Unser Gehirn ist evolutionsbiologisch darauf getrimmt, uns in einer Welt voller Unsicherheiten handlungsfähig zu machen. Vor allem in potentiellen Gefahrensituationen kommt es dabei oft nicht so sehr darauf an, Entscheidungssituationen gründlich zu prüfen, sondern schnell zu reagieren. Das führt leider immer wieder dazu, das auch dann zu tun, wenn das gründliche Prüfen besser wäre. Außerdem hat unser Gehirn Leistungsgrenzen, die ebenfalls zu kognitiven Fehlern und Verzerrungen führen können. Zauberkünstler machen sich das mitunter zunutze.
In der Süddeutschen Zeitung wird heute im Wissensteil der “Cognitive Bias Codex” von John Manoogian vorgestellt, eine von zahlreichen Listen über Denkschemata bzw. Denkfehler. Die Zusammenstellung ist nett überschrieben mit “Schneller, als man denken kann”. Die Überschrift ist übrigens etwas irreführend, weil man natürlich auch dann, wenn man Heuristiken folgt, denkt. Das Thema wird mit einem Kommentar von Sebastian Herrmann eingeleitet (Paywall). Sebastian Herrmann hat vor einigen Jahren das nach wie vor lesenswerte und auch hier im Blog besprochene Buch „Starrköpfe überzeugen“ geschrieben.
In seinem SZ-Artikel markiert Herrmann den Aufsatz „Judgement unter Uncertainty: Heuristics and Biases“ von Tversky und Kahneman 1974 als „Gründungsschrift der Bias-Forschung“. Das dürfte einer verzerrten Wahrnehmung geschuldet sein, vielleicht dem in der SZ-Liste auch aufgeführten bekannten „Verfügbarkeitsbias“. Bei dem Thema fallen einem Tversky und Kahnemann heutzutage einfach eher ein als Peter Wason, der bahnbrechende psychologische Experimente zum motivated reasoning schon in den 1960er Jahren durchgeführt hat und auf den auch der Begriff „confirmation bias“ zurückgeht. Man könnte sogar noch viel weiter zurückgehen und die Anfänge in der Denkpsychologie des frühen 20 Jahrhunderts verorten, oder in der Vorurteilsforschung oder auch bei Freud – manche seiner Abwehrmechanismen sind schließlich klassische kognitive Verzerrungen.
Vielleicht spielt dabei auch ein „Kleingarten-Bias“ eine Rolle: Man guckt nicht über den kognitionspsychologischen Gartenzaun, obwohl auch nebenan, unter anderen Überschriften ähnliche Phänomene zu betrachten sind. Auffällig ist, dass bei diesem Thema Politik, Gesellschaft und Ideologie meist gar nicht vorkommen, man könnte es einen „Thatcher-Bias“ nennen: „there is no such thing as society“. Aber vielleicht unterliege ich dabei auch nur einem „Politisierungs-Bias“, wer weiß.
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