zu dem Schluss kommen, wer solche Kapriolen schlägt, „untergräbt das Vertrauen in staatliches Handeln und gefährdet den Erfolg von wichtigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit“.

Ein anderer aktueller Fall ist von der Evidenzbasis her einfacher gestrickt. Die Bundesregierung titelt in einer Pressemitteilung vom 8. Februar mit einer dem Bundesgesundheitsminister Lauterbach zugeschriebenen Äußerung:

„Sollte es jetzt zu schnellen Rücknahme wesentlicher Maßnahmen kommen, würden das die Welle deutlich verlängern.“

Aber worauf stützt er diese Aussage? Ist es nicht im Gegenteil so, dass eine schnelle Rücknahme der Maßnahmen eher ein schnelles Durchlaufen der Infektionen befördern würde, während die Maßnahmen eine Überforderung des Gesundheitswesens durch „flatten the curve“ verhindern sollen, was aber zu einer Verlängerung der Infektionswelle führen würde? So haben es von Anfang an die Modelle beschrieben:

Hat Lauterbach neue Evidenz? War die Pressemitteilung nicht evidenzbasiert? Was soll man als Bürger (oder Bürgerin) nun glauben? Und was würde der Expertenrat dazu sagen? Evidenzbasierte Risikokommunikation ist leichter gesagt als getan. Mit und ohne Expertenrat.

Kommentare (18)

  1. #1 rolak
    10. Februar 2022

    zugeschrieben

    Oha, Presseerklärung mit direkter/indirekter Rede-Mix und beides mal mit, mal ohne direkter Personenzuordnung^^ das nenne ich herausragend grottige Kommunikation.

    nicht evidenzbasiert?

    Wenn das mit dem kurz/lang so ist, wie es rüberkommt, wäre die Kernfrage imho nicht ‘inwieweit evidenzbasiert?’, sondern ‘inwieweit schwafelbasiert?’ Aber vielleicht steuern wir ja auch aufs nächste Redaktionsversehen zu…

  2. #2 Fluffy
    10. Februar 2022

    Der Rat der Experten ist kein Rat der Götter. Er wurde auch nicht gewählt, sondern bestimmt. Er wurde zwar von Gewählten bestimmt, aber nicht von Auserwählten.

    Eine Maßnahme, die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die jetzt weder wissenschaftlichen noch politischen Konsens besitzt ist schlichtweg vom Standpunkt der Evidenzbasiertheit als falsch einzuschätzen.

    Ich habe Teile der Erklärung zur Verlängerung der Welle von Lauterbach im Fernsehen gesehen. Er sagte, er hat das berechnet. Ist das ausreichend evident?

  3. #3 Ludger
    11. Februar 2022

    […] würden das die Welle deutlich verlängern […]

    Lang kann auch bedeuten hoch. Eine Welle mit langer Dauer wäre breit. Herr Merz ist lang und Herr Altmaier ist breit. Niemand käme auf die Idee, Herrn Altmaier lang zu nennen, nur weil er breit ist. Wobei ich nicht behauptet haben will, dass er breit sei aber er ist eben nicht lang.

  4. #4 BBr
    Niedersachsen
    11. Februar 2022

    Das Gesetz und auch der Kommentar bei der Süddeutschen gehen von der leider falschen Annahme aus, dass Impfverweigerer rational handeln. Dass sie sich also lieber impfen lassen, als Hartz 4 in Kauf zu nehmen. Falsch. Genug Leute haben bereits klar gemacht, dass sie sogar lieber sterben als sich impfen lassen. Daher wird das Gesetz die Situation in der Pflege weiter verschärfen.

    • #5 Joseph Kuhn
      11. Februar 2022

      @ BBr:

      Dass das Gesetz die Situation in der Pflege in einigen Einrichtungen verschärfen wird, ist anzunehmen. Aber das wusste man auch schon vorher und der Einwand wurde ja im Vorfeld intensiv diskutiert.

      Hier geht es um die kommunikative Seite des Themas, das verunsichernde Hin und Her.

  5. #6 Fluffy
    11. Februar 2022

    Beim Lesen der Stellungnahme wurde mein Gehirn gleich beim Lesen des ersten Satzes stark verunsichert.

    Die meisten BürgerInnen wollen aktiv zur Beendigung der Pandemie beitragen und sich entsprechend geltender und sinnvoller Regeln verhalten.

