Das Statistische Bundesamt hat gerade die Todesursachenstatistik für 2023 veröffentlicht, darunter auch die Suizidzahlen für das letzte Jahr.

Demnach ist in Deutschland die Zahl der Suizide gegenüber dem Vorjahr geringfügig gestiegen, von 10.119 auf 10.304, ein Anstieg um 1,8 %. Nach Geschlecht gab es einen marginalen Rückgang bei den Männern von 7.504 auf 7.478 (-0,3 %), bei den Frauen eine Zunahme von 2.615 auf 2.826 (+8,1 %). Größere Verschiebungen in der prozentualen Altersverteilung der Suizide nach Geschlecht gibt es gegenüber 2022 nicht. Für eine Interpretation dieser geschlechterdifferenziellen Entwicklung muss man sich die Daten näher ansehen.

Nach Ländern gibt es keinen einheitlichen Trend. In manchen Ländern haben die Zahlen etwas zugenommen, in anderen abgenommen. Prozentual den stärken Anstieg gab es mit 47,5 % in Bremen, auch die anderen Stadtstaaten verzeichnen prozentual gesehen deutliche Zunahmen (Berlin +19,5 %, Hamburg +8,2 %). In absoluten Zahlen gab es die stärkste Zunahme mit 189 Suiziden in Nordrhein-Westfalen (+13,1 %), die stärkste Abnahme in Rheinland-Pfalz mit 71 Fällen (-12,5 %).

Viele Suizide sind vermeidbar. Überfällig ist ein nationales Suizidpräventionsprogramm. Im Juli 2023 hatte der Bundestag das BMG damit beauftragt. Das BMG hatte im Frühjahr Eckpunkte vorgelegt, der Gesetzentwurf ist seit 30.6.2024 überfällig. Er soll dem BMG zufolge aber noch im Sommer folgen.

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Nachtrag 28.8.2024:

Nach einer längeren Wartungspause ist die Datenbank gbe-bund.de des Statistischen Bundesamtes seit heute wieder zugänglich. Der prozentuale Anstieg der Suizidzahlen bei den Frauen war 2023 gegenüber 2022 in etwa wie 2022 gegenüber 2021 und setzt damit den Anstieg der Suizide bei den Frauen seit 2019 ohne besondere Auffälligkeit im Jahr 2023 fort.

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Wenn Sie Suizidgedanken haben, können Sie sich in Bayern rund um die Uhr unter der kostenlosen Rufnummer 0800-655 3000 an die bezirklichen Krisendienste wenden, und bundesweit unter den kostenlosen Rufnummern 0800-1110111 oder 0800-1110222 oder 116 123 an die Telefonseelsorge.

Kommentare (16)

  1. #1 I am because we are
    20. August 2024

    “Viele Suizide sind vermeidbar. Überfällig ist ein nationales Suizidpräventionsprogramm.“

    Nichts gegen ein Suizidpräventionsprogramm. Aber das beste Programm gegen Suizid wäre wohl eine andere, bessere Gesellschaft.

    Negativ-Beispiel Grönland:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Suizid_in_Grönland

    “Suizid in Grönland ist ein wesentliches Problem. Das Land hat die höchste Suizidrate der Welt.

    (…)

    Bis in die 1960er Jahre war Suizid in Grönland unüblich, begann sich dann aber ab 1970 stark zu verbreiten. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erreichte die Suizidrate ihren Höhepunkt mit 117 Suiziden pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Anschließend ging sie wieder zurück. Anfang der 2000er Jahre lag sie bei 84 und hat sich danach bis 2017 auf etwa 75 Suizide pro 100.000 Einwohner stabilisiert.[1]

    (…)

    Die hohe Suizidrate wird üblicherweise mit der Modernisierung Grönlands ab den 1950er Jahren im Rahmen der G50-Politik und der nachfolgenden G60-Politik in Verbindung gebracht. Der rapide Übergang der kolonial beeinflussten verhältnismäßig inuitisch-traditionellen Lebensweise der Bevölkerung in eine verwestlichte industrialisierte Gesellschaft sorgte für das Entstehen sozialer Probleme wie Alkoholismus, sexueller Missbrauch, Depression und Armut.[6] Auch wenn die Modernisierung und die größten sozialen Probleme von der heute jungen Generation nicht mehr miterlebt wurde, wird vermutet, dass die Verbreitung von Suizid in den vergangenen Jahrzehnten Suizid noch heute zu einer akzeptableren und normalen „Lösung“ macht.[1]

