Soll man also Depressionen nicht mehr mit den „Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren“, den SSRI, behandeln? Komischerweise scheinen sie aber zumindest bei schweren Depressionen wirklich zu helfen. Hier muss man sich wohl vorerst damit begnügen, dass man eben nicht weiß, warum. Das kommt in der Medizin immer wieder vor.
Allein helfen sie jedoch gewiss nicht und sie helfen auch nicht bei der großen Zahl der leichteren und mittleren Depressionen. Da sind andere Angebote gefragt, je nach Schweregrad z.B. ein stabilisierendes soziales Umfeld, eine Selbsthilfegruppe, ein digitales Online-Angebot (wie z.B. „moodgym“) eine Psychotherapie, oder, in akuten Krisen, ein Krisendienst. In Bayern sind mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz 2018 flächendeckend Krisendienste unter der Verantwortung der Bezirke, der obersten kommunalen Verwaltungsebene, eingerichtet worden. Sie sind 24 Stunden täglich zu erreichen und sie können auch mit mobilen Teams zu den Betroffenen kommen, wenn diese das möchten (oder es nötig ist). Der Krisendienst Oberbayern, der älteste, der schon vor dem Gesetz da war, hat inzwischen ein Netzwerk von ca. 1.000 Fachkräften aufgebaut, auf das er zurückgreifen kann. In den meisten Fällen lässt sich damit vermeiden, dass Menschen in akuten Krisen in die Notaufnahme einer Klinik müssen oder gar durch die Polizei zwangsweise stationär untergebracht werden.
Das Thema Depressionen wird sicher in nicht allzu ferner Zeit wieder nach Tutzing zurückkehren. Es ist gut, dass die Evangelische Akademie dem Gespräch darüber einen Raum gibt, auch das ist „Seelsorge“, und zugleich Sorge um die Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Bedingungen, die krank machen und die Defizite im Hilfesystem gehen uns alle an. Sie sind nicht mit Medikamenten oder Psychotherapie zu kurieren, sondern nur durch die Verständigung darüber, wie wir leben und miteinander umgehen wollen. So, wie es in der Welt derzeit läuft, hoffentlich nicht.
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Zum Weiterlesen:
• Blogbeitrag „Die Vermessung der Psychiatrie“
• Blogbeitrag „Was sind eigentlich psychische Störungen?“
• Blogbeitrag „‚Stell dich nicht so an‘: Das Problem mit den psychischen Problemen“
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