Selten war so viel Gemeinsamkeit zwischen Volk und Regierung in Deutschland: Niemand weiß, wie es weitergehen soll. Die großen Fragen – Klimawandel, bezahlbares Wohnen, Pflege – stehen schon lange ohne Antworten im Raum. Wie man wieder Frieden in Europa schafft, weiß auch keiner, falls Trump wiedergewählt wird, wissen es noch weniger, und darüber, gemeinsam dem Hunger in der Welt ein Ende zu setzen, denkt in diesen Zeiten sowieso kaum mehr jemand nach. Vielleicht war es für alle, Volk und Regierung, bequemer so. Warum mussten dann die Wähler (und -innen) bei der Europawahl das parteipolitische Schachbrett umschmeißen? Offensichtlich war ihnen danach. Was nun?
Die Kanzlerpartei hat bei der Europawahl mit 13,9 % zwei Prozentpunkte weniger bekommen als die AfD. In Frankreich hat Präsident Macron mit ähnlich desaströsem Ergebnis Neuwahlen angesetzt. Ob aus Kalkül oder im Kurzschluss, weiß man nicht. In Deutschland fordert die Union auch Neuwahlen. Ob gut überlegt oder im Übermut, weiß man nicht. Aus der Ampel heißt es dagegen, Kalkül der Todesangst, hierzulande sei doch alles ganz anders. In gewisser Weise stimmt das. In Deutschland steht die AfD nicht vor der Machtübernahme, 15,9 % sind gerade mal halb so viel wie in Frankreich Le Pens Rassemblement National geholt hat: 31,4 %. Ausgeschlossen ist es nicht, dass sie ab Juli an der Regierung sind.
Die Union hat bei uns genauso viele Stimmen geholt wie Le Pen in Frankreich, 30 %. Ausgeschlossen wäre es nicht, dass sie bei Neuwahlen den Regierungsauftrag bekommt. Aber mit wem würde es für die Union zur Mehrheit reichen? Und wer kann Kanzler? Könnten die Leute den Kanzler direkt wählen, würden nach einer aktuellen Forsa-Umfrage 30 % Scholz wählen und nur 28 % Merz. Nach dem unbeliebtesten Kanzler aller Zeiten also der allerunbeliebteste Kanzler aller Zeiten? Oder doch Wüst, er hat schon ungeduldig gezuckt, gefährlich im Mikado, oder der bei seinen Kanzlerambitionen bisher noch so bescheidene Söder? Mit der SPD als Juniorpartner, in einer HaGroKo, wenn es reicht, weil man mit den Grünen nicht will und weil es für die FDP vielleicht zu gar nichts mehr reicht?
„Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”, möchte man mit Bert Brecht fragen. Einfacher wär’s. Besser wär’s, wenn Regierung und Volk die Probleme angingen.
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