    Die Häufung der Suizide in den Sommermonaten wurde mit Schlafstörungen infolge des ununterbrochenen Sonnenscheins begründet, was von anderer Seite zurückgewiesen wurde, da die Sonne in Grönland schon immer im Sommer scheint und nicht erst seit 1970.[7]

    (…)”

  2. #2 Holger
    20. August 2024

    Speziell in Zusammenhang mit Stiochwort “aktive und passive Sterbehilfe” finde ich Selbstmord nicht zwingend als negativ.
    Gerade in medizinisch auswegloser Lage – also keine Heilung möglich und weiteres Leben nicht lebenswert oder qualvoll – betrachte ich Selbstmord als legitim.

  3. #3 Joseph Kuhn
    20. August 2024

    @ Holger:

    Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 entschieden ((2 BvR 2347/15):

    „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“

    Insofern bedarf es zur Wahrnehmung dieses Selbstbestimmungsrechts keiner unheilbaren Krankheit. Im Gegenteil, dann wäre zunächst immer zu schauen, ob es wirklich um einen “Akt autonomer Selbstbestimmung” geht oder ob hier subjektiv eine Ausweglosigkeit gesehen wird, die objektiv nicht besteht und der suizidale Mensch nicht z.B. eine gute Palliativversorgung dem Suizid vorziehen würde.

    Ansonsten kann natürlich in manchen Fällen ein Leiden so unerträglich sein, dass ein Suizid der letzte menschenwürdige Ausweg ist. Ich empfehle als Lektüre das Theaterstück “Gott” von Ferdinand von Schirach.

    Von “Selbstmord” sollte man allerdings in keinem Falle sprechen. Es geht nicht um Mord.

    @ I am because we are:

    “Nichts gegen ein Suizidpräventionsprogramm. Aber das beste Programm gegen Suizid wäre wohl eine andere, bessere Gesellschaft.”

    Selbstverständlich. Besser als Löschen durch die Feuerwehr wäre kein Feuer.

    “Die hohe Suizidrate wird üblicherweise mit der Modernisierung Grönlands (…) in Verbindung gebracht.”

    Die klassische Anomiethese Durkheims. Durchaus plausibel. Möglicherweise trägt sie auch zur Erklärung der seit einigen Jahrzehnten erhöhten Suizidraten in manchen Regionen Ober- und Niederbayerns bei.

    Allerdings liefern Erklärungen nicht immer Lösungsansätze und die Modernisierung Grönlands war vielleicht trotz des Anstiegs der Suizide der richtige Weg.

    Letztlich kommt man mit kulturpessimistischen Betrachtungen auch nicht weiter, es muss da geholfen werden, wo Hilfe nötig und möglich ist. Für Deutschland wären z.B. 24/7-Krisendienste ein wichtiges Element. Die vom BMG vorgelegten Eckpunkte sind durchaus vernünftig, an einigen Stellen kann sicher noch nachgebessert werden, aber vor allem muss es umgesetzt werden.

  4. #4 I am because we are
    21. August 2024

    @ Joseph Kuhn “Letztlich kommt man mit kulturpessimistischen Betrachtungen auch nicht weiter, es muss da geholfen werden, wo Hilfe nötig und möglich ist. Für Deutschland wären z.B. 24/7-Krisendienste ein wichtiges Element. Die vom BMG vorgelegten Eckpunkte sind durchaus vernünftig, an einigen Stellen kann sicher noch nachgebessert werden, aber vor allem muss es umgesetzt werden.”

    Wie schon gesagt: “Nichts gegen ein Suizidpräventionsprogramm.” Ich kann auch sagen: Ich bin dafür, falls das angenehmer ist.

