Derzeit gehen zwei „offene Briefe“ an Bundeskanzler Scholz durch die Medien. Auf der einen Seite fordert eine Gruppe von Prominenten um die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, der Ukraine keine schweren Waffen zu liefern, um den Krieg nicht zu verlängern und das Eskalationsrisiko nicht weiter zu erhöhen. Auf der anderen Seite fordert eine Gruppe um den Grünen-Politiker Ralf Fücks eben jene Waffenlieferungen, weil Putin durch Ängstlichkeit nur ermutigt würde und sich durch Rücksichtnahme nicht beschwichtigen lasse.

Ich persönlich neige derzeit dem Brief der Fücks-Gruppe zu, mit einem höchst unguten Gefühl zugegebenermaßen. Aber der Brief scheint mir politisch schlüssiger. Ich käme allerdings nicht auf die Idee, die Emma-Gruppe als Putins Idioten zu denunzieren, wie das da und dort geschieht. Gehört nicht der Meinungsstreit zu den Werten, die wir gegen Putin verteidigen wollen?

Beiden Gruppen will ich kein leichtfertiges Daherreden unterstellen. Aber man muss die Briefe wohl auch nicht überbewerten. Sie werden in den Medien als solche von „Intellektuellen“ deklariert. In dem Punkt scheint mir, wird von den Medien eine Arena inszeniert, in der beide Briefe kein gutes Bild abgeben. Der feuilletonistische Generalstab, der bisher vor allem in den Talkshows mit autodidaktischer Fachkunde zu Panzern und Atomwaffen unterwegs war, wird durch „offene Briefe“ noch nicht zu einer Intellektuellen-Debatte.

Mir fehlt z.B. in beiden Briefen ein Nachdenken darüber, ob „der Westen“ sich nicht nur militärisch, sondern auch moralisch und sozialpolitisch an Haupt und Gliedern reformieren muss, um die Auseinandersetzung mit den Autokratien und Diktaturen dieser Welt zu bestehen. Die Ukraine soll doch hoffentlich nicht das Recht der Türkei auf Bombardierung von Kurdengebieten im Irak verteidigen, oder das Recht „des Westens“ auf wirtschaftliche Ausbeutung der Dritten Welt, auf den Einsatz von Arbeitssklaven in unseren Fleischfabriken oder in der Pflege, oder das Recht auf maximale Profite im Immobilienbereich?

Wenn „der Westen“ Opfer für die Verteidigung der Ukraine bringen soll, und das soll er, dann muss damit das Eingeständnis eigener Fehlentwicklungen und die glaubwürdige Bereitschaft, sie abzustellen, verbunden sein. Ein sozialpolitischer Lastenausgleich für die „Opfer“, die gebracht werden sollen, gehört dazu. Seitens der Wohlsituierten lassen sich „Opfer“ andernfalls leicht fordern. Dass man den „Gürtel enger schnallen“ müsse, war schon immer das Mantra der Wohlhabenden, wenn andere Verzicht leisten sollten.

Von Intellektuellen könnte man außerdem auch etwas mehr Nachdenken darüber erwarten, wie eine gerechtere und friedfertigere Weltordnung nach dem Krieg aussehen könnte. Das Zusammenleben von Menschen mit höchst unterschiedlichen Meinungen und Interessen in einer Welt – bei immer größer werdenden Möglichkeiten zur Zerstörung dieses Zusammenlebens – will immer neu gedacht und immer neu als Angebot formuliert sein. Kants „Zum ewigen Frieden“ ist schon etwas her.

Die briefeschreibenden Intellektuellen bleiben bei solchen Fragen bescheiden. Die schweren Waffen sind ihr intellektueller Horizont, obwohl sie davon vermutlich nicht mehr verstehen als wir Nicht-Intellektuellen. Ganz abgesehen davon, dass man sich fragen darf, warum Leute wie Mathias Döpfner oder Dieter Nuhr in der Welt der offenen Briefe als „Intellektuelle“ durchgehen. Gut, das Wort „Kulturschaffende“ wäre aus einer anderen, gewiss nicht besseren Welt und immerhin waren nicht auch noch Julian Reichelt und Thilo Sarrazin unter den Unterzeichnern.

Kommentare (56)

  1. #1 Moreno
    5. Mai 2022

    Schwieriges Thema. Tendenziell bin ich auch eher für Waffenlieferungen in die Ukraine. Gut fühlt man sich dabei jedoch wirklich nicht. Alles was ich von Exil-Russen, Putin-Kritikern und politischen Persönlichkeiten ehemaliger Sowjetrepubliken gelesen habe, sind sich nahezu alle einig darin, das Putin von seiner Persönlichkeitsstruktur und als ex-KGB’ler dich erst ernstnimmt, wenn du ihm auf der (militärischen) Macht-Ebene was entgegensetzen kannst.

  2. #2 knorke
    5. Mai 2022

    @Moreno
    Gut soll und will man sich ja auch nicht dabei fühlen, wenn Waffen in großem Stil verteilt werden. Es ist wie immer eine Frage des Kontexts. Ich bin persönlich vorbehaltlos dafür. Ich bin auch für die Ausbildung der Ukrainer an NATO Technik. Mir ist sehr wohl klar, dass Putin das alles auch zum Analss nehmen könnte zu eskalieren. Allerdings: Einen Anlass hat er bisher immer gefunden, dies zu tun. Er weiß sehr gut, dass er in einem Krieg gegen die NATO chancenlos ist und wenn er sich dann dafür entscheidet, dann eben trotzdem. Und dann wird ihm auch jeder Grund Recht sein.
    Und ja, das habe ich zu Putin jetzt auch mehrmas gelesen und gehört: Er versteht vor Allem die Sprache von Machtdemonstrationen. Wie die meisten kriegs- und expansionslüsternen Diktatoren der Geschichte.

  3. #3 BMK
    Berlin
    5. Mai 2022

    Danke für diesen Beitrag. (Ich hatte mir schon Sorgen gemacht wegen der langen Funkstille).
    Wichtig finde ich, dass der erste Offene Brief (initiiert von Alice Schwarzer, aber bitte schaut Euch doch die anderen Unterzeichner an, bevor der Brief in eine bestimmte Schublade gesteckt wird) endlich einen öffentlichen Diskurs mit dem ernsthaften Austausch von Argumenten auf Nicht-Politiker-Ebene initiiert hat. Hierbei wird zumindest versucht, ohne gegenseitige Diffamierungen auszukommen, nicht immer erfolgreich. Joseph Kuhns Hinweis auf die Notwendigkeit, über die Reformbedürftigkeit des Westens im Allgemeinen nachzudenken, weitet den Blick über die Corona- und Ukraine-Grenzen hinaus. Leider ist das kein “Offener Brief”, denn den würde ich sofort unterschreiben, aber wer sollte da auch der Adressat sein. Offensichtlich wir alle.
    Apropos “offen”. Offen bleibt für mich die Frage, warum Joseph kein Intellektueller sein will. Aber das ist wohl eine Definitionsfrage und ganz anderes (weites) Feld.

