Eines muss man Hubert Aiwanger lassen: Er versteht es, sich und seine Partei ins Gespräch zu bringen. Alle Leitmedien berichten über seinen Auftritt bei der Demo gegen die Heizungspläne der Ampel-Regierung vor einer Woche in Erding. Kritik an seiner AfD-nahen Rhetorik anzunehmen, liegt nicht in seinem Naturell. Bisher ist er noch nicht ganz auf Trumps Niveau, der handelt in solchen Situationen nach dem Motto „wenn sich einer über deinen Tabubruch aufregt, leg ordentlich nach, dann ist der erste Akt des Theaters schon vergessen und nach drei Runden ist die Aufregung durch Gewöhnung vorbei.“

Aber auch Aiwanger pflegt die Vorwärtsverteidigung. Er sagt, er stehe zu seinem von Gauland übernommenen Satz, und indirekt damit natürlich auch zu der damit transportierten Botschaft. Dann tut er so, als sei der Inhalt seines Satzes ganz belanglos, als ginge der Streit nur darum, dass auch Gauland so etwas Ähnliches gesagt hat:

“Nur weil irgendwann mal ein AfDler etwas Ähnliches gesagt hat, ist das noch lange kein Tabu-Satz für jeden anderen.”

Und weiter:

“Morgen ruft die AfD dazu auf, in Lederhose aufs Oktoberfest zu gehen, dann dürfte niemand mehr in Lederhose aufs Oktoberfest gehen – oder was?”

Diese Verteidigungsstrategie ist nicht ungeschickt. Sie abstrahiert einerseits vom Inhalt seiner Gauland-Anleihe, andererseits holt sie Energie aus dem berüchtigten Mantra aller Tabubrecher: „Das wird man doch noch sagen dürfen“.

Hier ein paar Verfremdungen des Aiwangerschen Lederhosensatzes, die die Architektur seines Vergleichs vielleicht etwas deutlicher machen:

“Morgen ruft die AfD dazu auf, mit “Ausländer-raus”-Aufdruck auf dem T-Shirt aufs Oktoberfest zu gehen, dann dürfte niemand mehr mit “Ausländer-raus”-Aufdruck auf dem T-Shirt aufs Oktoberfest gehen – oder was?”

Oder:

“Morgen ruft die AfD dazu auf, in Lederhose zusammen mit Neonazis vor einem Asylbewerberheim zu demonstrieren, dann dürfte niemand mehr in Lederhose zusammen mit Neonazis vor einem Asylbewerberheim gehen – oder was?”

Oder:

“Morgen sagt AfDler um 12.00 Uhr, es sei 12.00 Uhr, dann dürfte niemand mehr um 12.00 Uhr sagen, es sei 12.00 Uhr, – oder was?”

Oder:

“Morgen sagt einer von der SPD, ich solle zurücktreten, dann darf das sonst keiner mehr sagen – oder was?”

Oder wie wäre es damit:

“Morgen ruft die AfD dazu auf, die AfD zu wählen, dann dürfte niemand mehr die AfD wählen – oder was?”

Es gibt bestimmt noch viele weitere Aiwanger-Variationen. Ich meine, es wird Zeit für die bürgerliche Mehrheit, sich gegen den Populismus der real existierenden Eliten zu verwehren. Das wird man ja noch sagen dürfen.

Kommentare (12)

  1. #1 rolak
    17. Juni 2023

    Nur weil irgendwann mal ein AfDler etwas Ähnliches gesagt hat, ist das noch lange kein Tabu-Satz für …

    Sehr geschickt gemacht – denn es ist eine eindeutig korrekte Aussage. Auch wenn damit versucht wird, abzulenken davon, daß
     niemand behauptet hat, daß irgendein SatzSagen ein Tabubruch sei (auch wenn es des öfteren demaskierend bzw beschämend sein kann); ~TorpfostenVerschieben
     niemand behauptet hat, alle Äußerungen Gs seien gleichwertig; falsche Verallgemeinerung

    ..dann dürfte niemand mehr in Lederhose aufs Oktoberfest gehen

    Krasse Fehlleistung bzw unverschämte Irreführung: das Analogon zu Teil 1 wäre nur ‘dann dürfte niemand mehr dazu aufrufen, in Lederhose aufs Oktoberfest zu gehen?’ – was dann aber wg der erwähnten LogikFehler im ersten Teil eh nurmehr ein umformuliertes ‘mit dir diskutier ich nicht!’ ist.

  2. #2 Joseph Kuhn
    18. Juni 2023

    Aiwanger und der 17. Juni

    Gestern vor 70 Jahren war der Volksaufstand in der DDR. Der 17. Juni war zum Gedenken an den Volksaufstand Feiertag in der Bundesrepublik, er wurde nach der Wiedervereinigung durch den 3. Oktober ersetzt.