    “Letztlich kommt man mit kulturpessimistischen Betrachtungen auch nicht weiter”

    Meine von wikipedia kopierte Beschreibung Grönlands veranschaulicht den Einfluss der Gesellschaft auf die Häufigkeit von Suiziden – einverstanden?

    Es muss darum gehen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, und nicht endlos im Hamsterrad der “Selbstoptimierung” im Kreis zu laufen. Das übliche Vorgehen gegen Depression / Suizid würde ich im weiteren Sinne auch zur Selbstoptimierung zählen: wenn ich “Resilienz” lese … “…” … und das lese ich oft, oft, oft (meistgebrauchtes Wort beim Deutschlandfunk?)

    “I am because we are” soll andeuten, dass der Ist-Zustand nicht alternativlos ist, dazu wird er gemacht, durch TINA, Neo-Liberalen Selbstoptimierungswahn – “jeder ist seines Glückes Schmied” (wer kein Glück hat kann sich ja umbringen) – und und und

    talking about suicide and society: what do you think about Mark Fisher, https://en.wikipedia.org/wiki/Mark_Fisher#Personal_life ?

    • #5 Joseph Kuhn
      21. August 2024

      @ I am because we are:

      “Meine von wikipedia kopierte Beschreibung Grönlands veranschaulicht den Einfluss der Gesellschaft auf die Häufigkeit von Suiziden – einverstanden?”

      Ja, wie schon gesagt, das kann man mit Durkheim lesen.

      “Es muss darum gehen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, und nicht endlos im Hamsterrad der “Selbstoptimierung” im Kreis zu laufen.”

      Selbstverständlich.

      “Das übliche Vorgehen gegen Depression / Suizid würde ich im weiteren Sinne auch zur Selbstoptimierung zählen”

      Ja und nein. In Public Health gibt es das Bild “going upstream”, d.h. dass es auf lange Sicht effektiver ist, an den Ursachen für Erkrankungen anzusetzen als immer nur die Kranken zu versorgen. Analog ist der Spruch “Vorbeugen ist besser als heilen” in den Schatz der Volksweisheiten eingegangen. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passt dazu Virchows vielzitierter Satz “Die Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen”.

      Dennoch: Wenn man durch was auch immer eine Depression entwickelt hat, braucht der individuelle Mensch Hilfe in seiner konkreten Not und man kann ihn nicht damit vertrösten, dass er in einer besseren Gesellschaft womöglich nicht depressiv geworden wäre und man daher jetzt erst einmal darauf hin arbeite. Ganz davon abgesehen, dass kein Konsens darüber besteht, wie eine bessere Gesellschaft als Gesamtsystem aussehen soll und man vorsichtig damit sein sollte, die religiöse Vorstellung einer “Erlösung der Welt” in die Politik zu übertragen.

      In der Psychologie ebenso wie in anderen Sozialwissenschaften gibt es umfangreiche Diskussionen darum, inwiefern Psychotherapie oder Sozialarbeit usw. nur oder auch die Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit in einer krankmachenden Gesellschaft sind, aber ohne sehr zynische und menschenverachtende Folgen entkommt man der Widersprüchlichkeit des Lebens in unserer Gesellschaft nicht.

      “dass der Ist-Zustand nicht alternativlos ist”

      Es gibt immer Alternativen.

      “what do you think about Mark Fisher”

      Habe sein Büchlein “kapitalistischer realismus ohne alternative?” mit Gewinn gelesen.

  5. #6 Titus von Unhold
    21. August 2024

    + 8,1 % bei den Frauen? Das lässt mich sofort sofort an die zugezogenen Ukrainerinnen denken und einen Zusammenhang vermuten.

    • #7 Joseph Kuhn
      21. August 2024

      @ Titus von Unhold:

      Muss man sich anschauen. Die dazu nötigen Daten liegen noch nicht vor.

      —————-
      Nachtrag 28.8.2024

      Jetzt sind etwas mehr Daten öffentlich. Suizide von Frauen ausländischer Staatsangehörigkeit hatten in den letzten Jahren einen Anteil von 5 bis 6 % an allen Suiziden von Frauen. 2022 gegenüber 2021 war die Zahl der Suizide ausländischer Frauen deutlich stärker gestiegen als bei den deutschen Frauen, 2023 gegenüber 2022 nur unwesentlich. Hier liegt somit kein relevanter Erklärungsansatz.

