Derzeit gehen zwei „offene Briefe“ an Bundeskanzler Scholz durch die Medien. Auf der einen Seite fordert eine Gruppe von Prominenten um die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, der Ukraine keine schweren Waffen zu liefern, um den Krieg nicht zu verlängern und das Eskalationsrisiko nicht weiter zu erhöhen. Auf der anderen Seite fordert eine Gruppe um den Grünen-Politiker Ralf Fücks eben jene Waffenlieferungen, weil Putin durch Ängstlichkeit nur ermutigt würde und sich durch Rücksichtnahme nicht beschwichtigen lasse.
Ich persönlich neige derzeit dem Brief der Fücks-Gruppe zu, mit einem höchst unguten Gefühl zugegebenermaßen. Aber der Brief scheint mir politisch schlüssiger. Ich käme allerdings nicht auf die Idee, die Emma-Gruppe als Putins Idioten zu denunzieren, wie das da und dort geschieht. Gehört nicht der Meinungsstreit zu den Werten, die wir gegen Putin verteidigen wollen?
Beiden Gruppen will ich kein leichtfertiges Daherreden unterstellen. Aber man muss die Briefe wohl auch nicht überbewerten. Sie werden in den Medien als solche von „Intellektuellen“ deklariert. In dem Punkt scheint mir, wird von den Medien eine Arena inszeniert, in der beide Briefe kein gutes Bild abgeben. Der feuilletonistische Generalstab, der bisher vor allem in den Talkshows mit autodidaktischer Fachkunde zu Panzern und Atomwaffen unterwegs war, wird durch „offene Briefe“ noch nicht zu einer Intellektuellen-Debatte.
Mir fehlt z.B. in beiden Briefen ein Nachdenken darüber, ob „der Westen“ sich nicht nur militärisch, sondern auch moralisch und sozialpolitisch an Haupt und Gliedern reformieren muss, um die Auseinandersetzung mit den Autokratien und Diktaturen dieser Welt zu bestehen. Die Ukraine soll doch hoffentlich nicht das Recht der Türkei auf Bombardierung von Kurdengebieten im Irak verteidigen, oder das Recht „des Westens“ auf wirtschaftliche Ausbeutung der Dritten Welt, auf den Einsatz von Arbeitssklaven in unseren Fleischfabriken oder in der Pflege, oder das Recht auf maximale Profite im Immobilienbereich?
Wenn „der Westen“ Opfer für die Verteidigung der Ukraine bringen soll, und das soll er, dann muss damit das Eingeständnis eigener Fehlentwicklungen und die glaubwürdige Bereitschaft, sie abzustellen, verbunden sein. Ein sozialpolitischer Lastenausgleich für die „Opfer“, die gebracht werden sollen, gehört dazu. Seitens der Wohlsituierten lassen sich „Opfer“ andernfalls leicht fordern. Dass man den „Gürtel enger schnallen“ müsse, war schon immer das Mantra der Wohlhabenden, wenn andere Verzicht leisten sollten.
Von Intellektuellen könnte man außerdem auch etwas mehr Nachdenken darüber erwarten, wie eine gerechtere und friedfertigere Weltordnung nach dem Krieg aussehen könnte. Das Zusammenleben von Menschen mit höchst unterschiedlichen Meinungen und Interessen in einer Welt – bei immer größer werdenden Möglichkeiten zur Zerstörung dieses Zusammenlebens – will immer neu gedacht und immer neu als Angebot formuliert sein. Kants „Zum ewigen Frieden“ ist schon etwas her.
Die briefeschreibenden Intellektuellen bleiben bei solchen Fragen bescheiden. Die schweren Waffen sind ihr intellektueller Horizont, obwohl sie davon vermutlich nicht mehr verstehen als wir Nicht-Intellektuellen. Ganz abgesehen davon, dass man sich fragen darf, warum Leute wie Mathias Döpfner oder Dieter Nuhr in der Welt der offenen Briefe als „Intellektuelle“ durchgehen. Gut, das Wort „Kulturschaffende“ wäre aus einer anderen, gewiss nicht besseren Welt und immerhin waren nicht auch noch Julian Reichelt und Thilo Sarrazin unter den Unterzeichnern.
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