Wohnen ist kein Luxus, sondern ein elementares Bedürfnis, wie Essen und Trinken. In Art. 11 des UN-Sozialpakts heißt es:
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden Menschen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten (…).“
Dabei ist mit „Unterbringung“ nicht jede Form von Dach über den Kopf gemeint, sondern ein Aspekt des „angemessenen Lebensstandards“ und dazu gehört ganz wesentlich, so gängige Auslegungen von Art. 11, auch die Bezahlbarkeit.
Natürlich hat nicht jeder das Recht auf ein Haus am Starnberger See, zu Preisen, die sein Einkommen nicht überfordern. Aber die Vertragsstaaten sollen auch keine Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt zulassen, die ein angemessenes Wohnen immer mehr erschweren.
Am Starnberger See, einer der wohlhabendsten Regionen Deutschlands, fand vom 22.-24. November 2024 die Tagung „Wohnst du schon oder suchst du noch“ statt. Zwar wurden auch interessante Projekte neuer Wohnformen vorgestellt, aber das Fazit der abschließenden Podiumsdiskussion war finster: Bei den heutigen Boden- und Baupreisen wird auf absehbare Zeit alles noch schlimmer.
Schaut man sich Eckdaten des Wohnungsmarkts an, wird man dem zustimmen müssen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge wurde 2023 in Deutschland der Bau von 260.100 Wohnungen genehmigt, 26,6 % weniger als im Jahr zuvor. Bundesbauministerin Klara Geywitz zählt allerdings lieber anders und überschreibt eine Pressemitteilung vom 23.5.2024 mit der Botschaft „Baufertigstellungszahlen 2023: Die Lage am Bau ist stabil. Starker Aufwuchs im sozialen Wohnungsbau“. Das klingt nicht nach Wohnungsnot, eine Meldung wie aus einem Paralleluniversum. Stolz wird noch vermeldet: „Wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte, wurden im Jahr 2023 deutschlandweit insgesamt 294.400 Wohnungen und damit ähnlich viele wie im Jahr 2022 fertiggestellt. (…) Die Zahl der geförderten Wohneinheiten stieg um mehr als 20 % auf insgesamt 49.430 an.“
Die Ampel wollte jährlich 400.000 Wohnungen bauen, 2023 hat sie demnach 73,6 % ihres Zielwerts erreicht. Und was die Sozialwohnungen angeht, muss man das Selbstlob von Frau Geywitz schon zynisch nennen: In den 1980er Jahren gab es in der Bundesrepublik (also ohne die neuen Länder) ca. 4 Mio. Sozialwohnungen, jetzt ist es noch eine Million. Mit dem Aufbautempo 2023 käme man in 60 Jahren wieder auf das Niveau der 1980er Jahre.
Aber dahin will man nicht und dahin kommt man auch nicht mehr. Geywitz meint, die Leute sollen eben in Regionen ziehen, wo Wohnungen leer stehen. Das ist ein Appell, sich marktkonform zu verhalten und aus der nichteingelösten staatlichen Verpflichtung zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen nach Art. 72 (2) GG Kapital zu schlagen. In manchen Gegenden kann man sich in der Tat nicht nur die Miete leisten, sondern auch Eigentum. Ein Reihenhäuschen in einer wirtschaftlich schwachen Region kostet mit etwas Glück nur ein Zehntel oder ein Zwanzigstel dessen, was eine vergleichbare Immobilie im Speckgürtel Münchens kostet. Aber wovon die Leute dort leben sollen, sagt Frau Geywitz nicht. Diese Art von Planwirtschaft kann nicht funktionieren.
In den Ballungsräumen kennen die Preise für Mietwohnungen seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Die Faustregel, man müsse ca. 30 % seines Einkommens für die Miete aufbringen, können viele Wohnungssuchende in München umdrehen: Ihr Einkommen beträgt 30 % des Mietpreises einer angemessenen Wohnung.
Boden und Wohnungen sind in den Ballungsräumen, und nicht nur dort, längst Spekulationsgüter geworden. Es ist politisch gewollt. In den Ballungsregionen mit hohen Wertzuwächsen für Immobilien kann die Erbschaftssteuer für ein Mietshaus für Vermieter wie Mieter gleichermaßen zum Problem werden. Irgendwer muss sie am Ende bezahlen. Aber wer mehr als 300 Wohnungen besitzt, muss gar keine Erbschaftssteuer bezahlen. Die Begründung war, damit soll der Druck zum Verkauf der Wohnungen mit nachfolgenden Preissteigerungen verringert werden. Warum dieser Druck erst bei 300 Wohnungen einsetzt? Das hat auch der Bundesfinanzhof nicht verstanden und die Regelung 2017 für rechtswidrig erklärt (Urteil vom 24.10.2017, II R 44/15). Das Bundesfinanzministerium hat sich mit den Ländern verständigt, diese Entscheidung durch einen „Nichtanwendungserlass“ zu ignorieren. Bundesfinanzminister war damals Olaf Scholz, der jetzt einen sozialen Richtungswahlkampf gegen Friedrich Merz führen will.
Einer der wesentlichen Gründe für die gestiegenen Baupreise sind die Bodenpreise. In Bayern sind beispielsweise die Quadratmeterpreise für Bauland von 223,59 Euro im Jahr 2010 auf 348,76 Euro im Jahr 2020 gestiegen, ein Anstieg um 60 % in 10 Jahren. Im Jahr 2022 waren es 429,58 Euro, nach Adam Riese noch ein paar Groschen mehr als 2020. Für Eigentümer, die Bauland zu verkaufen haben, sind solche Wertsteigerungen natürlich tolle Gewinne. Für Eigentümer, bei denen Ackerland zu Bauland wird, sogar besser als Lottogewinne, der leistungslos erzielte Wertzuwachs wird nicht abgeschöpft. Die genannten Preise sind, das nur zur Vollständigkeit, bayerische Durchschnittspreise. In Tutzing liegen sie, mittlere Lage, derzeit beispielsweise bei 1.400 Euro pro qm, in München bei 6.000 Euro oder je nach Lage auch ein paar tausend Euro höher. Und nächstes Jahr sowieso höher.
Man könnte noch mehr solcher Geschichten erzählen, manche wurden auch auf der Tagung in Tutzing erzählt. Das Menschenrecht auf eine angemessene Wohnung steht auf dem Papier, auf der politischen Agenda steht es nicht. In Zeiten, in denen man von den Menschen fordert, wieder mehr zu leisten, mehr zu arbeiten, oder länger, den Gürtel enger zu schnallen, heizt das absehbar die sozialen Spannungen im Land weiter an, gegen Migrant:innen, gegen Arbeitslose, gegen Bürgergeldempfänger:innen, auch gegen Unterstützungsleistungen für die Ukraine übrigens. Leider ist derzeit kein Silberstreif am Horizont erkennbar.
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