    Ich habe extra nachgeschlagen: Das Adjektiv entsprechend verlangt den Dativ.
    Mir scheint hier liegt eine Vermischung von Dativ Feminimum Singular mit dem Suffix -er, bei geltender und dem Dativ Plural ohne Artikel Suffix -n bei Regeln vor.
    Es sollte wohl heißen: entsprend geltenden Regeln.

    Vielleicht kann ja ein Leser helfen.

    • #7 Joseph Kuhn
      11. Februar 2022

      „entsprend“ halte ich allerdings auch nicht für korrekt;-)

  6. #8 M. Hahn
    11. Februar 2022

    Ebenfalls in der heutigen SZ wird darüber geschrieben, mit welcher Rechnung Herr Lauterbach wohl auf die “400 bis 500 Toten pro Tag” kommt, die eine sofortige Einstellung sämtlicher “Conona-Maßnahmen” nach iraelischem Vorbild zur Folge hätte.
    Schon vor Corona gab es ich die Äussprüche a la “Zahlen sind kein Beweis – hier geht es um unsere Gesundheit !”. Damals hielt ich es für den Gipfel der Ignoranz.
    “Zahlen”-Kommunikation wie die hier geschilderte macht mich inzwischen selbst mürbe.

  7. #9 hwied
    mit Sonne im Rücken
    11. Februar 2022

    XXX

    [Edit: Kommentar gelöscht: Hilfe beim Aufsparen von Gedanken. JK]

  8. #10 Michael W.
    Essen
    14. Februar 2022

    lt. WAZ vom 14.04.2021 in meiner Heimatstadt Essen 99 Patienten hospitalisiert davon 25 auf der Intensivstation, heute, am 14.02.2022 216 Patienten hospitalisiert davon 28 auf der Intensivstation – damals große Sorge vor Überlastung des Systems, heutzutage denkt man eher über Lockerungen und Öffnungsschritte nach. Ende letzten Jahres wurden noch zwei Kliniken geschlossen. In relativen Zahlen mag Omikron ja “milder” sein, in absoluten Zahlen eher nicht. Im Übrigen geht es immer um den Erhalt von Systemen, der individuelle Mensch spielt nur eine Nebenrolle. Allerdings gibt es offensichtlich auf politische Streitfragen nicht immer nur “richtige” Antworten gemäß einer einfachen Wahr/Falsch-Logik.

  9. #11 Beobachter
    15. März 2022

    Die Masken sollen fallen ! – trotz Corona-Höchst-Inzidenzzahlen und neuem, hochinfektiösem, schon weit verbreitetem Virus-Subtyp … ?:

    https://www.tagesspiegel.de/politik/ende-der-maskenpflicht-fahrlaessig-so-endet-lauterbach-als-bettvorleger-liberaler-corona-symbolpolitik/28162566.html

    Trotz “Expertenrat”?, “Risikokommunikation”?, “Warner” und “Experten” BGM K. Lauterbach?
    Wie soll man denn dann besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen schützen?! Z. B. Schwerstkranke in häuslicher Pflege?

  10. #12 Beobachter
    15. März 2022

    Nachtrag:

    Auch hier – zum Ende der Maskenpflicht:

    https://taz.de/Umstrittenes-Ende-der-Maskenpflicht/!5838446/

    Was soll das?!
    Und auf der anderen Seite die Corona-Impfpflicht – wobei es bei dieser Impfung KEINE sterile Immunität gibt?!

  11. #13 Beobachter
    15. März 2022

    noch`n Nachtrag:

    “Die ersten passenden Worte, die dazu aus Bayern kommen!” (ganz frei nach K. Tucholsky)

    Leider hinter der Bezahl-Schranke:

    https://www.sueddeutsche.de/bayern/corona-bayern-regeln-holetschek-maskenpflicht-hotspot-ampelkoalition-1.5547552?reduced=true

    Deshalb nur die (bezeichnende) Überschrift:

    “Gesundheitsminister Klaus Holetschek
    “Da wird der Feuerlöscher weggeworfen, obwohl es brennt”
    … ”

    Wohl wahr … !
    Und es brennt nicht nur weiterhin – es gibt auch viele vermeidbar Verletzte und Tote!
    Werden diese als “Kollateralschäden” billigend in Kauf genommen?!

    Ist DAS alles “evidenzbasierte und einheitliche Risikokommunikation”?!