    • #4 Joseph Kuhn
      5. Mai 2022

      @ BMK:

      “Offen bleibt für mich die Frage, warum Joseph kein Intellektueller sein will.”

      Mich strengt Denken an, es lässt sich nur leider nicht vermeiden, wenn man etwas verstehen will. Außerdem kann ich nicht denken und Weintrinken zugleich, Intellektuelle können das.

  4. #5 Spritkopf
    5. Mai 2022

    Mir fehlt z.B. in beiden Briefen ein Nachdenken darüber, ob „der Westen“ sich nicht nur militärisch, sondern auch moralisch und sozialpolitisch an Haupt und Gliedern reformieren muss, um die Auseinandersetzung mit den Autokratien und Diktaturen dieser Welt zu bestehen.

    Ich stimme dir zu, dass ein solches Nachdenken notwendig ist. Dies im Rahmen eines solchen Briefes zu tun erscheint mir allerdings nicht sinnvoll.

    Beide Briefe – sowohl der von Schwarzer als auch der von Fücks – befassen sich mit einer Einzelfrage (“Soll man der Ukraine mit Waffenlieferungen helfen, sich gegen einen Aggressor zu verteidigen?”) und rufen die Bürger dazu auf, diese auf die eine oder andere Art und Weise zu beantworten, indem man den jeweiligen Brief unterschreibt. Diese Frage nun noch mit zusätzlichen Gesprächspunkten zu befrachten, die mit dem Thema nur indirekt zu tun haben, verwischt den Fokus auf das, was man diskutiert.

    Es ist auch taktisch kontraproduktiv im Sinne des Zieles, möglichst große Zustimmung zu erzielen. Jemand, der vielleicht dem Grundtenor des jeweiligen Briefes zustimmen würde, hat vielleicht beim einen oder anderen Punkt Vorbehalte, die ihn von der Unterschrift abhalten würden.

  5. #6 Intensivpfleger
    5. Mai 2022

    Ich habe die offenen Briefe nicht gelesen, bin weder Intellektueller noch Militärstratege. Ich bin lediglich Mensch.
    Und als solcher empfinde ich eine tiefe Abneigung gegen jegliche Art von Gewalt.
    Die Vorstellung, man müsse die Welt umfassend aufrüsten, um sich gegen aktuelle und künftige Despoten zu schützen, widerstrebt mir zutiefst. Waffen, einmal in Umlauf gebracht, wollen benutzt werden. Eine hochgefahrene Rüstungsindustrie will ihre Umsätze langfristig stabil halten. Das kann nur in noch mehr Leid und Elend münden.
    Ich würde mir eine geeinte Welt wünschen, in der wirklich allumfassende und konsequente Sanktionen ein Land wie Russland so schnell und alternativlos in den wirtschaftlichen Stillstand führen, dass eine militärische Vorgehensweise niemals zu irgendeinem Erfolg führen kann, da jegliche Mittel dazu fehlen.
    Das würde für Europa vor allem heißen, dass sofort und ohne Ausnahme jegliche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland unterbleibt, also kein Geld für Gas und Öl in erster Linie. Die wirtschaftlichen Folgen, die Europa dadurch tragen müsste, halte ich langfristig für wesentlich geringfügiger, als die Folgen, die durch eine umfassende Aufrüstung und militärische Machtdemonstration entstehen werden.
    Es ist mir völlig unverständlich, wie man heutzutage noch an militärische Lösungen denken kann.

    Nur (m)eine Meinung.
    Gruß vom Intensivpfleger

  6. #7 Alisier
    5. Mai 2022

    Ich stimme Spritkopf zu, dass man dieses Thema in dieser Diskussion nicht mit Nebenschauplätzen überfrachten sollte, so wichtig sie aich im einzelnen sein mögen.
    Ansonsten danke ich für den Post und denke darüber nach, wie ich es begreiflich machen kann, dass der Blick auf den Westen (China etc.) oft ein gänzlich anderer ist, als viele von uns wahrscheinlich denken.

  7. #8 Alisier
    5. Mai 2022

    @ Intensivpfleger
    Wenn andere Staaten fast ausschließlich in militärischen Lösungen denken, wäre es aus meiner Sicht fahrlässig dies zu ignorieren, und darauf zu hoffen, sie irgendwie beschwichtigen zu können.
    Hat zudem eigentlich noch nie funktioniert.

  8. #9 Beobachter
    5. Mai 2022

    zu # 6 –

    zu den -unwichtigen- sogenannten -nebenschauplätzen- , die hier von alisier und im faschismus-thread von afd-moreno erwähnt werden –

    https://aktuelle-sozialpolitik.de/2022/04/29/vielen-tafeln-geht-die-puste-aus/

    … nur einer von vielen, in unserer westlichen, ach so demokratischen welt mit ihren dauernd beschworenen westlichen werten, die es angeblich und ausschließlich mit hochrüstung zu verteidigen gilt …

  9. #10 Alisier
    5. Mai 2022

    Ok, lass uns die Tafeln besser versorgen (was mir wirklich wichtig ist, obwohl ich der Meinung bin, dass dafür gesorgt werden könnte, dass es die Tafeln gar nicht erst geben muss) und schon ist der Krieg vorbei.
    So in etwa?

  10. #11 Moreno
    5. Mai 2022

    Interessanter Dialog zum Thema.
    Auch wenn es auf mich befremdlich wirkt, wenn die Ur-Grüne Marieluise Beck (Mitglied seit 1980) für eine schnelle Lieferung schwerer Waffen argumentiert. Wo doch die Grünen einst aus der Friedensbewegung der frühen 80er Jahre entstanden sind, und stehts für konsequente Abrüstung standen. Aber gut, ich gestehe jedem Menschen zu, seine Meinung den Ereignissen anzupassen.

