Das „Gesundes-Herz-Gesetz“, das eigentlich „Krankes-Herz-Gesetz“ heißen müsste, weil es praktisch nur um die Früherkennung von kranken Herzen geht, hat von vielen Seiten heftige Kritik erfahren. Seine Begründung, man müsse etwas gegen das Missverhältnis von hohen Gesundheitsausgaben in Deutschland und einer im europäischen Vergleich nur mittelmäßigen Lebenserwartung tun, war von Anfang nicht überzeugend. Die Lebenserwartung hängt in erster Linie von den Lebensbedingungen und vom Lebensstil ab, die gesundheitliche Versorgung kranker Menschen hat darauf einen nachrangigen Einfluss – was natürlich nicht heißt, dass man Versorgungsdefizite einfach ignorieren kann. Und selbstverständlich kann man auch im Bereich der Herzmedizin noch einiges besser machen, kleinere Ansätze dazu gab es im Herzgesetz durchaus.
Aber ob es wirklich eines der wichtigsten Gesetze im Gesundheitsbereich geworden wäre, wie Lauterbach sagt? Vor ein paar Tagen, zur ersten Lesung des Herzgesetzes im Bundestag, hatten die Kardiologen einen “Fakten-Check” zum Herzgesetz veröffentlicht. Das wiederum hat Jürgen Windeler, den früheren IQWIG-Chef, der den Gesetzentwurf schon mehrfach hart kritisiert hatte, zu einem nochmaligen – womöglich seiner Herzgesundheit abträglichen – Wutausbruch veranlasst: Er hat heute dazu einen Fakten-Check-Check im Observer veröffentlicht. Allzu viele Fakten hat er im Papier der Kardiologen nicht entdeckt.
Am Mittwoch war die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag. Es gab die üblichen Geplänkel zwischen Regierung und Opposition. Manches war kabarettreifes „Ich höre dir nicht zu“. So hat die Opposition die richtige Feststellung der Ampel, dass bei einer genetisch bedingten familiären Hypercholesterinämie Sport und Ernährungsumstellung nur bedingt helfen, geflissentlich ignoriert. Mehrfach hat die eine Seite das Argument vorgetragen, die andere Seite ist darüber hinweggegangen.
Manchmal gab es auch innerhalb einer Bank seltsame Widersprüche. So haben praktisch alle Abgeordneten der Regierungsfraktion auf das oben angesprochene Missverhältnis zwischen Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung abgehoben, und darauf, dass das Gesundheitswesen in Deutschland nicht leistet, was es leisten könnte. Karl Lauterbach hat sogar explizit die kürzliche Studie des Commonwealth Funds angeführt, die Deutschland kein gutes Zeugnis ausstellt. Das hielt die SPD-Abgeordnete Nezahat Baradari aber nicht davon ab, dem deutschen Gesundheitswesen ausdrücklich ein solches Premium-Zeugnis auszustellen. Nicht hingehört, was die Kolleg:innen gesagt haben?
Bedenklicher aber war, dass niemand nachgefragt hat, ob denn das Herzgesetz die Defizite des deutschen Gesundheitswesens und dessen hohe Kosten wirklich vermindern kann. Gibt es dann weniger Wartezeiten? Weniger Probleme im Zusammenspiel ambulant-stationäre? Weniger überflüssige Diagnostik und überflüssige Operationen?
Auch manch andere Gedankenlosigkeit konnte man bestaunen. Unter den Abgeordneten schien Einigkeit darüber zu bestehen, dass der hohe Anteil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen an den Todesursachen an sich ein Problem sei. Aber ebenso wie Krebserkrankungen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen ganz überwiegend solche des höheren Lebensalters. Wer in einem Land leben will, bei dem man statistisch seltener an Herzinfarkt, dafür häufiger an Infektionskrankheiten stirbt, möge in eine Armutsregion dieser Welt ziehen. Je niedriger die Lebenserwartung, desto weniger Sterbefälle durch Herzinfarkte. Man müsste sich also speziell die vermeidbaren Sterbefälle anschauen, und hier möglichst auch, welcher Anteil auf präventive Defizite und welcher auf therapeutische Defizite zurückgeht.
Einige Oppositionsabgeordnete haben zu Recht betont, dass das Gesetz mit seinen begrenzten medizinischen Maßnahmen die hochgesteckten Ziele bei der Bevölkerungsgesundheit nicht erreichen könne, und dass es zudem durch die Nullsummen-Umschichtungsfinanzierung die Gesundheitskurse der Krankenkassen ruiniert. Dieses Missverhältnis, hier also das zwischen Zielen und Mitteln des Gesetzes, hätte man noch viel stärker herausarbeiten müssen. Lauterbach lebt manchmal in Wunschtraumwelten.
Aber gut, so ging es eine knappe dreiviertel Stunde hin und her, mal engagiert, mal etwas lustloser. Das Gesetz sollte dann in den Gesundheitsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen werden.
Am gleichen Abend hat bekanntlich die Ampel einen Herzinfarkt erlitten. Ob das Gesetz jetzt noch eine Chance hat, vom Bundestag verabschiedet zu werden, ist mehr als zweifelhaft. Das Zustimmungsbedürfnis der FDP wird nach dem Rauswurf Lindners begrenzt sein und die Opposition wird, was sie gerade so vehement kritisiert hat, nicht plötzlich gut finden, um Lauterbach im Vorwahlkampf zu einem Erfolg zu verhelfen.
Insofern gehe ich davon aus, dass das Herzgesetz tot ist. Das ist keine Katastrophe und die kleineren sinnvollen Punkte, die es regeln wollte, kann man ja wieder aufgreifen. Wer weiß, vielleicht bekommt ja der gleiche Gesundheitsminister in der neuen Merz-Regierung mit dem Juniorpartner SPD eine zweite Chance. Er sollte sie dann für ein besseres Gesetz nutzen.
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