„Spielen Frauen schlechter Schach als Männer?“ fragt der SPIEGEL 22/2023. Mit Judit Polgár habe es erst eine Frau in die Top Ten der Weltrangliste geschafft, noch keine Frau sei Weltmeisterin geworden. Der SPIEGEL zitiert dazu den Mathematiker Christian Hesse, Professor in Stuttgart, selbst Schachspieler und u.a. Autor des schönen Büchleins „Achtung Denkfalle“, dass Frauen und Männer dieselben Schachfähigkeiten hätten. Hesse begründe das, so der SPIEGEL, mit der Normalverteilung. Es gebe 10 mal so viele Schachspieler wie Schachspielerinnen, somit seien die Männer in den extremen Positionen mit den besten und schlechtesten Ergebnissen stärker vertreten.
Dass 10 mal so viele Männer wie Frauen Schach spielen, hat mit dem Thema Normalverteilung erst einmal nichts zu tun. Was Hesse damit gemeint hat, schreibt der SPIEGEL nicht. Vermutlich geht es um die Normalverteilungen der Leistungswerte von Männern und Frauen. Dazu müsste man sich zwar Mittelwerte und Streuungen der Normalverteilungen ansehen, aber Hesse spricht natürlich einen wichtigen Punkt an. Möglicherweise argumentieren manche aber auch genau anders herum: Dass es 10 mal so viele Schachspieler wie Schachspielerinnen gebe, sei doch gerade ein Hinweis darauf, dass Frauen weniger geeignet für Schach sind. Allein an solchen Zahlen wird man das Leistungsvermögen von Frauen und Männern im Schach also vielleicht nicht ablesen können. Hesse wird abschließend mit Studien zur mathematischen Begabung von Mädchen zitiert, das dürfte für solche Vergleiche wohl aussagekräftiger sein: „Es sei durch viele Studien widerlegt, dass Mädchen für Mathematik weniger befähigt sein sollen als Jungen.“ Wobei es sein kann, dass sie sich trotzdem weniger für Schach interessieren.
Wie dem auch sei, hier noch eine kleine Statistik zum Thema, verbunden mit dem cave, dass ich bei dem Thema absoluter Laie bin: Die Leistungsstärke der Spieler:innen wird anhand der „Elo-Zahl“ gemessen. Schaut man sich auf der Seite des Deutschen Schachbundes die deutsche Bestenliste an, so liegt die Elo-Zahl der 100 besten Männer konstant über der der 100 besten Frauen. Dabei nimmt die Differenz der Elo-Zahl zwischen Männern und Frauen tendenziell mit dem Rangplatz ab. Beim Rang 100 beträgt er derzeit 316, beim Rangplatz 1 nur noch 224. In den oberen Rangplätzen nimmt der Abstand besonders schnell ab. Bei den Männern liegt zudem zwischen Rang 1 und Rang 100 eine Differenz der Elo-Zahl von 212, bei den Frauen von 304. Hinweise auf Selektionseffekte, wie sie Christian Hesse anspricht? Oder Kaffeesatzleserei?
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