      Der Anstieg der Suizide bei den Frauen insgesamt fiel 2023 gegenüber 2022 in etwa so hoch aus wie 2022 gegenüber 2021. Die Suizide bei Frauen nehmen übrigens bereits seit 2019, also schon vor Corona, zu.

  6. #8 I am because we are
    22. August 2024

    @ Joseph Kuhn

    sind das die “Eckpunkte” des “nationalen Suizidpräventionsprogramms” (ich habe noch mal Ihre Posts nachgelesen, damit ich “auf dem Stand bin”):

    „• betroffene Menschen, deren Angehörige und Fachkräfte über eine bundesweite Webseite zu dem Thema informieren mit vertieften Informationen zu Hilfeangeboten und zu Angeboten der Suizidprävention,

    • Maßnahmen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Tod und Suizid initiieren, mittelfristig auch über eine Aufklärungskampagne,

    • Modellhaft Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege entwickeln, um diese noch stärker für das Thema zu sensibilisieren und im Umgang mit gefährdeten Personen zu schulen und diese verstärkt in die Lage zu versetzen, bei Bedarf effektiv in weitergehende Hilfs- oder Therapieangebote zu vermitteln,

    • Gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für die Etablierung einer zentralen Krisendienst-Notrufnummer erarbeiten. Diese soll Hilfesuchende unmittelbar an die Hilfsangebote der Länder und Kommunen weitervermitteln,

    • ein telefonisches und Online-Beratungsangebot für Angehörige und Fachkräfte einrichten

    • sowie das Monitoring von Suizidversuchen und Suiziden ausbauen.

    Darüber hinaus wird empfohlen, „methodenbegrenzende“ Maßnahmen, also die Zugangsbeschränkung zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch, deutlich auszubauen und die Einrichtung eines pseudonymisierten Suizidregisters zu prüfen.“

    Ich würd’ mal sagen: es kommt darauf an, was man daraus macht. Es könnte leider auch sein, dass es beim üblichen Gelaber bleibt: Im Frühjahr habe ich Lauterbach live erlebt, aus 3 Meter Entfernung. In jedem zweiten Satz war “KI” die Lösung des Welträtsels …

    Prof. Dr. med. Tom Bschor kenne ich. Sympathisch. Und ein Kritiker der Serotonin Wiederaufnahmehemmer: noch so ein Mythos … wie “KI”?

    • #9 Joseph Kuhn
      22. August 2024

      @ I am because we are:

      “es kommt darauf an, was man daraus macht”

      So ist es. Deswegen wird interessant, was im Gesetzentwurf stehen wird. Allzu große Hoffnungen wird man sich aber nicht machen dürfen, zumindest nicht für Dinge, die der Bund finanzieren müsste.

      “Serotonin Wiederaufnahmehemmer: noch so ein Mythos … wie “KI”?”

      Naja, KI ist ja kein Mythos, aber sicher von den einen zu sehr als Heilsbringer gehypt, von den anderen zu sehr verteufelt. Die Serotoninthese ist im Moment wohl im Konkursverfahren. Empfehle dazu Peter Gøtzsches Psychiatrie-Buch oder das sehr gut lesbare Buch “Die Depressionsfalle” von Thorsten Padberg.

  7. #10 Arzt
    23. August 2024

    interesante Diskussion. Darf ich einige Hinweise aus medizinsche Sicht beitragen?

    Zunächst eine Bitte/Empfehlung zur Wort zur Wortwahl:
    Die Angehörigen von Suizidenten bitten darum nicht vor Selbstmord zu sprechen: “Mein Angehöriger hat sich das Leben genommen, doch er/sie/… war kein Mörder/in”

    Hier der Text von der Startseite von https://www.agus-selbsthilfe.de/
    Dort finden sich viele weitere Informationen zum Suizid, zur Trauer und zur Unterstützung der Angehörigen:

    “Information zu unserer Wortwahl

    Sie werden beim Lesen bemerken, dass wir durchgängig die Begriffe Suizid (aus dem Lateinischen) und Selbsttötung verwenden, beide sind wertneutral und beschreibend.

