Karl Lauterbach hat es wieder mal mit eigenwilliger Expertise in die Schlagzeilen geschafft. Er hält eine SARS-CoV-2-Variante, die die Ansteckungsfähigkeit von Omikron und die Pathogenität von Delta verbindet, für möglich. Dem wird man nicht widersprechen wollen. Dass das, wie Lauterbach meint, „eine absolute Killervariante“ wäre, ist allerdings eine heikle Bewertung und dafür hat er viel Kritik einstecken müssen, weil diese Begrifflichkeit eher Assoziationen an Ebola weckt als an ein ernstzunehmendes Corona-Szenario.
Vielleicht kann man Lauterbach zugutehalten, dass die aktuelle „Es ist vorbei-Mentalität“ mit Blick auf den Herbst tatsächlich etwas voreilig ist. Man muss sich vorbereiten. Auch bevorstehende Grippewellen nimmt man ja nicht tatenlos hin, es sei nur auf die jährliche Anpassung der Influenza-Impfstoffe hingewiesen.
Man darf aber durchaus auch hoffnungsvoll sein. Erinnern Sie sich noch an den Anglizismus „Flatten the curve“? Das konnte man zu Beginn der Pandemie oft als Ziel einer Strategie lesen, die eine Überlastung des Gesundheitswesens vermeiden will und nicht in einer Laissez-faire-Haltung auf eine sich selbst einstellende Herdenimmunität setzt. Letzteres ging 2020 in Schweden bekanntlich schief, mit erheblichen Verwerfungen auch in der Gesundheitsversorgung alter Menschen, wie eine Studie schwedischer Wissenschaftler/innen vor kurzem festgestellt hat.
„Flatten the curve“ hat dagegen funktioniert. Über den zweifellos erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Preis dieser Strategie und die Angemessenheit einzelner Maßnahmen darf, soll und wird man streiten, aber funktioniert hat es. In den nächsten Herbst geht Deutschland mit – Stand heute – ca. 63 Mio. Grundimmunisierten, fast 50 Mio. davon haben auch eine Auffrischimpfung, und ca. 20 Mio. dokumentierten Genesenen, wahrscheinlich sind es viel mehr, vielleicht 30, 40 Mio. oder noch mehr.
Das dürfte auch gegen neue Lauterbach-Varianten einen vergleichsweise robusten Schutz liefern, was schwere Verläufe und Tod angeht. Trotzdem gilt es, nicht unvorbereitet in den Herbst zu gehen. Ein wichtiges Element dabei wird eine gute Surveillance relevanter Merkmale sein, von den Klassikern Infektionen, Hospitalisierungen und Sterbefällen über die Identifikation neuer Varianten bis hin zu den sozialen Folgen neuer Wellen und ihrer Bekämpfung. Eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit war ja, dass uns immer wieder steuerungsrelevante Daten gefehlt haben.
Unabhängig davon natürlich sollten die bestehenden Impflücken geschlossen werden. Allein in der Altersgruppe 60+ haben ca. 2,7 Mio. Menschen noch gar keine Impfung. Ein Teil davon wird sicher eine Immunität durch Infektion haben, aber der Handlungsbedarf ist unabweisbar. Wie gesagt, auch einer Influenzawelle schaut man nicht tatenlos entgegen und auch auf den nächsten Corona-Herbst sollten wir vorbereitet sein.
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