Der Auftakt
Was für Coup, den die AfD und ihr „Datenanalyst“ Tom Lausen vor zwei Wochen gezündet hatten: Zehntausende von „plötzlichen Sterbefällen“ 2021, die, man frage ja nur, eigentlich mit nichts anderem als den Coronaimpfungen in Verbindung zu bringen seien. Da mag es noch so viele Studien geben, die mit guten Methoden belegen, dass die Impfungen vor schwerem Verlauf und Tod schützen, da mag es das grobe, aber nicht ganz methodenfreie Monitoring der Impfeffektivität des Robert Koch-Instituts geben, egal, aus einer von der KBV angefragten Datensuppe war jetzt doch ganz klar erkennbar, was wirklich Sache ist. Zumindest, dass es da ein „Alarmsignal“ gebe, eine Kategorie, die im Querdenkermilieu ansonsten nur als Panikmache abgetan wird. Die vermeintliche Enthüllung eines Skandals ist dann schnell wieder in sich zusammengefallen.
Kleinere Brötchen
Auf „Reitschuster“ gibt es jetzt ein neues „Alarmsignal“, auf deutlch niedrigerem Niveau. Kai Rebmann, gelernter Bäckermeister und Inhaber eines konservativ-christlichen Kleinverlags, berichtet dort Daten von Christof Kuhbander, Mitglied des Obskurantenvereins MWGFD. Der habe 512 Fälle mit einschlägigen ICD-Codes gezählt, was Rebmann erst mit Toten gleichgesetzt hat, dann aber offensichtlich von Kuhbandner darauf hingewiesen wurde (immerhin!), dass es hier Doppelzählungen gäbe:
„Da diese Codes teilweise doppelt vergeben werden, liegt die Zahl der Todesfälle bei mindestens 256, was bezogen auf Durchschnittswert aus den Vorjahren einer Zunahme um mehr als das 140-fache entspricht.“
Kuhbandner hat laut Rebmann die folgenden ICD-Ziffern gezählt: T88.0 (Infektion nach Impfung), T88.1 (Sonstige Komplikationen nach Impfung, andernorts nicht klassifiziert), U12.9 (Unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen, nicht näher bezeichnet), Y59.0 (Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung: Virusimpfstoffe) sowie Y59.9 (Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung: Impfstoff oder biologisch aktive Substanz, nicht näher bezeichnet).
Die Todesursachenstatistik und ihre Codierungen
Für 2021 weist die Todesursachenstatistik 255 Fälle bei T88.1 aus, 218 Fälle bei U12.9, 36 Fälle bei Y59.0 und 3 Fälle bei Y59.9. Macht zusammen 512. Die T88.0 sind also nicht mitgezählt, sie wären auch nicht richtig einschlägig. Kuhbandner hat richtig gerechnet und auch richtig bemerkt, dass hier „doppelt“ gezählt wird: Die Y-Fälle sind schlicht die äußeren Ursachen der ICD-Gruppe S00-T98, d.h. die Fälle von Y59.0 und Y59.9 sind bereits in der Gruppe S00-T98 enthalten. Die Y59.0-Fälle in T88.1, die Y59.9-Fälle nicht zwingend, aber das waren ja nur 3 Fälle, das kann man hier vernachlässigen. Der Code U12.9 wiederum ist ein Zusatzcode, der nur zusammen mit einer Primärdiagnose vergeben werden darf, in Zusammenhang hier T88.1.
Insofern wäre es auch ganz einfach gegangen: Indem man die U12.9-Fälle nimmt. Das ist der einschlägige Zusatzcode zu T88.1 und darüber, ob Y59.0 und Y.59.9 irgendetwas mit Covid-19 zu tun haben, muss man sich gar nicht erst den Kopf zerbrechen und vor allem darf man auch die nicht wieder zu den T88.1-Fällen dazuzählen, wie es anscheinend Kai Rebmann getan hat. Das Statistische Bundesamt schreibt auf twitter:
„2021 sind insgesamt 255 Personen an “Sonstigen Komplikationen nach Impfung” (ICD-10-Code: T88.1) gestorben. Die Todesfälle der Covid-19-Impfung sind eine Teilmenge davon (218)“.
Nutzen und Risiken
Ich will nicht missverstanden werden: 218 Sterbefälle infolge der Covid-19-Impfung sind nicht Nichts, aber eine Übersterblichkeitsdebatte lässt sich damit nicht führen. Außerdem muss man sie richtig ins Gesamtbild einordnen. Der entscheidende Punkt für eine Nutzen-Risiko-Abwägung der Impfung ist nämlich nicht, ob die 218 Sterbefälle eine deutliche Erhöhung der tödlichen Impfkomplikationen gegenüber den Vorjahren darstellen, was zweifellos so ist, auch überproportional im Verhältnis zum Anstieg der Impfzahlen, sondern wie viele Menschen ohne die Impfung gestorben wären. Das sind ganz sicher deutlich mehr. Schätzungen reichen bis zu 500.000 gerettete Menschenleben in Europa und bis zu 20 Mio. weltweit. In China rechnet man infolge der niedrigen Impfquoten der älteren Bevölkerung dort im Zuge der aktuellen Infektionswelle mit hunderttausenden Toten. Sind solche Zahlen kein „Alarmsignal“ für Querdenker, ihre „Impfen-tötet-Behauptung einmal zu hinterfragen?
Verschwörungstheorien
Rebmann benutzt seine 256 Fälle dagegen, eine „dramatische Zunahme“ von Fällen in seine Community zu schreien und dann dem PEI daraus einen Strick zu drehen:
„Wenn schon Destatis von mehr als 500 Impftoten im Jahr 2021 ausgeht, fragt man sich, welche Rolle das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bei der Verharmlosung dieser Nebenwirkungen spielt und welche Motive dahinterstecken.“
Wie er jetzt wieder auf mehr als 500 Impftote kommt, weiß ich nicht, vielleicht hat er an dieser Stelle den Hinweis von Kuhbandner vergessen. Rebmann weist dann darauf hin, dass das PEI in seinem Sicherheitsbericht vom 7.2.2022 für 2021 sogar 2.255 Verdachtsfälle auf tödliche Nebenwirkungen dokumentiert, aber bei nur 85 einen Zusammenhang mit der Impfung für möglich oder wahrscheinlich hält. Sind das also zu wenig, müssten es mindestens die 218 aus der Todesursachenstatistik sein? Kann sein, aber das ist spekulativ, weil die leichenschauenden Ärzte in beide Richtungen irren können. Sie können übersehen, dass eine Impfung zum Tod geführt hat, sie können aber auch einen Zusammenhang für plausibel halten, der nicht da ist.
Konstruktive Lösungen statt Verschwörungstheorien
Mehr Qualität in der Leichenschau bei der Befundung der Todesursache, auch mehr Obduktionen, wären durchaus wünschenswert, das ist bekanntlich keine neue Forderung. Eine bessere Ausstattung des PEI zur Überprüfung von Impfnebenwirkungen oder vielleicht auch die Beauftragung einer von der Impfstoff-Zulassung unabhängigen Stelle wäre ebenfalls wünschenswert. Sollte das nicht auch aus Sicht von Querdenkern wichtiger sein als immer aufs Neue das Narrativ zu füttern, dass Impfungen massenhaft Menschen umbringen würden, nichts nützen und „die“ alles vertuschen?
Mal vorweihnachtlich friedfertig gefragt.
Kommentare (21)