    Im Alltag wird oft von Selbst„mord“ gesprochen. Mord ist der schwerste Straftatbestand in unserem Strafgesetzbuch und bezeichnet die Tötung eines anderen Menschen aus niedrigen Beweggründen wie Habgier, Neid, Eifersucht, Mordlust usw. – diese Bezeichnung hat nicht im Entferntesten etwas zu tun mit der Situation eines verzweifelten Menschen, der sich das Leben nimmt. Und Suizidtrauernde sind nicht Hinterbliebene eines „Mörders“.

    Die Bezeichnung „Freitod“ beinhaltet den Hinweis auf eine freie Willensentscheidung zum Tod, meist in Verbindung mit edlen Motiven. Auch dies beschreibt unseres Erachtens nicht die Situation von Menschen, deren Entscheidung von Ausweglosigkeit geprägt ist.”

    • #11 Joseph Kuhn
      23. August 2024

      @ Arzt:

      “Selbstmord – Suizid”

      Völlig korrekt. Den Punkt hatten wir oben schon abgeräumt, siehe Kommentar #3. Von “Selbstmord” hat auch nur ein Kommentator einmal gesprochen.

      “Freitod”

      Im Prinzip auch hier d’accord, da hinter den meisten Suiziden eine Erkrankung oder eine Lebenskrise steht. Allerdings sollte man die Möglichkeit einer freien Entscheidung nicht per se verneinen, siehe auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

      Siehe zu den Punkten auch https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-021-03459-x

  8. #12 Arzt
    23. August 2024

    SuizidPrävention ist nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

    Hier kann “Medizin” viel tun: mehr Schmerztherapie, mehr Palliativmedizin, mehr psychotherapeutische Zugänge, dies alles soll niedrigschwellige angeboten werden, unter der breiten Bevölkerung “auch auf dem Land” bekannt werden.
    In den nicht psychiatrischen Bereichen muss sowohl in ein medizinischen und therapeutischen Bereichen (mediziner, Pflegekräfte, Hebammen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Altenpflege, Rettungsdienst,… ) das Wissen und die Ausbildung zum Thema Suizid, Früherkennung, Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen verbessert werden.

    Ebenso sollte die Ausbildung bei Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Seelsorgerden, Gefängnispersonal, Übungsleiter/innen im Sport, Beratungskräften, … verbessert werden.

    M.E. der schwierigste Punkt wird die “Stimmung” in den Familien, in den Betrieben, an den Stammtisch, in den sozialen Medien zu verändern. Dazu braucht es Image-Kampagen und viele Multiplikatoren.

    Ganz praktisch kann jede/r sich informieren, wie man im Ernstfall reagieren kann: https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote2/gespraechsempfehlungen/

    praktische “Erste-Hilfe bei psychischen Erkrankung” gibt es im MHFA Ersthelfer-Kurs:
    https://www.mhfa-ersthelfer.de/de/ersthelferin_werden/

    Eine Zusammenstellung von 2016 fand diese Faktoren besonders efffektiv zur Suizidprävention:
    – eingeschränkter Zugang zu Suizid-Hotspots, wie etwa Brücken
    – eingeschränkter Zugriff auf Waffen, Schmerz- und Schlafmittel, Pestizide usw.
    – Aufklärungsarbeit an Schulen
    – Clozapin und Lithium
    – medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung von Depressionen
    – speziell ausgebildete Allgemeinmediziner
    (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/68072/Suizid-Praevention-Welche-Interventionen-helfen-am-besten)

    Bei einer Fortbildung der deutschen Gesellschaft für Suizidprävention wurden folgende Maßnahmen als TOP3 eingeschätzt:
    – Mittel-Restriktion: (wie oben) Zäune und Geländer an Suizid-Hotspots, eingeschränkter Zugang zu Waffen, Pestiziden und entsprechenden Chemikalien, kleinere Packungsgrößen von entsprechenden Medikamenten, …
    – Eine 24/365-Krisendienst für Menschen mit Suizidgedanken mit telefonischer und online-Erreichbarkeit
    – Eine spezielle Kurzzeitpsychotherapie (ca 3x40min) für Menschen nach Suizidversuch – leider bisher von den Krankenkassen nicht bezahlt. Vermutlich fehlt es auch ein Kapazität bei dem Psychotherapeuten.