  11. #12 ajki
    5. Mai 2022

    Persönlich habe ich nur den sog. “offenen Brief” wahrgenommen, der (auch) hier unter die Herausgeberschaft “Schwarzer” gestellt wird. Aufgefallen ist mir der “Brief” durch die Kolportage in der Presse, die einerseits “Schwarzer” in der Initiator-Rolle herausstellte und andererseits mindestens in den Headlines, aber auch durchaus in den Leads und Textkörpern reichlich cherrypicking betrieb/betreibt – bis hin zur glatten Verfälschung des Inhalts des Briefes, den man sich sehr genau erlesen muss.

    Ganz ordentlich als Erläuterung und als Schlüssel zum Verständnis ist ein Interview der FAZ mit Herrn Merkel (dem Staatsrechtler) geraten, das am 2. oder 3. Mai in der Druckausgabe erschienen ist – die online-Version ist leider sicherlich mal wieder / wie immer hinter einer paywall versteckt.

    Generell ist die gegebene Situation ausgesprochen tückisch und war es schon seit mindestens der Annexion (meiner Ansicht nach). Beispielsweise wird öffentlich derzeit von durchaus führenden Köpfen davon gesprochen, dass die Ukraine den Krieg “gewinnen” könne / solle und dies auch unterstützenswert sei. Das Problem dabei ist hier (für mich), was “gewinnen” im Zusammenhang bedeuten mag – man dürfte wohl davon ausgehen, dass im Falle eines erfolgreichen Zurückdrängens der Aggressoren die ukrainischen Truppen wohl kaum an den Gebietsgrenzen der annektierten Regionen (= Halbinsel Krim!) stoppen werden… ich denke, dann wird die Sache extrem heikel, wenn nicht schon lange vorher, wenn Russland das vollkommen widerrechtlich neu besetzte Land im Osten der Ukraine mehr und mehr verliert.

  12. #13 spiritus
    5. Mai 2022

    @ajki
    Doch, davon würde ich unbedingt ausgehen.
    Wie wird sich das vorgestellt? Man jagt die Russen bis hinter die Grenze und will dann gleich ganz Russland einnehmen? – Absurd.

    Der Krieg muss mit dem Abzug der russischen Armee enden und ich habe bisher auch keine Hinweise, dass dem nicht so wäre.

  13. #14 Rob
    Oberland
    5. Mai 2022

    Alleine beim Gedanken, dass hier Nationen um “Land” kämpfen, dreht sich mir der Magen um. Natürlich steckt viel mehr dahinter, aber sichtbar und das Maß für beanspruchte Siege oder Niederlagen sind letztlich nur die Grenzen.

    Das Ziel kann eigentlich nur ein Kompromiss sein, selbst wenn die Ukraine die Angreifer völlig auf die Ausgangsstellungen zurückdrängen sollte. Dann bekommt Putin eben seine kleinen Provinzen und kann sie “sichern und ins Mutterland holen” oder so ähnlich, um zumindest vor einem Teil der Russischen Bevölkerung sein Gesicht zu wahren.

    Natürlich wäre das bitter, aber die Alternative (ein jahrelanger Krieg mit der immerwährenden Gefahr einer nuklearen Eskalation) ist unausdenkbar.

    Selbst bei einem verkündeten “Sieg” wäre der Preis, den Russland dafür gezahlt haben würde, katastrophal. Das Land wäre auf Jahre völlig isoliert und die russische Gesellschaft auf einen archaischen Stand zurückgeworfen.

  14. #15 rolak
    5. Mai 2022

    ad ‘offener Brief’: bei den Übermedien schrieb die gute Samira El Ouassil einen offenen Brief an den offenen Brief, formal mich ziemlich an die Elogen von Sarah Bosetti erinnernd (aktuelles Beispiel zu Muskatwitter bei ~16:45).

  15. #16 BBr
    Niedersachsen
    5. Mai 2022

    @spiritus: Ein kompletter Rückzug der Russen aus ukrainischem Gebiet wäre zwar wünschenswert, ist aber meiner Meinung nach überhaupt nicht im Bereich des Möglichen. Weder hat die Ukraine die nötige militärische Stärke, noch kann sich Putin oder irgendein Nachfolger die komplette Niederlage leisten. Also wird die Brutalität immer mehr gesteigert.

    Trotzdem bin ich für die Lieferung schwerer Waffen. Denn anderenfalls wird der umgekehrte Fall realistisch: Der vollständige russische Sieg. Und dann gibt es keine Verhandlungslösung, sondern die Ukraine wird einfach ausgelöscht und unliebsame Ukrainer werden ermordet.

  16. #17 Joseph Kuhn
    5. Mai 2022

    Nochmal zur Verantwortung der Intellektuellen

    Ich wollte eigentlich gar nicht so sehr zur Diskussion über militärische Fragen einladen, sondern eher zur Diskussion über die Rolle von “Intellektuellen” in unserer Gesellschaft. Habermas hatte sich vor einigen Tagen ebenfalls u.a. zur Meta-Ebene des Diskurses ausführlich in der Süddeutschen geäußert (leider hinter der Paywall: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/das-dilemma-des-westens-juergen-habermas-zum-krieg-in-der-ukraine-e068321/?reduced=true).

    Was erwarten wir heute von “Intellektuellen”? Unter den Briefeschreibern sind ja welche auf beiden Seiten. Aber sollen “Intellektuelle” überhaupt Partei für eine Seite ergreifen? Oder sollen gerade sie es tun und dann natürlich verteilt auf beiden Seiten? Sonst hätten wir vielleicht nur “Mandarine der Macht”, wie Chomsky Ende der 1960er Jahre das Verhalten mancher Intellektueller in den USA kritisiert hatte, oder umgekehrt nur Regierungskritiker.

    Und sollen sich “Intellektuelle” als “Experten” z.B. für Waffenlieferungen äußern, oder sind das grundverschiedene Rollen?

  17. #18 Spritkopf
    5. Mai 2022

    @Joseph Kuhn

    Ich wollte eigentlich gar nicht so sehr zur Diskussion über militärische Fragen einladen, sondern eher zur Diskussion über die Rolle von “Intellektuellen” in unserer Gesellschaft.

    Selbstverständlich haben “Intellektuelle” jedes Recht, sich in unserer Gesellschaft zu welchem Thema auch immer zu äußern. Eben wie der unintellektuelle Rest von uns auch. Wir haben ja Meinungsfreiheit. Ob diese Meinung dadurch, dass sie von einem Intellektuellen vertreten wird, mehr Gewicht hat, darf sicherlich im Einzelfall hinterfragt werden.