  12. #14 Beobachter
    16. März 2022
  13. #15 Beobachter
    16. März 2022

    Die Pandemie ist noch nicht vorbei – ganz im Gegenteil: die I.-Zahlen steigen wieder.
    Und es wird gerade ein neues Infektionsschutzgesetz auf den Weg gebracht (mit Zustimmung der Grünen!), das der Lage völlig unangemessen ist.

    https://www.tagesspiegel.de/politik/handwerklich-schlecht-inhaltlich-ein-desaster-mit-dem-neuen-infektionsschutzgesetz-ist-nur-die-fdp-zufrieden/28170020.html

    Interessiert das hier niemanden?!
    Nicht mal die Grünen-Wähler unter den Mitlesern und/oder den Stammkommentatoren?

    Weiß jemand, wie hoch die Impfquote in der Ukraine ist?
    In DE werden viele Flüchtlinge aus der Ukraine erwartet und aufgenommen – dazu braucht es u. a. entsprechenden Wohnraum und medizinische Versorgung, auch und besonders in Pandemie-Zeiten.
    Und wie soll denn diese medizinische Versorgung gewährleistet werden in einem Gesundheitssystem, das besonders nach über 2 Jahren Corona-Überforderung (aber auch schon vorher) kurz vor dem Kollaps steht, weil die (zu wenigen) Pflegekräfte völlig überlastet sind und nicht mehr können?!
    Wie soll denn das von wem gestemmt werden?!

    Was sagt denn dazu der “Expertenrat”?!

  14. #16 Beobachter
    17. März 2022

    Zur Impfquote in der Ukraine:

    https://www1.wdr.de/nachrichten/impfangebote-fluechtlinge-ukraine-100.html

    ” … Viele Ukrainer noch ungeimpft
    Viele der Menschen, die jetzt vor dem Krieg flüchten, sind ungeimpft. Die Impfquote in der Ukraine ist vergleichsweise niedrig. Gerade einmal 35 Prozent der Menschen seien zwei Mal geimpft und nur 1,7 Prozent drei Mal.
    Außerdem hätten die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge teilweise erhebliche Risikofaktoren und seien besonders gefährdet, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei einer Sondersitzung des Gesundheitssausschusses im Bundetag bereits Anfang März…. ”

    Außerdem wird der Corona-Arbeitsschutz mit entsprechenden Infektionsschutz-/Arbeitsschutz-Maßnahmen den einzelnen Arbeitgebern überlassen!:

    https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/corona-regeln-werden-unternehmen-ueberlassen-wie-geht-es-weiter-mit-dem-pandemieschutz-am-arbeitsplatz/28169524.html

    Und niemand weiß, ab wann bzw. welchen Zahlen ein “Hotspot” ein “Hotspot” ist.

    D. h., (nur als mögliches worst-case-Beispiel) nun können ungeimpfte/unvollständig geimpfte geflüchtete UkrainerInnen aus deutschen Sammel-/Notunterkünften als Erntehelfer ohne Arbeitschutz-/Infektionsschutzmaßnahmen unter Unterlaufen des Mindestlohns und ohne Sozialversicherungsschutz beschäftigt werden.
    Dagegen klagen wird wohl kaum eine/r.

    Da werden sich viele Arbeitgeber (-verbände in Landwirtschaft, Fleischindustrie, Baugewerbe, Pflege, etc.) noch mehr freuen, als sie es sowieso schon tun angesichts der vielen, dringend benötigten osteuropäischen Helferjob-Arbeitskräfte, mit denen man nach Belieben/Bedarf umspringen kann, wie man gerade will.

    Auch schon in Vor-Kriegs-Zeiten – Bsp. coronaerkrankte ukrainische Erntehelferin, 2020:

    https://taz.de/Versicherer-will-Geld-fuer-Coronatherapie/!5837192/

    M. E. steht zu befürchten, dass die extreme Notlage ukrainischer Flüchtlinge schamlos ausgenutzt werden wird – mit dem “Argument”, dass “die doch froh sein sollen, dass wir sie überhaupt aufnehmen und sie ihr nacktes Leben retten konnten”.
    Und sämtliche Mindeststandards (Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz, Mindestlohn, menschenwürdiges Wohnen) legal oder halblegal unterlaufen werden können – ganz nach den “Regeln” des “freien Marktes” und im Sinne besonders der FDP.

    Den Corona-Virus-Varianten wird das alles aber völlig egal sein …

    “Risikokommunikation” ?!

  15. […] einen Corona-Expertenrat. Der hat in seiner 5. Stellungnahme – ein halbes Jahr ist es her – eine evidenzbasierte und einheitliche Risikokommunikation angemahnt. Andernfalls würde das Vertrauen in staatliches Handeln untergraben. Und auch der […]