Der folgende Text ist ein Gastbeitrag des Bremer Zahnarztes Dr. Hans-Werner Bertelsen, der auf Scienceblogs schon mehrere Gastbeiträge veröffentlicht hat.
„Homöopathie“ – weiter und immer weiter?
Hans-Werner Bertelsen
Die „Homöopathie“ steht für Vieles. Sie steht für Aberglaube, genauso wie für €soterik im weißen Kittel. Sie steht für Sprechende Medizin und für Lüge, genauso wie für Milliardenumsatz und Selbsttäuschung. Leider steht sie auch für verpasste Therapiechancen und Siechtum. Den Grund für den geringen Bekanntheitsgrad der letztgenannten Fakten hat schon Michel de Montaigne (1533-1592) genannt: “Aber die Ärzte haben halt, wie Nikokles sagt, das Glück, dass ihre Erfolge von der Sonne beschienen, ihre Fehler aber von der Erde bedeckt werden. Zudem verstehen sie es geschickt, alle Geschehnisse für sich zu nutzen, denn sie betrachten es als Vorrecht der Medizin, als eigenen Erfolg zu verbuchen, was Schicksal, Natur oder andre nichtmedizinische Einwirkungen (deren Zahl unendlich ist) in uns Gutes und Heilsames bewirken”. In Deutschland hat sich eine stattliche Anzahl von Profiteuren gebildet – nicht nur „Homöopathen“ freuen sich über hohe finanzielle Zuwendungen, wenn im Rahmen der ärztlichen Gebührenordnung mundige 180.-€ auf das Konto fließen, statt lausiger 4,36 €, vorausgesetzt, das ärztliche Gespräch wird ganz profan mit Zuckerkugeln verknüpft. Auch für Apotheker und Hersteller ist die Freude groß, wenn sich die Umsätze der peinlichen Placeboindustrie auf Beträge von mehreren Hundert-Milliarden Euro summieren.
Es ist jetzt vier Jahre her, da hat sich eine kleine, aber feine Ärztekammer aufgemacht, diesen gefährlichen Irrweg zu beenden. Nachdem die LÄK Bremen 2019 „Homöopathie“ aus der Weiterbildungsordnung (WBO) gestrichen hatte, nahmen sich andere LÄK dies zum Vorbild und strichen diese Scheintherapie ebenfalls aus ihrer Agenda. So folgten dem Bremer Vorbild folgten in den folgenden Jahren die Landesärztekammern von Sachsen-Anhalt, Nordrhein, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, und Bayern. Die Klarheit der Ländervoten zur Abgrenzung von „Homöopathie“ führte im Mai 2022 auf dem Bremer Ärztetag zur Streichung dieser Lehre in der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO). Umso mehr verwundert es, wenn jetzt die bayerische LÄK, nachdem sie sich klar für einen Ausschluss der „Homöopathie“ bekannt hatte, genau diese Lehre in Fortbildungskursen weiter am Leben erhält. Auf Nachfrage des ÄND ist die Rede von „Übergangsfristen“. Ich frage mich: Darf man eine, bei Umgehung indikationsgerechter Therapien, lebensbedrohliche Scheintherapie weiter beatmen, weil es einzelne Juristen dieses aufgrund alter und überholter Verträge fordern?
Es mutet skurril an, wenn sich die bayerische Landesärztekammer trotz ihres eigenen Beschlusses, „Homöopathie“ aus der WBO zu entfernen, nun wegen „Übergangsfristen“ auf Prolongationen beruft und weiterhin Kurse für „Homöopathie“ anbietet. Diesbezügliche Verträge sind aus meiner Sicht als hinterrangig zu betrachten und auch nicht mehr aktuell. Die auf Nachfrage des ÄND erteilte Rechtfertigung erweist sich daher als fadenscheinig und nicht stringent. Der Schutz der PatientInnen vor einer, bei Wegfall indikationsgerechter Therapien, lebensgefährlichen Scheintherapien, rettet Leben und stellt somit eindeutig das höhere Rechtsgut dar. Rufe nach „Übergangsfristen“ sind überflüssig und gefährden fahrlässig die Gesundheit vieler Menschen. Obendrein stellt eine unnötige Verlängerung eine Respektlosigkeit gegenüber der im demokratischen Prozess getroffenen Entscheidung der eigenen Mitglieder dar.
Aber ich bleibe optimistisch, dass sich die logische Plausibilität – frei von Rückständen (!) – auch in Bayern durchsetzen wird. Das Votum hat bewiesen, dass es eine Mehrheit hierfür gibt und dass sich diese Mehrheit weder von Geld noch von Selbsttäuschung dominieren lässt.
Ergänzende Links:
• https://www.dr-bertelsen.de/documents/Screenshot_2023-02-10_at_11-36-
05_Warum_eine_Aerztekammer_noch_immer_Homoeopathie-Kurse_anbietet-AEND.png
• https://publikum.net/die-konigl-bayerische-zuckerkugel/
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