    Generell habe ich ein bißchen Schwierigkeiten mit dieser Bezeichnung. Was ist das überhaupt, ein Intellektueller? Wikipedia meint dazu:

    Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, philosophisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht.

    Was zumindest für Journalisten die Frage der öffentlichen Meinungsäußerung als Intellektueller ein bißchen entwertet. Schließlich machen die das ja dauernd.

    Und sollen sich “Intellektuelle” als “Experten” z.B. für Waffenlieferungen äußern, oder sind das grundverschiedene Rollen?

    Wenn einer die verschiedenen Aspekte von Waffenlieferungen ausgiebig studiert hat (z. B. als Völkerrechtler oder als Verteidigungsexperte), dann ja. Sonst eher nicht.

  18. #19 Alisier
    5. Mai 2022

    Unabhängig davon, was ein Intellektueller ist und wer sich als solcher bezeichnen kann:
    Was mich stört ist, dass, auch bei Habermas, das konkrete Leiden der Zivilbevölkerung kaum eine Rolle zu spielen scheint. Es werden Erwägungen und Gedanken formuliert, die seltsam steril erscheinen angesichts eines sehr konkreten Abschlachtens von Menschen um eines überkommenen und aus der Zeit gefallenen Nationalismus willen.
    Als Nachkomme einer Familie, die um ein Haar im Dreieck Bastogne-St.Vith-Houffalize während der Battle of the Bulge 1944/45 völlig ausgelöscht worden wäre, und nur durch das beherzte Eingreifen eines bis heute sehr umstrittenen Vollblut-Militärs namens George S. Patton dann doch in letzter Sekunde gerettet wurde, verstehe ich dass man aus Sicht der angegriffenen Ukrainer den Intellektuellen des ersten offenen Briefes ganz gerne den Vogel zeigen würde.
    Wir haben es mit einem skrupellosen autoritären Herrscher zu tun, der unberechenbar geworden ist, und den Menschen oder Intellektuelle noch nie die Bohne interessiert haben. Dann aber verschwurbelt zu schwadronieren hilft letztendlich niemandem, denn was soll das denn bitteschön bewirken?
    “Vorsicht, denn es könnte zur Eskalation kommen!”
    Na, vielen Dank. Darauf war sicher noch keiner gekommen, und für Millionen Menschen in der Ukraine ist die Welt schon untergegangen.
    Hat jemand das wirklich seltsame Interview mit Alexander Kluge im Deutschlandfunk gehört, in dem er nicht nur Widersprüchliches sondern auch Wirres äußert?
    https://www.deutschlandfunk.de/alexander-kluge-krieg-so-schnell-wie-moeglich-beenden-100.html
    Genau sowas lässt mich am Realitätssinn der alten Intellektuellengarde massiv zweifeln.
    “Sie meinen es doch gut und wollen nur Frieden!”
    Fragt sich nur für wen.

  19. #20 Tina
    5. Mai 2022

    Was erwarten wir heute von “Intellektuellen”?

    Na, dass sie sich äussern, ist doch ihr Job. Natürlich fachkundig und fundiert, mit guten Argumenten und auf allgemein verständliche Art und Weise. Am besten ist es, wenn sie eine Position vertreten, die sich mit der eigenen deckt… 😉 Nee, letzteres ist natürlich nicht ernst gemeint, schließlich lernt man ja auch von den Argumenten derer, die andere Positionen vertreten als man selbst. Und andere Sichtweisen sind sowieso immer wichtig, um nicht mit dem eigenen Weltbild sozusagen einzurosten. Deshalb finde ich es auch gut, dass es diese beiden offenen Briefe und eine Diskussion darüber gibt.

    Ich tendiere übrigens auch eher dazu, dass ich die Lieferung der schweren Waffen an die Ukraine richtig finde, weil man den Menschen dort einfach die Chance geben sollte, sich mit militärischen Mitteln zu verteidigen (anders geht es ja leider nicht). Verhandlungen mit Russland, wenn man nichts in der Hand hat, werden nicht stattfinden bzw. nicht erfolgreich sein können.
    Und man kann schließlich nicht erwarten, dass die Ukrainer sich kampflos einem Feind ergeben, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit schwersten Kriegsverbrechen gegen sie führt und in dem Wissen dass ein sehr, sehr düsteres Schicksal auf sie wartet (falls sie überhaupt überleben), wenn sie sich nicht wehren.

    Allerdings habe auch ich ein ungutes Gefühl dabei. Es stellt sich einfach die Frage, wo das alles enden soll. Einen irgendwie guten Ausgang aus dem Krieg und das möglichst schnell, kann ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen.

  20. #21 Moreno
    5. Mai 2022

    “Wir brauchen keine abstrakten Moralpredigten, sondern konkrete Unterstützung in Form von Medikamenten, Materialien und Waffen. Wir brauchen keine feigen Briefe, die den Opfern Schuldgefühle einreden, sondern mutige Briefe, die die russische Barbarei anprangern und zum Boykott von russischem Öl, Gas und Kohle aufrufen. Die einzige Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, besteht darin, Putins Russland zu zeigen, dass die ganze Welt diese Aggression ablehnt und die Einnahmequellen, die diesen blutigen Krieg finanzieren, versiegen zu lassen.”
    – Antwort von Wladimir Klitschko auf den Offenen Brief von 28 Prominenten.
    https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wladimir-klitschkos-antwort-auf-offenen-brief-zu-waffenlieferungen-18002508.html

  21. #22 Spritkopf
    5. Mai 2022

    Was mich am meisten an Schwarzers Brief stört, das ist diese Forderung, anstelle von Waffenlieferungen doch bitte Verhandlungen zu setzen, so als ob sie und die anderen Unterzeichner die Nachrichten rund um den Krieg gar nicht mitverfolgt haben. Verhandlungen gibt es seit Kriegsbeginn, bloß haben sie bislang zu nichts geführt:
    https://www.bbc.com/news/world-europe-56720589

    Ein Verhandlungsangebot der Ukraine, abgegeben Ende März, bestand übrigens in Neutralität und Nicht-Mitgliedschaft in militärischen Allianzen sowie einem Sonderstatus der Krim. War Putin nur nicht genug.

    Wenn jetzt Schwarzer fordert, dass man der Ukraine keine schweren Waffen liefern soll – in ihrem Artikel “Frieden jetzt” auf der EMMA-Webseite regt sie übrigens an, überhaupt keine Waffen mehr zu liefern (“wir es besser dabei belassen sollten, maximale humanitäre Hilfe zu leisten”) – dann heißt das soviel wie: Nehmt der Ukraine eine überlebenswichtige Verteidigungshilfe weg und setzt sie damit unter Druck, jedes Verhandlungsergebnis akzeptieren zu müssen.

