Erinnern Sie sich noch? Im September 2022 wurden die Nordstream-Pipelines durch Sprengsätze zerstört. Der Westen beschuldigt Russland, Russland beschuldigt den Westen, insbesondere Großbritannien und die USA. Die Untersuchungen liefern nur spärliche Informationen. Die Pipelines sind in einer Länge bis zu 250 m zerstört, es soll eine Sprengung von außen gewesen sein, mit großer Sprengstoffmenge, und zur Tatzeit waren „dark ships“ in der Nähe. Die geheimnisvolle Bezeichnung meint Schiffe ohne Erkennungssignale, „dark ships“ klingt halt mehr nach James Bond, wie direkt aus dem CIA-Ticker.
Aber wer es war, weiß man nach wie vor nicht. Oder genauer: Weiß die Öffentlichkeit nicht. Irgendwer war es, die wissen es natürlich, und vielleicht wissen es andere Regierungen auch, finden es aber ebenfalls besser, offiziell nichts zu wissen. Wer weiß.
Kein Wunder, dass die Lücke des Wissens bei diesem Plot schnell mit Spekulationen und Verschwörungstheorien gefüllt wurde. Auch spieltheoretische Überlegungen wurden ins Feld geführt, die aber auch nicht mehr Erkenntnisse als andere Gedankenspielereien gebracht haben.
An gesichertem Wissen gibt es also wenig: Es war ein Anschlag, die Verursacher wollen vorerst unbekannt bleiben, und falls die „Gegenseite“ etwas weiß, hält sie es bislang auch für besser, nichts nach außen dringen zu lassen.
Ich will jetzt nicht den diversen „Die waren es, weil“-Spekulationen weitere hinzufügen, sondern auf einer Meta-Ebene spekulieren. Und nur ein kleines bisschen. Kann es sein, dass das Schweigen ein kalkuliertes Mittel der Entskandalisierung und Entwichtigung der Wahrheit durch verstreichende Zeit ist? Durch die Kumulation zwischenzeitlich anderer Kriegsereignisse, die den Anschlag zu einem Ereignis unter vielen im Krieg machen? Erst recht, wenn noch Zerstörungen folgen, die die öffentliche Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf sich ziehen: wenn beispielsweise die Ukraine endgültig die Landbrücke zwischen Russland und der Krim zerstört, oder das Kernkraftwerk Saporischschja ernsthaft beschädigt die Region radioaktiv verseucht wird, oder Russland doch eine taktische Atombombe einsetzt. Wer wird dann noch die Sprengung der Nordstream-Pipelines für etwas Besonderes halten?
Ich frag ja nur.
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