Gerade hatte ich hier im Blog kurz das Buch „Imperium der Schmerzen“ über die Rolle der Sackler-Familie in der Opioidkrise vorgestellt. Ein zentraler Aspekt dabei war der Erfolg des aggressiven Marketings, um die Schmerzmittel zu glorifizieren, tödliche Folgen als individuellen Missbrauch zu erklären, Museen und Universitäten mit Zuwendungen zu überhäufen, um den Namen Sackler gut dastehen zu lassen. Und bei Bedarf natürlich der massive Einsatz von skrupellosen Anwälten und Politikern.

Das sind keine zufälligen Ähnlichkeiten zum Vorgehen der Tabakindustrie. Sie verkauft ihre tödlichen Produkte als Gewinn an Lebensqualität, als Ausdruck von Freiheit und Genuss: Ewig reitet der Marlboro-Man durch die Prärie – wenn er nicht gestorben ist. Die gesundheitlichen Folgen hat die Tabakindustrie ebenfalls lange Zeit der individuellen Disposition der Raucher:innen zugeschrieben, und sie hat ebenso nicht nur im großen Stil akademische Mietmäuler gekauft, sondern auch durch Geld für Wissenschaft und Kultur das eigene Tun in einem milden, menschenfreundlichen Licht erscheinen lassen, die Politik einlullend, selbstverständlich gleichwohl juristisch hochgerüstet und kampfbereit.

Ein besondere Verdichtung dieser Verantwortungslosigkeit haben jetzt Daniel Akselrad und Robert Proctor veröffentlicht: „Why did Philip Morris Stop Making Cigarettes at Auschwitz?“

In der Goldgräberstimmung der Eroberung der osteuropäischen Märkte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hatte Philip Morris 1996 Produktionsstätten des polnischen Tabakherstellers ZPT-Krakau gekauft – darunter ausgerechnet auch Gebäude auf dem Gelände des früheren KZ Auschwitz, in denen damals Menschen inhaftiert und gefoltert wurden. Der Kauf fand zeitgleich statt zu Werbekampagnen der Tabakindustrie, in denen sie Kampagnen gegen den Tabakkonsum mit der Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus verglich. Nach Befürchtungen, es könne Medienaufmerksamkeit geben, zog sich Philip Morris 1999 wieder aus Auschwitz zurück.

Akselrad und Proctor interpretieren die Geschichtsvergessenheit von Philip Morris so, dass Philip Morris im Kaufrausch und geblendet von der eigenen Propaganda auf nichts Rücksicht zu nehmen glaubte:

„The genius of the cigarette industry has been to transform the world’s leading cause of death into a global symbol of glamour, rebellion, and individual liberty. While playing the Nazi card in ads, Philip Morris was quietly refurbishing some of the same chambers used to manufacture death on an industrial scale. One measure of the company’s success—and enduring power—is that it was able to occupy Auschwitz without the wider world even noticing. Philip Morris only stopped making cigarettes at the camp because it feared exposing its own conflation of slavery and freedom.“

Die Autoren sehen natürlich die Unterschiede des industriellen Tötens im Holocaust und durch die Tabakproduktion. Sie sehen aber auch die Gemeinsamkeiten und fragen zu Recht, warum namhafte Kultureinrichtungen und Universitäten bis heute prominente Tabakmanager ehren. Sie listen in ihrem Artikel eine ganze Reihe von Beispielen auf, darunter eine R.J.Reynolds-Professur für Medizin (!) oder, hier schließt sich der Kreis zu den Sacklers, die „Tisch Galleries“ des Metropolitan Museum of Art. Das Museum hat sich inzwischen vom Namen Sackler befreit, nicht aber von Preston und Lawrence Tisch, „makers of Newport, the most popular menthol cigarette smoked by African Americans“.

Der Artikel von Akselrad und Proctor erschien im Januarheft von „Public Culture“, Duke University Press. Die Universität trägt, wie die Autoren schreiben, den Namen von James Buchanan “Buck” Duke, American Tobacco Company. An der Uni sind auch die J.R. Reynolds-Professuren angesiedelt. Die Tabakmänner haben schließlich einen guten Ruf. Warum noch mal genau?

Kommentare (5)

  1. #1 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    24. Juni 2024

    Die Tabakindustrie wurde durch Hill & Knowlton vertreten, um ihre Produkte zu verkaufen.