    Berücksichtigt man dann noch, was ein Putin-Propagandist schon Anfang März bei der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti darüber geschrieben hat, wie mit der Ukraine zu verfahren sei – dass diese als Staat und als Name von der Landkarte getilgt werden müsse – dann kommt mir das Kotzen angesichts des Zynismus und der Kaltschnäuzigkeit von Schwarzer, mit der sie über das Schicksal der Ukraine meint verfügen zu müssen.

  22. #23 spiritus
    6. Mai 2022

    Einen wichtigen Punkt lassen die einen, wie auch die anderen Briefautoren offen: was sind denn schwere Waffen?
    Ich bin ja auch gegen die Lieferung von schweren Waffen, z.B. Langstreckenbomber, Flugzeugträger, Zerstörer, Fregatten, Marschflugkörper, ABC-Waffen sowieso; bei U-Booten bin selbst ich noch unsicher.

  23. #24 PDP10
    6. Mai 2022

    @spiritus:

    Einen wichtigen Punkt lassen die einen, wie auch die anderen Briefautoren offen: was sind denn schwere Waffen?

    Meinst du ernsthaft, dass das jetzt der furchtbar wichtige Punkt der Diskussion ist, der noch nicht behandelt wurde?

    (Mal abgesehen davon, dass das mit Blick auf die beiden Briefe auch nicht stimmt. Darum geht es in keinem von beiden.)

  24. #25 ZumZweiten
    6. Mai 2022

    Das Zusammenleben von Menschen mit höchst unterschiedlichen Meinungen und Interessen in einer Welt – bei immer größer werdenden Möglichkeiten zur Zerstörung dieses Zusammenlebens – will immer neu gedacht und immer neu als Angebot formuliert sein.

    Das klingt schön gesagt und scheint aus holder Ethik entsprungen. Aber… da ist immer ein Aber.

    Nämlich, das immer dann, wenn Kulturkriege wüten, selbstverständlich dabei Menschen zu Opfern werden. Und dazu ist noch nicht mal ein offener, militärischer Krieg notwendig, um Opfer zu erzeugen.
    Und wenn solch ein krieg läuft – und der läuft schon seit lange – ist Zeit ein Faktor, der im Vergehen immer wieder neu die Möglichkeit dazu gibt, eben diese “Angebote” wieder auf den Tisch zu bringen, weil man erwarten kann, das in diesem Kulturkrieg eben mit der Zeit Opfer entstehen, die dann eben nicht mehr zum Widerstand gegen die “Angebote” beitragen (können).

    Es gibt eine ziemlich erstaunliche Tendenz dazu, geradezu alles, was kritisch in der Öffentlichkeit aus der falschen Richtung kommt, einfach auszusitzen und zu warten, bis sich die Furore gelegt hat. Wahrscheinlich, je nach Dramatik, nebst einer taktischen Öffentlichkeitsmanipulation, die im Kulturkrieg wirksamen Druck auf die gegenseite ausübt, sodass die “Opferung” von Opposition schneller herbeigeführt wird.

    Aussagen, wie diese Oben sind daher schönklingend, aber sie verweisen eben darauf, das man zwar offenbar schon viel angeboten hat, viel verhandelt hat, aber nie einen Kompromiss einging. Etwa, weil man es sowieso nicht will und nur so tut, als wolle man zusammen eine Lösung finden.

    Nein, auch in der freiheitlichen Demokratie gilt: es muß eben einen Geben, der für Ruhe und Ordnung sorgt. Dazu müssen alle anderen kleinbei geben und verstummen.

    Und wenn das sowieso so ist, dann kann man das auch als primärstrategie wählen, um mit allerhand Möglichkeiten und Manipulationen mit Sicherheit auch eine irgend gelagerte Interessenlage auch auf jeden Fall durchsetzen zu können.
    In der Demokratie fällt das eben nie auf, weil anscheinend immer auch nur die erlaubten methoden dabei angewendet werden. In der Öffentlichkeit erfähr man ja sonst nichts, was gemacht wird, aber eigendlich nicht wirklich freiheitlich und demokratisch ist. Als ob man nicht darüber reden wollte, was man so für Leichen im keller habe. Oder gar nicht erst wahrnehmen.

    Man muß auch schon gut hinschauen und die Wirkungen der anscheinend gesetzeskonformen Aktivitäten der allgemeinen und speziellen Akteure (und solche, die als solche gar nicht auftauchen), in ihren komplexen Neben- und Wechselwirkungen richtig zueinander zuzuordnen. Vieles, was in der Öffentlichkeit so läuft, ist gar nicht sooo singulär und auf sein Thema begrenzt oder hat nur Auswirkungen auf eine begrenzte, stereotype Zusammenhangs-Verkettung, sondern hat Auswirkungen auf verschlungenen Pfaden in Bereiche, die damit gar nicht in Verbindung zu stehen scheinen.

    So wird Kulturkampf zu einer Beschleunigung der evolutionären Selektion innerhalb der Kulturräume, weil diejenigen, die am potentesten in diesem Kulturkampf sind, auch am schnellsten dabei zum Opfer werden können.

    Deswegen bin ich eh dafür, das man vieles eben gar nicht erst so heiss kochen sollte. Manchmal sind die Auswirkungen nämlich schlimmer, als die inizialereignisse, die zum Aufkochen führten. Die “Lösung” ist beim heissestem Kochen dann nämlich, alle Beteiligten und Betroffenen so zu verbrühen, das sie nie wieder irgendwas kritisieren wollen, weil die Erfahrungen des Konfliktes und der Massenöffentlichkeit zu extrem waren – und sie dabei unter die Räder kamen.

    • #26 Joseph Kuhn
      6. Mai 2022

      @ Zum Zweiten:

      Interessante Textkomposition. Haben Sie einen Lorem Ipsum-Generator benutzt?

  25. #27 spiritus
    6. Mai 2022

    @PDP10
    Wenn ich das recht überblicke, geht es in dem ersten Brief auch darum, das die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen auch Deutschland selbst zur Kriegspartei machen könnte. Also über was reden wir hier überhaupt?
    Wie soll denn das laufen?
    Putin hört bei seinen Beratern: “Wir haben eine Rotte Leo-Panzer mit abgekratzten deutschen Hoheitsabzeichen nahe Charkiv gesehen.”
    “Waaas? – Startet sofort unsere Atombomben, die auf Berlin, München und Hamburg ausgerichtet sind!”

