Seit gefühlten Ewigkeiten schwelen Vorwürfe gegen die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Zusammenhang mit den Coronaimpfstoff-Verträgen der EU. Durch die Europawahl werden sie nun wieder in den Medien aufgegriffen. So schreibt beispielsweise das Web.de-Magazin:

„Die Vertragsverlängerung über die Lieferung von 1,8 Milliarden Impfdosen ist etwa 35 Milliarden Euro schwer. Das Brisante ist, dass sie zum Teil in Form von SMS-Nachrichten ausgehandelt worden sein soll – welche bis zum heutigen Tag nicht veröffentlicht wurden. Das Büro von von der Leyen ebenso wie die Kommission hatten auf Nachfrage behauptet, die Nachrichten seien nicht mehr auffindbar.“

Je größer die Summen, desto lockerer der Umgang damit? Eine der Verteidigungslinien ist, die Verhandlungen seien in einem Ausnahmezustand geführt worden. Da wird dann eben „unbürokratisch“ gehandelt. Wie bei manchem Maskendeal auch, möchte man hinzufügen. Vielleicht hätte das RKI seine Protokollführung auch „unbürokatischer“ handhaben sollen: Weißes Papier statt Schwärzungen?

Sarkasmus einmal beiseite: Die explizite Regelung von Verfahrensweisen und die Dokumentation der ordnungsgemäßen Umsetzung dient oft der Qualitätssicherung und der Transparenz von Abläufen. Bei aller berechtigter Kritik an unnützer Bürokratie sollte man aufpassen, dass Entbürokratisierung nicht zum Freibrief für willkürliches und unkontrolliertes Handeln in wichtigen Bereichen des wirtschaftlichen und staatlichen Lebens wird.

————————
Zum Weiterlesen:

• Blogbeitrag Bürokratie-Mythen vom 8. Oktober 2016.
• David Graeber: Bürokratie. München 2016.
• Horst Bosetzky: Bekenntnisse Berliner Büroinsassen. Berlin 1996.

Kommentare (3)

  1. #1 uwe hauptschueler
    10. Mai 2024

    Mit ganz normalen Bürokratismus hätte es die Toten bei der Loveparade Duisburg möglicherweise nicht gegeben. Der Bürgermeister wollte diese Veranstaltung aber unbedingt haben.

    Die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelt seit Januar wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Als Beschuldigte gelten derzeit 16 Menschen, darunter elf städtische Mitarbeiter. Ihnen wird laut Bericht vorgeworfen, das Konzept des Veranstalters trotz Mängeln ohne die nötigen kritischen Prüfungen übernommen zu haben.

    Q.:*https://www.sueddeutsche.de/panorama/die-katastrophe-von-duisburg-genehmigung-der-loveparade-erfolgte-rechtswidrig-1.1118731
    Wenn unbürokratisches Verwaltungshandeln in die Hose geht, werden Sündenböcke gesucht. Der Bürgermeister wurde nicht angeklagt.

  2. #2 Beobachter
    11. Mai 2024

    Wenn “Entbürokratisierung” bedeutet, dass auf notwendige Dokumentation und Transparenz, auf Kontroll- und Regulierungsmöglichkeiten verzichtet werden soll – besonders dort, wo es um große Beträge und wichtige, nachhaltige Entscheidungen geht – dann bin ich dagegen.
    Weil es Tür und Tor öffnet für “Schlamperei” und leicht gemachten Betrug in großem Stil.

  3. #3 Beobachter
    17. Mai 2024

    Wenn “unbürokratisches Handeln” das bedeutet, was EU-Präsidentin von der Leyen gemacht haben soll, dann widerspricht das m. E. jeglichem verantwortungsbewusstem politischen Handeln:

    https://taz.de/Fragwuerdiger-Impfstoff-Deal/!6007819/

    “Fragwürdiger Impfstoff-Deal
    Pfizergate vor Gericht
    EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen soll per SMS einen Impfstoff-Deal eingefädelt haben. Am Freitag verhandelt ein belgisches Gericht über den Fall.
    … ”

    Vielleicht hätte ihre SMS-Impfstoff-Deal-Nachricht textgrößenmäßig auch auf einen “Bierdeckel” gepasst !
    Da wäre sie ja ganz bei der “unbürokratischen” “unternehmerfreundlichen” FDP !