    Die WHO liess sich durch Hill & Knowlton vertreten, um die Corona-”Pandemie” zu verkaufen. Siehe z.B. hier: https://efile.fara.gov/docs/3301-Exhibit-AB-20200714-38.pdf

    In der Schweiz wurde das Corona-Gesetz von einem Nationalrat eingebracht, der Teilhaber des Hill & Knowlton-Partners für die Schweiz war.

  2. #2 Naja
    25. Juni 2024

    Und, hilft Rauchen dann gegen Corona?

  3. #3 Staphylococcus rex
    25. Juni 2024

    @Volker Birk, Ich hatte gehofft, dass “Kommunikationsformen” wie das Raunen im Hintergrund und Stöckchenwerfen nach Corona wieder unmodern werden, offensichtlich habe ich micht getäuscht.

    Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen und Werbeagenturen sind die Söldnertruppen des modernen Kapitalismus. Wenn Sie schon Stöckchen werfen, wäre es ein Akt der Höflichkeit und des Respekts gewesen, etwas genauer zu erklären, mit welcher Art Dienstleistung die von Ihnen genannte Firma ihr Geld verdient.

    Die von Ihnen angedeutete “Kausalkette” sieht in etwa so aus: Eine Firma hat mit einer unmoralischen Handlung Geld verdient. Deshalb sind auch alle zukünftigen Handlungen dieser Firma zwingend unmoralisch und komplett diskreditiert.

    Ich weiß nicht welche Regeln für die Logik in Ihrem persönlichen Paralleluniversum gelten, in diesem Universum geht das nicht als Logik durch. In diesem Universum ist es auch üblich, dass die Person, die eine Behauptung aufstellt, auch für die Beweisführung verantwortlich ist.

  4. #4 Joseph Kuhn
    25. Juni 2024

    Hill & Knowlton beraten und unterstützen in vielen Zusammenhängen, wie auch die Tech-Firmen, Verlage, die Banken oder andere. Was das jeweils bedeutet, müsste schon spezifiziert werden.

    Und damit es nicht zum OT-Thema wird: Hill & Knowlton haben am “guten Ruf” der Tabakindustrie mitgewirkt, seit den 1950er Jahren. Aber die Tabakindustrie arbeitet mit vielen Agenturen zusammen und die meisten Agenturen haben ein breites Kundenspektrum. In Deutschland arbeitet z.B. die “aha! Agentur für Handelsmarketing” u.a. für die Tabakindustrie, für Aktion Mensch – und, jetzt kommt’s – auch für die BZgA, wenngleich meines Wissens nicht für deren Tabakaufklärung.

    Interessant wäre, ob man Hill & Knowltons Aktivitäten für die Tabakindustrie anders bewerten muss als etwa die von “aha!”. Sind z.B. die einen strategische Partner der Tabakindustrie, die anderen “nur” Kunden? Haben die einen besonderen Ruf für heikle Engagements, die anderen nicht usw.?

    Die Ethik von Marketingagenturen wäre auch mal ein Blogthema, aber hier ging es erst mal nur um den “guten Ruf” der Tabakindustrie, der offensichtlich trotz aller international publizierten Kritik und trotz der Milliardenstrafzahlungen in den USA nach wie vor noch so weit besteht, dass sich Universitäten und Museen nicht für Namensgeber aus der Tabakindustrie schämen.

    [Edit: Kommentar im Zuge des Nachdenkens über Volker Birks Einwurf mehrfach weitergehäkelt, JK]

  5. #5 Staphylococcus rex
    27. Juni 2024

    Auch auf die Gefahr hin, eine off topic Diskussion zu befeuern, ist dieser Spiegel-Artikel lesenswert:
    https://www.spiegel.de/netzwelt/web/kuenstliche-intelligenz-amazon-laesst-ki-werbung-machen-a-d0942d77-f17f-430e-8261-3ce54686bef8

    Anwälte benötigen eine Zulassung und werden ihren Platz nicht freiwillig einer KI räumen, dagegen sind Unternehmensberatungen und Werbeagenturen lohnende Ziele für eine KI-Anwendung, weil diese ihre “Söldnerdienste” billiger zur Verfügung stellen können. Auch bei Anwälten wird es sicher Aufgaben für eine KI geben, gerade wenn es um die Sichtung von Texten und Präzedenzfällen geht.

    Wie es bei einer KI um die “historische Sensibilität” bestellt ist, da wage ich keine Vorhersagen, der Mensch als Trainer und Vorbild hat da auch seine Grenzen.