    Vor ein paar Jahren forderte Aiwanger die Wiedereinführung des Feiertags, “da Demokratie und Menschenrechte auch heutzutage leider noch immer keine Selbstverständlichkeiten sind”. Damit hat Aiwanger sicher recht, wenn man nach Russland oder manch andere Länder schaut, und auch im demokratischen Deutschland gibt es da noch Luft nach oben, aber ob sich das ausgerechnet am demokratisch zustande gekommenen Heizungsgesetz der Ampel festmacht?

    Der Bayerische Rundfunk hat gestern Aiwangers Erdinger Aufruf, sich die Demokratie zurückzuholen, als Aufhänger für eine Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR genommen, als einer Situation, in der es wirklich um die Demokratie gegangen sei und Menschen dafür ihr Leben risikiert haben.

  3. #3 Joseph Kuhn
    18. Juni 2023

    Aiwanger und Friedrich Merz und neue AfD-Anleihen

    Ein bisschen was hat sich Aiwanger doch von Trump abgeschaut: Er kloppt jetzt, genüsslich von der BILD zitiert, auf Friedrich Merz ein: “Mit seinem Privatjet wird er von vielen Bürgern in einer anderen gesellschaftlichen Liga verortet” und die CDU könne keine Brandmauer gegen die AfD bilden: “Sie funktioniert schlichtweg nicht, weil die CDU kein konservatives Profil mehr hat“.

    Dann zu Erding, wieder ganz auf AfD-Linie: “Wenn man wie ich dort kritische Themen angesprochen hat, wird man sofort von der linken Presse als Rechter abgestempelt“.

    Die Presse ist also pauschal “links”, und er wird “als Rechter abgestempelt”, nur weil er kritische Themen angesprochen hat. Man darf hier ja nichts mehr sagen, höchstens noch öffentlich von der Bühne schreien. Hubert Aiwanger stilisiert sich als Freiheitskämpfer. Nicht dass noch jemand denkt, die Kritik mache sich daran fest, wie er Kritik am Heizungsgesetz geübt hat und welchen Subtext er transportiert hat.

  4. #4 uwe hauptschueler
    18. Juni 2023

    “Mehr Demokratie wagen.” wollte Willy Brandt vor über 50 Jahren.
    Die Grünen sind mal als Basisdemokraten gestartet.
    Herr Aiwanger befindet sich da in guter Gesellschaft, wenn er die Demokratie zurückholen will. Woher aber? Ohne Volksabstimmungen und die gibt es in der BRD nicht, gibt es jedoch keine Demokratie. Demokratismus,
    Pseudodemokratie, Wahlautokratie, Volksverarschung sind Schlagworte mit denen man die meisten der sogenannten Demokratien belegen könnte.

    • #5 Joseph Kuhn
      18. Juni 2023

      @ uwe hauptschueler:

      “Herr Aiwanger befindet sich da in guter Gesellschaft”

      Nein, da bringen Sie eher Willy Brandt in schlechte Gesellschaft. Dass die Eliten die Macht übernommen haben und das Volk sie von da zurückholen muss, war nicht das, was Brandt mit seinem Satz gemeint hat. Er war sich auch dessen bewusst, dass er regiert und nicht gegen Seinesgleichen protestieren muss.

      “Ohne Volksabstimmungen und die gibt es in der BRD nicht, gibt es jedoch keine Demokratie.”

      Der Satz ist so formuliert falsch: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksentscheid. In den Bundesländern gibt es sehr wohl solche Formen der direkten Demokratie. Mehr direkte Demokratie wagen, kann man m.E. durchaus, sie gegen die parlamentarische Demokratie in Stellung zu bringen, halte ich für falsch und gerade Populisten wie Aiwanger führen vor, warum das nicht zu besseren Entscheidungen führen muss. Bei vielen Fragen entscheidet sonst das von den Populisten desfinformierte und hochgekochte “gesunde Volksempfinden”.

      Zumal es gar nicht möglich wäre, alle politischen Entscheidungen durch Verfahren der direkten Demokratie zu treffen, weder von der Menge noch von der Komplexität der Themen her. Die parlamentarische Demokratie mit ihrer Facharbeit in den Parteien, den Ausschüssen, den Sachverständigenanhörungen usw. sollte man trotz aller Mängel nicht pauschal schlechtreden und ihr ein idealisiertes Bild der direkten Demokratie als “Systemalternative” vorhalten.

      Das Gefühl vieler Leute, von “denen da oben” nicht ernstgenommen zu werden, was Populisten, die ihrerseits die Sorgen der Leute in keiner Weise ernstnehmen, sondern hemmungslos ausbeuten, ist natürlich ein Demokratie-Problem, aber keines, das sich durch Aiwangersche Sprüche lösen lässt und keines, das nur etwas von “denen da oben” und nichts von “uns da unten” verlangt.