  26. #28 Alisier
    6. Mai 2022

    Horrorszenarien machen Angst und lähmen.
    Darauf bauen Diktaturen und Diktatoren seit es sie gibt.
    Und erreichen auf diese Weise Schritt für Schritt ihre Ziele, weil die restliche Welt bloß keinen Ärger haben will.
    Zurückhaltung ist verständlich. Wenn diese Zurückhaltung aber dann dazu führt, dass autoritäre Systeme ihre Machtbereiche immer mehr ausdehnen, dann sind irgendwann auch die Zurückhaltenden in einer Falle die hätte vermieden werden können.
    Ich empfehle sich kurz mit dem Werdegang und der Position der französischen Linken die Mélenchon unterstützt zu beschäftigen.
    Ist es wirklich das was die Brief-Intellektuellen wollen?

  27. #29 Herr ɟuǝs
    Tschland
    6. Mai 2022

    In einer Propaganda-Gesellschaft ist die Wahrheit uninteressant, es zählen die Anhänger.
    Daraus macht man (gelenkte) “Demokratie”, aber Quantität ist noch lange keine Qualität – Schwurbelgenerator wieder aus.

  28. #30 rolak
    6. Mai 2022

    Beim hpd-Lesen sprang soeben ins Auge: Til Mettes Interpretation der argumentativen Tiefe bei so manchen brieflich Bedenken-Tragenden.

    • #31 Joseph Kuhn
      6. Mai 2022

      @ rolak:

      Ob man den Bedenken-Tragenden damit gerecht wird? Sind Schwarzer, Welzer oder Yogeshwar wirklich solche Zyniker? Und die Anderen, Nassehi zum Beispiel, oder Leutheusser-Schnarrenberger, dann vielleicht Kriegstreiber, die Stahlgewitter in warmen Socken vom heimischen Sofa aus goutieren?

      Ob solche entschiedenen, tatkräftigen Einordnungen der Briefeschreiber am Ende selbst eine Art Stellvertreterkrieg sind? Ein Kampf gegen die eigene Angst, auf der falschen Seite zu stehen?

  29. #32 rolak
    6. Mai 2022

    Ob man den Bedenken-Tragenden damit gerecht wird?

    Selbstverständlich nicht; der Versuch, de(m,n) Adressierten gerecht zu werden, wäre auch klar ‘Thema verfehlt’ für eine Karikatur aka Bild-Satire. Bereits damals™ wurde ähnlich unzutreffend, ähnlich zuspitzend karikiert gegen ‘gewisse rückgratlose Gesellen’…

    Kampf gegen die eigene Angst

    dürfte mit Sicherheit mitschwingen, ‘gegen die eigene Unsicherheit’ dürfte noch wahrscheinlicher sein. Doch hauptsächlich dürfte Meister Mette imho eine starke Assoziation zum bekannten ‘wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass’ empfunden haben, evtl mit einem Schüsschen Carl Perkins.

    Herzlich willkommen im Wochenende, btw

  30. #33 Alisier
    6. Mai 2022

    @ Joseph Kuhn
    Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Schwarzer, Welzer und Yogeshwar, zumindest für mich.
    Und auch welche zwischen Leutheusser (soviel s muss sein)-Schnarrenberger und Nassehi.
    Hier gehe ich tatsächlich erst mal rein nach Sympathie.
    Und ich habe auch überhaupt keine Angst auf der richtigen oder der falschen Seite zu stehen. Andere, mit denen ich mich zum Thema unterhalte übrigens auch nicht.
    Viele haben aber “So ein Gefühl”. Und das tendiert bei allen berechtigten Bauchschmerzen nicht zum Inhalt des ersten Briefes.
    Bei Dir, wenn ich Dich richtig verstanden habe, ebenfalls nicht.
    Wenn wir dieses ungute Gefühl jetzt noch ethisch sauber aufdröseln könnten wäre das nicht schlecht.
    Vielleicht kriegen wir das hin.
    Völlig subjektiv meine ich Unehrlichkeitt bei Schwarzer et alii zu spüren. Auch Unehrlichkeit aus hehren und hoch anständigen Gründen (Habermas, Kluge…).
    Und dieses nicht Ausgesprochene führt zumindest bei mir zu großem Unbehagen.
    Weiter bin ich bei der Analyse noch nicht. Kommt aber hoffentlich noch.

    • #34 Joseph Kuhn
      6. Mai 2022

      @ Alisier:

      “Leutheusser (soviel s muss sein) … Vielleicht kriegen wir das hin.”

      Zumindest das mit dem “s” hab ich hingekriegt, danke für den Hinweis.

      “Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Schwarzer, Welzer und Yogeshwar, zumindest für mich.
      Und auch welche zwischen Leutheusser (soviel s muss sein)-Schnarrenberger und Nassehi.”

      Gemeinsamkeiten gibt es sicher auch zwischen all den Genannten bzw. den Unterzeichnern beider Briefe, also über den Graben der jeweiligen Parteinahme hinweg. Das ist doch schön. Vielleicht sollten sich die Briefeschreiber gegenseitig schreiben, was sie bewegt? Zweien habe ich das mal vorgeschlagen.

  31. #35 rolak
    7. Mai 2022

    Zyniker? Und die Anderen

    Um auf diese nicht unwichtige Thematik zurückzukommen: diese (im Zitat nur fragmentarische angedeutete, manichäische) Aufteilung wird den sich Äußernden keinesfalls gerecht, den Meisten dürfte es darum gehen, ein ‘richtig handeln’ umzusetzen. Ob dann ein ‘so nicht helfen’ oder ‘nicht nicht helfen’ überwiegt und in welcher Form Vorschläge zur Lösung eines real existierenden, dringlichen, tödlichen Problemes anderer Leute (© D.Adams) angedacht und vorgebracht werden, das sieht jeweils von außen sicherlich ganz anders aus als bei denen, die aus innerer oder angeregter Überzeugung sich zu statements durchringen.

