Samstag Nachmittag. Einkäufe erledigt. Jetzt kommt die Süddeutsche dran. Im Leitartikel auf der ersten Seite geht es um die Koalitionskrise. Kennt man. Zweite Seite – da verschlägt es mir einen Augenblick den Atem: Auf den Seiten 2 und 3 gibt es ganzseitig eine Anzeige von BMW, mit der der BMW i7 beworben wird.
Der BMW i7 ist ein „Ökomobil“, elektrisch. Das Basismodell kostet angeblich 115.000 Euro und schnurrt leise mit 455 PS durch die Landschaft, was aber nicht in der Anzeige steht. Da geht es um „Achtsamkeit für den Augenblick“, zumindest steht das über der Anzeige und Achtsamkeit für das Geld oder gar für die Straße wird damit nicht gemeint sein.
„Der BMW i7 ist ein Fest für die Sinne. Ein ganz besonderes Erlebnis verspricht der optionale BMW Theatre Screen. Elegant fahrt das beeindruckende 31,3-Zoll-Display aus dem Dachhimmel und bietet Entertainment wie im Kino. Mit einer optionalen Soundanlage lassen 4D-Shaker in den Sitzen die Klänge des Soundsystems spürbar werden, während versteckte Lautsprecher in den Kopfstützen in der Lage sind, das Fahrzeug in einen Konzertsaal zu verwandeln.“
Natürlich sind sich die Autobauer auch ihrer ökologischen Verantwortung bewusst. Der Fahrgenuss im Konzertsaal soll schließlich nicht durch ein schlechtes Gewissen getrübt werden:
„Moderner Luxus bedeutet aber auch, den ökologischen Fußabdruck im Blick zu behalten. Im Innenraum des BMW i7 kommen daher sorgsam ausgewählte Materialien zum Einsatz, die maximale Qualitätsstandards mit einem Beitrag zur Nachhaltigkeit kombinieren.“
Unter anderem setzt BMW „aus dem Meer geborgene Fischernetze“ als Ausgangsmaterial für die Bodenverkleidung ein. Ob da sogar noch eine sanfte Brise Meeresluft durch das Auto weht?
„Achtsamkeit für den Augenblick“. Wenn ich dieser Aufforderung folge, auch wenn ich sicher nicht gemeint bin, welche Gedanken kommen mir dann? Auf der Seite 1 die Ampelkrise, u.a. weil durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Geld für die Bekämpfung des Klimawandels fehlt. Was tun? Die Reichen sollen nicht stärker besteuert werden, lieber, so Merz und Lindner, soll am Bürgergeld für die Armen gespart werden. Die kaufen eh keine Autos im Luxussegment, die tragen höchstens die Süddeutsche aus.
Ich weiß, es gab immer opulenten Reichtum, zu allen Zeiten. Und immerhin kommt auf den nächsten Seiten in der Süddeutschen nicht auch noch Werbung für Superyachten, sondern der Ukrainekrieg und andere Unheilsnachrichten aus aller Welt. Wenn ich dann ganz achtsam in mich hineinhöre, einen Augenblick, oder zwei, dann empfinde ich doch wieder dieses ungute Gefühl, dass irgendetwas in unserer Gesellschaft gerade nicht stimmt und die Gender-Sternchen wirklich nicht unser größtes Problem sind. Vielleicht gönnen Sie sich auch einmal einen Augenblick der Achtsamkeit dafür.
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Nachtrag: Auf Seite 52 der gleichen SZ-Ausgabe ist ein Interview mit dem Dortmunder Philosophieprofessor Christian Neuhäuser über Reiche und die moralische Problematik exzessiven Reichtums. In die Nähe dieses Interviews wollte man die BMW-Werbung vermutlich nicht platzieren.
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