  5. #6 Uli Schoppe
    18. Juni 2023

    Warum wird mir bei den Worten “gesundes Volksempfinden” immer so kalt die Rechte so gerne im Mund führen? Gesundes Volksempfinden in einem gesunden Volkskörper? Ich bin wohl alt.

  6. #7 Dr. Webbaer
    18. Juni 2023

    Aussage wird nicht dadurch falsch, dass sie so oder so ähnlich von anderen sozusagen unzuverlässigen oder gar diabolischen Kräften zuvor beigebracht worden ist.

    Ansonsten wäre alles falsch, was bspw. im “3.Reich” je gesagt worden ist. [1]

    Dies nur am Rande notiert, sicherlich trug Herr Aiwanger sozusagen hemdsärmelig und populistisch vor.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Oder von “Satan”, nur würde “Satan” so zu viel Macht überlassen werden?

    • #8 Joseph Kuhn
      18. Juni 2023

      @ Webbär:

      “Aussage wird nicht dadurch falsch, dass sie so oder so ähnlich von anderen sozusagen unzuverlässigen oder gar diabolischen Kräften zuvor beigebracht worden ist.”

      So ist es. Sie ist falsch, weil sie falsch ist und weil sie nur aufhetzt, aber kein Problem löst. Dass Aiwanger nicht bewusst Gauland zitert hat, sondern “nur” mit der gleichen Masche die wutbürgerliche Stimmmung seiner Zuhörer:innen ausbeuten wollte, kann man ihm dabei durchaus zugestehen.

      “Ansonsten wäre alles falsch, was bspw. im “3.Reich” je gesagt worden ist.”

      So ist es. Auch damals gab es korrekte Auskünfte zur Uhrzeit. Selbst von handfesten Nazis. Aber Aiwanger hat nicht die Uhrzeit in die Menge gebrüllt.

      Ich frage mich, ob er sich so in Rage geschrien hat, dass er ganz vergaß, dass er mitregiert, einer von “denen da oben” ist. Ausdauerndes Schreien führt vielleicht zu einer Mangeldurchblutung des Großhirns?

  7. #9 knorke
    18. Juni 2023

    @Ulie Schoppe. Eben das ist eines der systemischen Nachteile direkter Demokratie: Dann ist plötzlich alles richtig, was im Überschwang der Empörung gut klingt. Wie schief das gehen kann, haben die Demagogen im Verienigten Königreich vorgeführt. Dass diese Meschen belogen wurden hat die Möglichkeiten eines direkten Votums jedenfalls nicht verhindert. Ich nehme an, JK hat den Begriff sehr bewusst gewählt um dieses Instrumentalisierungsrisiko in der schillernst möglichen Farbe (braun) zu illustrieren.

  8. #10 Dr. Webbaer
    19. Juni 2023

    Herr Aiwanger hat aus diesseitiger Sicht und in wie gemeinter Rede auch politisch rechten Identitarismus bedient, so wie andere den politisch linken Identitarismus bedienen.
    Sicherlich ist aus liberaler Sicht hier eher abzuraten, insgesamt, vielleicht geht diese kritische Bemerkung an dieser Stelle, lieber Herr Dr. Joseph Kuhn, stellt der Schreiber dieser Zeilen zunehmend, nicht nur das Politische meinend, “emotionale Argumentation” fest.
    Mit freundlichen Grüßen und eine schöne Kalenderwoche 25 des Jahres 2023 noch
    Dr. Webbaer

  9. #11 Uli Schoppe
    25. Juni 2023

    Herr Aiwanger hat aus diesseitiger Sicht und in wie gemeinter Rede auch politisch rechten Identitarismus bedient, so wie andere den politisch linken Identitarismus bedienen.

    “Der aber auch” macht Aiwangers Aussage weshalb nochmal besser?

  10. #12 Joseph Kuhn
    7. Juli 2023

    Aiwanger bei Lanz

    Vor ein paar Tagen, am 4. Juli, war Aiwanger bei Lanz. Die Sendung ist noch in der Mediathek.

    Jetzt diskutieren Medien aller Couleur über diesen Auftritt von Aiwanger. Die einen kritisieren Aiwanger für seine erneuten populistischen Parolen, z.B. man würde den Syrern mit dem deutschen Pass hinterherlaufen, die anderen kritisieren Lanz für seinen Interviewstil und den in der Tat etwas bemüht wirkenden Versuch, Aiwanger zu stellen.

    Allerdings war Aiwanger auf das Format bei Lanz gut vorbereitet und er hat auch gelernt, wenn es eng wird, auf die Metaebene auszuweichen. Bei Lanz fragt er z.B. zurück, “machen wir jetzt eine Sprachdebatte?” oder greift das Anliegen von Lanz direkt an: “Mit der Masche kriegen Sie mich nicht”.

    Mein Eindruck: Lanz war Aiwanger nicht wirklich gewachsen, Aiwanger ließ sich nicht von Lanz vorführen, das hat er – zuverlässig – wieder einmal selbst erledigt.