    Aber was sind denn alternative Ansätze zu dem ansonsten so massiv propagierten ‘Hilfe zur Selbsthilfe’? Ukrainische Kapitulation würde zwar mit Sicherheit diesen Konflikt beenden, ebenso sicher allerdings auch die Ukraine. Verhandlungslösung zwischen den beteiligten Parteien wäre optimal, doch die Positionen (Existenz | Nichtexistenz) der Ukraine sind (unzweifelhaft | hochwahrscheinlich) unverhandelbar. Zurück zum Status quo ante (mit üblichen ReparationsAusgleichen), also inklusive der Freigabe sämtlich annektierter Territorien sind garantiert keine durchs PutinSystem akzeptiert werdende Lösungen (wer für ‘sollnses doch behalten’ plädiert, propagiert im Staatlichen, was im Privaten Straffreiheit bei §250 entspricht). Die nächste Sanktion zielgenau auf den NotAus-Schalter der russischen Wirtschaft werfen (wenns erst in Monaten wirkt, wirkts unwirksam gegen das Kriegsgeschehen)?

    Sind das alle potentiell befriedigenden Lösungsansätze? Dann bleibt bei deren ethischer oder technischer Unrealisierbarkeit imho in dem Fall, daß die Überfallenen um Hilfe bitten und bereit sind, die unvermeidlichen Verschuldungen zur Realisierung auf sich zu nehmen, vorerst nur die Variante der waffen- und hilfsmateriellen Unterstützung. Schwere Waffen als notwendiger Bremsklotz, asymmetrische Kriegsführung als KO-Tropfen für den Agressor.

  32. #36 Alisier
    7. Mai 2022

    Nachtrag:
    Die Menschen unter den Unterzeichnern des ersten Briefes, die den Krieg und dessen unmittelbare Folgen noch bewusst erlebt haben, haben sicherlich Motive für das Unterstützen, die uns Nachgeborenen nicht unbedingt sofort einleuchten.
    In dem Sinne: herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Gerhard Polt!

  33. #37 Beobachter
    7. Mai 2022

    alisier, # 35 –

    auch die -nachgeborenen-, auch die mit der -gnade der späten geburt-, die kurz nach ende des 2. weltkrieges geboren wurden, haben lange die folgen des krieges miterlebt und zu spüren bekommen. z. b. armut, wohnungsnot.
    besonders dann, wenn sie als -flüchtlingskinder- von flüchtlingen und vertriebenen aus dem osten, auch der ukraine ! – in westdeutschland bei den alteingesessenen nicht gern gesehen waren.
    meine großeltern haben 2 weltkriege miterlebt und überlebt, und ich bin mit zeitzeugen-berichten aufgewachsen.

    etwas später kam dann der korea-krieg und der vietnam-krieg – als dort die usa ihre westliche demokratie mit agent orange verteidigt haben …

    ich halte es für unsinnig bzw. widersinnig, durch immer noch mehr waffen frieden schaffen zu wollen – in jedem fall.
    über hochrüstung und extrem hohe rüstungsausgaben freut man sich nur auf einer seite, nämlich bei kriegsgewinnlern und der rüstungsindustrie – und der ist es völlig egal, wohin und an wen sie ihre waffen verkauft.

    und diese hohen rüstungsausgaben werden dazu führen, dass an anderer stelle gespart wird – nämlich in allen sozialen bereichen – ist ja eh nur gedöns, lt. ex-bundeskanzler und immer noch putin-freund g. schröder – und bei bevölkerungsgruppen, die sowieso schon benachteiligt sind – weil sie keine lobby hatten und haben.

    man muss kein sogenannter intellektueller sein, um eine fundierte meinung zu aufrüstung, waffenlieferungen und krieg zu haben und die auch kundzutun.

    auch in diesem sinne –
    alles gute und die besten wünsche für gerhard polt zum 80. geburtstag.
    der sich vermutlich ungern als -intellektueller- bezeichnen lässt und sich selbst auch nicht so sieht.
    unvergessen seine auftritte z. b. bei -scheibenwischer-

    jk –

    thema- und überschrift- vorschlag für ihren nächsten blog-beitrag –

    die zivilbevölkerung und der krieg

  34. #38 Moreno
    7. Mai 2022

    OT
    Kehraus von Gerhard Polt gehört noch immer zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Traditionell schaue ich den 1x im Jahr zur Karnevalszeit, dieses Jahr habe ich es tatsächlich durch den Beginn de Ukraine-Krieg versäumt.
    Trotzdem Glückwunsch zum 80sten, Gerhard Polt.

  35. #39 Alisier
    7. Mai 2022

    Menschen und Solidaridät: ein Thema für sich.
    Sie haben Schwierigkeiten damit es im Kleinen zu sein, und was jenseits der Landesgrenzen passiert ist nicht unser Bier, nicht wahr.
    Entweder es kümmert einen, was in der Welt so passiert oder es kümmert einen nicht.
    Einheimische Bedürftige gegen Kriegsopfer in der Ukraine auszuspielen halte ich aber für eine extrem fiese Masche, die dann zudem auch noch niemandem hilft.

  36. #40 Alisier
    7. Mai 2022

    …..und ich glaube, dass es auch das ist, was mich am meisten an der Argumentation der Briefeschreiber stört.
    Wir haben längst eine Welt, egal ob es um Covid, um Klimawandel oder um Hunger und Armut geht.
    Wenn es irgendwo Probleme oder große Probleme gibt, kommen nicht nur Flüchtlinge, sondern es betrifft uns auch sonst auf vielerlei Weise.
    So zu tun als sei nur der eigene Vorgarten wichtig fiel schon den nicht Handelnden 1933 voll auf die Füße.

  37. #41 Beobachter
    7. Mai 2022

    bei extrem steigenden rüstungsausgaben, die zudem auch noch im grundgesetz verankert und festgeschrieben werden sollen, wird es zu einem noch stärkeren sozialabbau kommen.

    https://www.tagesspiegel.de/politik/erhoehung-der-ruestungsausgaben-100-milliarden-mehr-fuer-die-bundeswehr/28111130.html

    https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sipri-ruestungsausgaben-119.html

    die zahl der bedürftigen insgesamt – inländer, ausländer, alleinerziehende, rentner, asylanten, kriegsflüchtlinge, hartz 4-bezieher, obdachlose, … – wird noch dramatischer steigen.

    bsp.-
    wie gesagt – -den tafeln geht die puste aus-
    siehe dazu schon verlinkter aktueller blogartikel von stefan sell

    https://taz.de/Alltag-einer-Hartz-IV-Empfaengerin/!5849112/
    – aktuell

    sehr lesenswert –
    https://taz.de/Armut-in-Berlin/!5072767/
    – 2013 ! –
    – Armut in Berlin
    „Tafeln passen in die neoliberale Zeit“
    20 Jahre und kein Ende: Die Berliner Tafel will sich weiter vergrößern. Politologin Luise Molling erkennt darin ein Armutszeugnis der deutschen Sozialpolitik.
    … –

  38. #42 rolak
    7. Mai 2022

    <brief rating>

    ^^ich fummel mir einen zurecht; und was ist? Zum WochenFeierabend mal wieder die Abos in Tuben abarbeiten und schon stellste fest: der Parabelritter kanns deutlich besser.
    Und rotziger. 18½’, lief zum TagesFeierabend-Bierchen.

