Geht es um die Unabhängigkeit der Ärzt:innen oder der Gesundheitsämter? Und was sind „parteiische Eingriffe“? Wenn es um rechtswidrige Eingriffe geht, sind die verbeamteten Ärzte gehalten, ihre Remonstrationspflicht wahrzunehmen. Inwiefern andere organisatorische Lösungen hier wirklich Vorteile bringen, ist ebenfalls ein offener Diskussionspunkt.
„Naheliegend ist, Gesundheitsämter zum Beispiel in Körperschaften des öffentlichen Rechts zu überführen. Damit bleiben Gesundheitsämter weiterhin vollziehende Staatsverwaltung, allerdings in einem anderem Distanzverhältnis.
Besteht dadurch ein Verlust demokratischer Kontrolle und Durchgriffsrechte? Nein, und das in zweifacher Hinsicht. Denn erstens werden Körperschaften durch einen Verwaltungsrat und Landesministerien kontrolliert. Und zweitens sind Körperschaften des öffentlichen Rechts Teil der Staatsverwaltung, nur mit dem Unterschied, dass sie sich selbst verwalten.“
In diesem Punkt wird die Argumentationslinie m.E. brüchig. Man will mehr organisatorische Unabhängigkeit, weist aber zugleich auf die Notwendigkeit „demokratischer Kontrolle und Durchgriffsrechte“ hin. Wer nimmt diese wahr? Im darauffolgenden Satz werden die Länderministerien angesprochen, aber war nicht gerade mehr Distanz zur Politik das Ziel? Ist dieses Ziel an sich überhaupt unstrittig, oder braucht der Staat für Public Health-Aufgaben gerade Durchgriffsrechte auf die Gesundheitsämter? Die Autoren sprechen das Stichwort selbst an. Daran schließen sehr grundsätzliche Fragen an, was Staatsaufgaben sind und was nicht. Und last, but not least: Wie kann eine „demokratische Kontrolle“ aussehen, wenn die demokratisch legitimierten Institutionen – Parlament und Regierung, Stadträte und Bürgermeister, Kreistage und Landräte – in demokratische Schieflage geraten?
An der Stelle reflektieren die Autor:innen das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Gesundheitsverwaltung nicht gründlich genug. Sie machen auf ein Problem aufmerksam, aber über die Lösung wäre eingehender nachzudenken.
„Eine Lehre aus der Pandemie wäre es tatsächlich, Gesundheitsämter ethisch krisensicher zu machen.“
Das ist auf jeden Fall richtig und Teil einer noch zu leistenden „Aufarbeitung“. Für die Gesundheitsämter ist dabei u.a. so etwas wie ein Ethikkodex überfällig, jenseits der spezifisch ärztlichen Berufsethik. Ein solcher Ethikkodex wäre eine Aufgabe für die beiden ÖGD-Fachgesellschaften, in Zusammenarbeit mit universitären Ethiker:innen.
Die beiden Artikel regen somit eine wichtige Diskussion an und zeigen, wie praxisrelevant und grundsätzlich zugleich Fragen des Verhältnisses von Wissenschaft, Ethik, Politik und Verwaltung beim ÖGD sind. Diese Diskussion kann nicht in der Engführung am ärztlichen Berufsrecht erfolgen, und auch nicht nur mit ärztlicher Expertise, hier ist die ganze Breite von Public Health gefragt und speziell juristische Expertise ist dabei ersichtlich unverzichtbar.
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