    Wer mehr dazu lesen will: eine große Zusammenstellung mit wissenschatlicher Basis von verschiedensten Maßnahmen in den verschiedenen Lebensbereichen (mit kurzer Zusammenfassung am Beginn jeder Kapitel) findet sich in “Suizidprävention Deutschland – Aktueller Stand und Perspektiven” zum freien Download unter https://www.suizidpraevention.de/infothek/publikationen#

  9. #13 naja
    25. August 2024

    @ Arzt

    Vielen Dank für diese ergänzenden Worte. Obwohl Suizid nicht ausschließlich ein Thema in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen ist, wollen die Menschen, die ich kenne und die Hilfe benötigen würden, um sich aus einer Situation herauszubewegen, die sie klar ersichtlich stark belastet, institutionelle Hilfen nicht annehmen. Sobald ein Mensch mit ernsten psychischen Problemen nicht dazu bereit ist, sich von Profis helfen zu lassen, wird die Situation für diese Menschen selbst und für das verbleibende Umfeld extrem belastend und nahezu ausweglos.
    Meiner Erfahrung nach wird gesamtgesellschaftlich wenig bis gar nichts aufgefangen. Ich habe schon des Öfteren gehört, dass es ein Recht auf Krankheit gibt (in Psychiatrien, von Gerichten, von der Polizei). Ich will nicht wissen, wieviele Menschen im Gefängnis sitzen, die eigentlich in psychiatrische Behandlung gehören, zB wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und daraus resultierenden nicht bezahlten Bußgeldern. Mir ist klar, dass es einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, Menschen gegen ihren Willen zu behandeln. Gleichzeitig empfinde ich es als unterlassenen Hilfeleistung einfach die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: Wer nicht will, der hat schon.

  10. #14 I am because we are
    25. August 2024

    @ Joseph Kuhn

    Ihren Literatur-link:

    “Es gibt immer Alternativen.”

    https://www.kritische-psychologie.de/1984/die-menschen-sitzen-nicht-im-kapitalismus-wie-in-einem-kaefig

    habe ich gelesen – weiß nicht so recht, wie ich das finde, ich denke: “da geht mehr!”

    von der kritischen Psychologie bin ich hier gelandet (wenn Sie es schaffen, den Weg zu rekonstruieren, geb ich einen aus!):

    „nachdem sie mich erst anschwärzten
    zogen sie mich dann durch den kakao
    um mir schließlich weiß machen zu wollen
    es sei vollkommen unangebracht
    – schwarz zu sehen“

    May Ayim: exotik (1985)

    das gefällt mir wirklich sehr gut

    May Ayim leider auch thematisch zum Artikel passend (ich hab nicht danach gesucht – ich schwör !)

    • #15 Joseph Kuhn
      25. August 2024

      @ I am because we are:

      Sie müssen keinen ausgeben. Schön, dass Berlin ein Stück Spreeufer nach ihr benannt hat. In meiner Berliner Zeit habe ich nicht sehr weit entfernt davon ein paar Jahre lang gewohnt.

  11. #16 Joseph Kuhn
    26. September 2024

    Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention

    Vom 10.-12. Oktober findet die Jahrestagung der DGS im kbo-Klinikum München-Haar statt. Schwerpunkt sind Suizide in psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen: https://www.suizidprophylaxe.de/wp-content/uploads/2024/08/DigiKarteSAVETHEDATE_Jahrestagung-DGS-2024-240812.pdf

    Ein fachlich sehr interessantes Programm, aber man vermisst ein Grußwort des BMG und einen Vortrag zum Sachstand des geplanten Suizidpräventionsgesetzes.

    Siehe dazu auch: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2024/05/02/ein-nationales-suizidpraeventionsprogramm/