Man reibt sich im Moment etwas verwundert die Augen: Im bayerischen Landtagswahlkampf wird eine uralte Geschichte über Hubert Aiwanger ausgegraben, ein unsägliches Flugblatt aus Schulzeiten, das den Holocaust als Scherzartikel verwendet. Aiwanger war sich seit Jahren bewusst, dass ihm das Flugblatt einmal vorgehalten werden könnte, angeblich hat er schon 2008 bei einem seiner früheren Lehrer anfragen lassen.
Jetzt hat die Süddeutsche das Fass aufgemacht. Statt dass Aiwanger das Thema sofort abräumt, indem er sich für seinen Mist in der Jugend entschuldigt, erklärt, wie er heute dazu steht, was er Jugendlichen rät und welche Verpflichtungen sich für ihn und die deutsche Politik aus der deutschen Vergangenheit ergeben, verhält er sich wie der Schulbub von damals: „Ich war’s nicht“. Er und sein Bruder versorgen tagelang die Medien mit immer neuen Geschichten zum damaligen Hergang, die nicht so richtig zusammenpassen, die nötigen Worte zur Sache findet er nicht. Folgerichtig behandelt ihn Söder auch wie einen Schulbub, zitiert ihn in einen Sonder-Koalitionsausschuss und gibt ihm danach 25 Fragen zur schriftlichen Beantwortung mit – eine beispiellose Demütigung des Koalitionspartners, und zugleich ein Versuch, die Zukunft offen zu halten, Aiwanger einen Ausweg zu bieten, wenn der denn endlich erkennt, um was es geht.
Für Journalisten ist ein herbeigeschriebener Rücktritt eines Ministers ein Highlight. Vor allem in Wahlkampfzeiten oder kurz nach Ernennungen werden immer wieder Politiker-Biografien oder deren frühere Reden durchforstet, ob sich nicht etwas findet, was sich zum Skandal auswachsen könnte. Man erinnere sich nur an die Kampagnen gegen Baerbock oder gegen Wulff. Man mag sich an solchen medialen Spielchen stoßen, aber sie haben auch eine wichtige politische Funktion: Sie testen, ob ein Politiker, eine Politikerin „Krise kann“, wie die Reaktion unter großer persönlicher Belastung ist.
Aiwanger hat sich in der Vergangenheit als talentierter Bierzeltredner bewiesen. Über seine politischen Leistungen in der realen Welt mag man unterschiedlicher Meinung sein. Aber jetzt gewinnt man der Eindruck, er sei von der Situation völlig überfordert, obwohl sie ihn nicht einmal unerwartet getroffen hat.
Dem berühmten Peter-Prinzip zufolge steigt man so lange auf, bis man die Stufe seiner Unfähigkeit erreicht hat. Vielleicht ist für Hubert Aiwanger dieser Moment jetzt gekommen. Ob er es noch in der Hand hat, seinen weiteren politischen Weg selbst zu bestimmten, darauf dürfen nun Wetten abgeschlossen werden.
Kommentare (44)