  39. #43 Beobachter
    7. Mai 2022

    rolak, # 42 –

    kannst du mir sagen, was das einstellen dieses schwachsinns-videos dieses herrn -parabelritters- hier und überhaupt soll –
    kann ja sein, dass sowas dir dein tages-feierabendbierchen bekömmlicher macht …
    mir kam gleich bei der 1. werbeeinspielung und ganz ohne alk das k …., bildlich gesprochen.

    dieser alexander prinz macht doch nur werbung für seine obskuren metal-mystery-events.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Dunkle_Parabelritter

  40. #44 Alisier
    7. Mai 2022

    Muss das wirklich, wirklich sein, völlig argumentfreies Geseiere von jemandem, der nur sehr wenig zu begreifen scheint immer wieder freizuschalten?
    Und dann diesmal noch mit Alkoholikervorwurf garniert.
    Da habe ich hier aber schon weit Harmloseres in Bausch und Bogen verdammt gesehen.

    • #45 Joseph Kuhn
      7. Mai 2022

      @ Alisier:

      Gelbe Karte.

      In dem Fall ist dein Kommentar ein “völlig argumentfreies Geseiere”. Was ich freischalte oder nicht, kann ich gut selbst entscheiden.

  41. #46 Beobachter
    7. Mai 2022

    satire zum thema –
    intellektuelle, krieg, offene briefe – und porto

    https://www.der-postillon.com/2022/05/porto.html#more

  42. #47 rolak
    7. Mai 2022

    und ganz ohne alk

    Welcher Alk?

    Ich hätte da einen unerhört funktionalen Tipp: statt möglichst vorurteilsbehaftet Beobachtetes flott rauszurotzen einfach mal möglichst unbeeinflusst nachzudenken vor dem Schreiben. Dann klappte sicher auch besser mit der Unterscheidung zwischen EigenPhantasie und valider Konklusion; wird der Kopf frei fürs Ermitteln einer Möglichkeit des ‘Vorspulens’.

    bei der 1. werbeeinspielung (..) nur werbung

    Daß das ein fundamentaler Widerspruch, ist Deiner ach so herausgestellten BeobachterinnenGabe entgangen?
    btw: a) wann startet die 2.? b) Du vergaßt, die Werbung u.a. hinterm Emma&Zeit-Link des Artikels ganz oben zu verteufeln – oder sollte die etwa ebenfalls der erwähnten Gabe entwischt gewesen sein?

    de.wiki

    Yoi, sie kann zielorientiert suchmaschinen^^
    Allerdings Beileid für die vergeblichen Mühen, die von Dir in tiefer Recherche aufgedeckte Geheimidentität ist nie eine gewesen. Zusätzliches Beileid für die offensichtlich zu Bruch gegangene(n) Shift-Taste(n).

  43. #48 Joseph Kuhn
    8. Mai 2022

    @ Alisier, rolak, PDP10, Beobachter:

    Habe mehrere OT-Stammtisch-Intellektuellen-Kommentare entsorgt. Dieser ewige Kleinkrieg ist nicht einmal als Sinnbild fehlender Friedfertigkeit des Menschen geeignet.

  44. #49 Joseph Kuhn
    26. Mai 2022

    Slavoj Žižek zur Herausforderung des Westens:

    “Wenn Europa den neuen ideologischen Krieg gewinnen will, muss es sein Modell der liberal-kapitalistischen Globalisierung ändern. Alles andere als ein radikaler Umbruch wird scheitern”

    https://www.derstandard.at/story/2000135882260/angst-vor-einem-krieg-ohne-ende

  45. #50 uwe hauptschueler
    26. Mai 2022

    “Wenn Europa den neuen ideologischen Krieg gewinnen will, muss es sein Modell der liberal-kapitalistischen Globalisierung ändern. Alles andere als ein radikaler Umbruch wird scheitern”

    Ist für mich so intellektuell wie

    htos “zeitgeistlich-
    reformistischen Kreislauf des imperialistisch-
    faschistischen ERBENSYSTEMS”

    • #51 Joseph Kuhn
      26. Mai 2022

      @ uwe hauptschueler:

      “Ist für mich so intellektuell wie …”

      Sie müssen sich nicht entschuldigen.

  46. #52 uwe hauptschueler
    26. Mai 2022

    So schwätzt und lehrt man ungestört;
    Wer will sich mit den Narr’n befassen?
    Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
    Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen. [Goethe Faust ]

    • #53 Joseph Kuhn
      27. Mai 2022

      @ uwe hauptschueler:

      “Jeder Mensch muss nach seiner Weise denken: Denn er findet auf seinem Weg immer ein Wahres oder eine Art von Wahrem, die ihm durchs Leben hilft; nur darf er sich nicht gehen lassen; er muss sich kontrollieren; der bloße nackte Instinkt geziemt nicht dem Menschen”

      [ebenfalls von Goethe]

  47. #54 M. Hahn
    15. Februar 2023

    “Der feuilletonistische Generalstab, der bisher vor allem in den Talkshows mit autodidaktischer Fachkunde zu Panzern und Atomwaffen unterwegs war, wird durch „offene Briefe“ noch nicht zu einer Intellektuellen-Debatte. ”

    Ein knappes Jahr später sind wir doch ein wenig weiter. Jürgen Habermas’ Gedanken in der SZ vom 15.02.23 scheinen mir ein wichtiger Beitrag in eben dieser Debatte. Verantwortliche Politiker sollten sich diese Debatte zu Hirn und Herzen nehmen. Und sei es bloß um Fehlleistungen wie “Wir führen Krieg” (Baerbock) und “Alice Schwarzer befürwortet Vergewaltigungen” (Göring-Eckardt) zu vermeiden,

  48. #56 rolak
    27. März 2024

    Ein knappes Jahr später

    Und noch ein Jahr später sind anscheinend immer noch offene Briefe nötig in der Hoffnung, Sinnvolles anzuregen. Diesmal in nobel(preisig): Keine Toleranz mehr für Putins Regime!.

    Hoffentlich Keine:r mit NobelDisease dabei…