Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert „Hubsi“ Aiwanger ist für derbe Sprüche und hemdsärmlige Aktionen bekannt. Bei einer Demo gegen die Heizungspläne der Berliner Ampel am vergangenen Samstag in Erding war er wieder mal in Höchstform, wie man in den Medien nachlesen kann: „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss“, tosender Beifall der schreienden Minderheit, und dass man „diese Berliner Chaoten vor sich hertreiben“ müsse.
Der Originaltext stammt von Alexander Gauland 2017: „Wir werden sie jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“. Man darf davon ausgehen, dass Aiwanger mit seiner Agitation nicht zur Landtagswahl in Bayern im Herbst und zur Abwahl Söders aufgerufen hat, der gehört ja nicht zu den „Berliner Chaoten“. Aiwanger bedient, wie Gauland und andere Möchtegern-Revolutionäre, den populistischen Topos „Wir da unten gegen die da oben“. Nur: Aiwanger gehört zu denen „da oben“. Er ist, wie eingangs erwähnt, stellvertretender Ministerpräsident Bayerns.
Die Anklage gegen Eliten, die gegen das Volk die Strippen der Macht ziehen würden, ist ein Ideologem, dass Demagogen seit jeher nutzen. Es wirkt interessanterweise unabhängig davon, ob der, der es benutzt, selbst zu den mächtigen Eliten gehört. „I am your voice“, auch bei Trump hat es funktioniert, der Milliardär im Protzpalast Mar a Lago als Stimme des Volkes. Es geht dabei nicht um Wahrheit oder die Entwicklung konkreter politischer Alternativen, sondern um Reviermarkierungen, um Ausgrenzung, um Spaltung, oder mit einem Wort: um identitäre Politik.
Man mag von den Heizungsplänen der Ampel-Regierung halten, was man will, aber dass die Ampel bei der Bundestagswahl 2021 demokratisch gewählt wurde und der Wahlsieg Aiwanger nicht „gestohlen“ wurde, sollte doch bei allem wünschenswerten Streit um den richtigen Weg im Umgang mit dem Klimawandel nicht infrage stehen.
Die Süddeutsche schreibt heute dazu, „Söder hat sich an Aiwanger gekettet. (…) ‚Fleisch vom Fleische’, wie es immer heißt (…), aber so langsam fängt deren Fleisch an zu riechen. Und der Geruch hängt jetzt auch in Söders Kleidern.“ Ich glaube allerdings nicht, dass das Folgen für die Wählerstimmung in Bayern hat. Im Moment haben identitäre Politikmuster Konjunktur, damit auch die bekannten Reviermarkierungen. Die einen reisen zu De Santis und sagen stolz, dessen Einschätzungen zu teilen, die schlichteren Gemüter plagiieren Gauland. Die einen monieren den Geruch, die anderen genießen ihn. Wahlen mag man damit derzeit gewinnen, Probleme werden so nicht gelöst.
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